USA 1999 · 138 min. · FSK: ab 12 Regie: Ang Lee Drehbuch: James Schamus Kamera: Frederick Elmes Darsteller: Tobey Maguire, Skeet Ulrich, Jewel Kilcher, Jeffrey Wright u.a. |
Im Feuergefecht hat man Jake den kleinen Finger weggeschossen. Es ist ein Schock, der erste wirkliche Schock in diesem Krieg, wenn die Verletzbarkeit des Körpers spürbar wird – und es ist wohl eher dieser Schock der Erkenntnis als der Schmerz, der sich Jake (und uns) so tief einprägt hier. Später dann, als die Männer sich zum Schlafen hinlegen, räsoniert der Versehrte schon ganz philosophisch über den Vorfall. Falls die Yankees mich erwischen sollten und mich umlegen und an
einen Baum knüpfen, werdet ihr mich an dem Stummel erkennen können sagt er.
Du bist, was du verloren hast. Individualität als Minusbetrag. Der Mangel als sichtbar/unsichtbares Zeichen für Identität. Ein hinreißender, ein spannender Gedanke, den Ang Lee hier wie nebenbei anregt, anlässlich dieses pillow talk unter Kriegsgefährten.
Ein weggeschossener Finger. Ein amputierter Arm. Ein gefallener Ehemann. Ein ermordeter Vater. Ein Land in der Sezession, gespalten zwischen Nord und Süd, Schwarz und Weiß. Ride with the Devil erzählt von den Freunden Jack Bull Chiles und Jake Roedel, die sich 1862 den bushwackers anschließen. Untergrundkämpfer, die abseits der regulären Südstaatenarmee ihr Leben aufs Spiel setzen für den Erhalt des status quo. Eine Geschichte aus dem amerikanischen Bürgerkrieg also, die sich Ang Lee diesmal ausgesucht hat, um einmal mehr seinen großen Themen nachzuspüren: der Suche nach Identität, der Wechselwirkung zwischen dem Ich und der Welt. Und wie auch schon in Sense and Sensibility oder The Ice Storm gilt seine Sympathie dabei vor allem den Zerrissenen, den Heimatlosen zwischen den Fronten. Soziale Fronten mögen das sein, Wohlstand und Armut, zwischen denen zwei Schwestern lavieren in Lees Verfilmung des Jane Austen Romans oder auch eine Literaturverfilmungprivate Sehnsüchte kontra gesellschaftliche Konventionen, in denen sich eine Familie verfängt, in den 70er Jahren, im Eissturm. Immer scheint es, als wollte keiner der gebrochenen Helden seine comfort zone verlassen, mal verzweifelt, mal bockig klammern sie sich an die gegebene Situation. Gewaltsam, mit fast biblischer Wucht muss alles erst auseinander brechen, ehe sich Neues formen kann aus den Trümmern. Der Tod eines Verwandten, die Naturgewalt eines Eissturms, ein Bürgerkrieg: schicksalhafte Mächte brechen mit Wucht herein über die eingefahrenen Lebenswege aber am Ende meint es Ang Lee immer gut, meint er es besser mit den derart Gebeutelten. Das Leben bricht jeden, schreibt Ernest Hemingway, auch in einer Geschichte vom Krieg, aber manche sind hinterher stark an den gebrochenen Stellen. Du bist, was du verloren hast. Am Ende begegnen wir einer wundersamen heiligen Familie inmitten der Prärie. Jake und seine Frau Sue Lee und das Baby Grace. Keine Blutsverwandtschaft sondern uramerikanischer Traum von der Verschmelzung mit dem Fremden. Ein neuer Tag bricht an für einige wenige, die sich und ihren Platz gefunden haben während der Krieg weiter tobt.
Drinnen und Draußen zugleich hat der taiwanesische Regisseur, wie so viele Gastarbeiter in Hollywood, einen außergewöhnlich luziden Blick für die Mechanismen der amerikanischen Kultur und ihren Einfluss auf das Individuum. Die Bilder, die Ang Lee findet für diesen Bürgerkrieg haben nichts gemein mit den geordneten Schlachtfeldern fahnenschwenkender Patrioten, wie sie die ganz Tapferen (oder ganz von allem gesunden Menschenverstand Verlassenen) sie von Roland Emmerich serviert bekamen als Tiefpunkt des Kinojahres 2000. Ein Dschungelkrieg ist das hier vielmehr, ausgefochten in Nacht und Unterholz, wie ihn die Amerikaner hundert Jahre später führen werden in Vietnam. Wie alle wahrhaft Großen hat Ang Lee verstanden, worum es geht beim Filmemachen: um die Bilder (und nein, dies ist leider nicht selbstverständlich! Immer noch glaubt eine gewaltige Lobby sowohl auf Seiten des Publikums als auch auf Seiten der Macher, dass das Wesentliche am Film doch das Drehbuch sei, der plot genauer. Nur so ist zu erklären, dass ein Film wie The Sixth Sense, wiewohl hübsch gemacht, so hoffnungslos überschätzt wird. Ein kecker plot twist am Ende und alle sind glücklich, scheint es. Dass man dergleichen Mechanismen längst nachlesen kann bei Henry Slesar zum Beispiel, derartige Überraschungseffekte also nichts genuin filmisches haben, sein hier nur am Rande und der Wahrheit und Gerechtigkeit halber mal erwähnt). Ang Lee hingegen braucht keine Dialoge, keine besonders ausgeklügelten Plots um so komplexe wie subtile Analogien herzustellen zwischen dem Innenleben der Charaktere und der Landschaft zum Beispiel. Ganz Besonderes hat es auf sich mit der Topographie in diesem Film. Dschungelkrieg also zunächst, man weiß eigentlich nie wirklich, wo man sich gerade befindet. Irgendwo im Süden der USA, in einer bewaldeten, undurchdringlichen, undurchsichtigen Gegend. Erst als Jake zu sich selbst gefunden, ein Gefühl bekommen hat dafür, wer er ist, weitet und lichtet sich die Landschaft. Wir sind im Westen, irgendwo in der Nähe von Fords Country. Wir wissen mit einem Mal, wo wir uns befinden auf der amerikanischen Landkarte.
Fords Country also und auch die biblische Dimension, die eine so große Rolle spielt bei Ang Lee, ist natürlich typisch für das Westerngenre, für John Ford und andere. Ride with the Devil, das klingt alttestamentarisch und man mag sich fragen, wie dieser Titel zusammenhängt mit der Geschichte, wer der Teufel ist in dieser Welt. Ein Verführer natürlich, ein fanatischer General, der die Guerilla-Kämpfer aufheizt zum totalen Krieg und alle wollen ihn: ein Städtchen wird dem Erdboden gleichgemacht, im Blutrausch Männer, Frauen und Kinder niedergemetzelt. Ein bitterer Verlust der Unschuld – die Stimmung, die Atmosphäre hat sich gewandelt und man weiß selbst nicht so recht festzumachen, woran das liegt. Es ist ein himmelweiter Unterschied zwischen den Schießereien am Anfang, wo eine glorreiche wild bunch sich Gefechte liefert mit dem Gegner und alles noch etwas hat vom Kinderspiel, das ja durchaus brutale Züge aufweist von Haus aus. Bei Sam Peckinpah ist wunderbar zu sehen, wie nah das Grausame dran ist am Schönen. Wie das Schöne, Rilke hat das so formuliert, der Anfang ist des Grausamen. Das schöne Sterben, wie wir es kennen aus Pat Garrett and Billy the Kid zum Beispiel spiegelt sich bei Ang Lee in den jungen Männern mit den langen Haaren, die Gesichter haben wie Engel oder wie Vampire: androgyn und emotionslos, von wild-grausamer Schönheit. All das kippt, wenn zum Ende hin also dieser blinde Fanatismus ins Spiel kommt. Die Kämpfe machen keinen Spaß mehr, die Lust am Schauen ist weg, das Stilisierte, Choreographierte. Einige, Jake zum Beispiel, erkennen das und verabschieden sich von den Schlachtfeldern, die jetzt nur mehr menschlich sind, nicht mehr mystisch. Ans Ende stellt Lee ein Bild wie aus Fords Three Godfathers genommen, von einem Planwagen inmitten der Prärie und einem kleinen Baby, das auf den sprechenden Namen Grace hört. Ein bisschen Hoffnung also, Neuanfang, wenn auch sehr fragil, denn hier ist nun die Gesellschaft ganz weit weg. Wer aber Ang Lee kennt, weiß, dass es ihm immer zu tun ist um dieses Wechselspiel von Gesellschaft und Individuum und weiß daher auch, dass diese Pastorale nicht dauern kann. Jakes Reise fängt erst an.