Großbritannien 2014 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Lone Scherfig Drehbuch: Laura Wade Kamera: Sebastian Blenkov Darsteller: Sam Claflin, Max Irons, Douglas Booth, Natalie Dormer, Holliday Grainger u.a. |
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Ein Film über »Us« |
Es war wenige Tage vor jener Abstimmung über die schottische Unabhängigkeit im September, als The Riot Club seine britische Premiere erlebte, und in Berlin der Film der Presse gezeigt wurde. Ein zufälliges Zusammentreffen, aber auch ein passendes. Denn jemand, der wie der Autor dieser Zeilen Nationalismen jeder Art, auch den freundlichen, niedlichen, hobbithaften Nationalismus der Schotten verabscheut und deswegen nie einen Hauch der Sympathie
für die beabsichtige Abspaltung und De-facto-Zerschlagung des »Vereinigten Königreichs« hatte, dem half dieser Film plötzlich, vieles zu verstehen: Alles das, was man als Nicht-Engländer an den Engländer hassen kann, alles das, was an der englischen Oberklasse ekelhaft und böse ist, ihr dekadentes, arrogantes Gehabe bringt The Riot Club inhaltlich wie visuell auf den Punkt. Und damit räumt der Film zugleich auf mit all der naiven England-Verklärung, die
es gerade in Deutschland für alles Englische gibt, der Verniedlichung der »stiff lip«, dem »British English«, der Arroganz, der Rituale, der Queen, der BBC, der angeblichen Skurrilität, dem angeblichen ach so besonderen britischen Humor, dem speziell Englischen von James Bond über Schirm, Charme und Melone bis zu Monty Python – die Deutschen sind immer schon im Geheimdienst ihrer Majestät und spiegeln wie keine andere Nation das Selbstbild, das England gern von sich hätte. Die Briten selbst sind weiter. Waren es zumindest in den 60er und 70er Jahren. Heute muss man dafür schon Terence Davies-Fime gucken, etwa den wunderbaren Of time and the
city, der de facto eine Kulturgeschichte Englands zwischen 1945 und 1965 erzählt. In Werken wie Sherlock Holmes und ihren neueren Fernsehfilmen arbeiten die Engländer dagegen gehörig mit am Mythos.
Die England-Liebe der Deutschen dürfte noch deutliche Spurenelemente der alten England-Liebe des deutschen Kaiserreichs enthalten, als man im späten 19. Jahrhundert, im britischen (im
deutschen Auge »englischen«) Empire den einzigen nicht-verachtenswerten Rivalen im Kampf um die Weltmacht sah. Schon damals war diese England-Faszination eine perverse Liebe, die vom Objekt des Begehrens keineswegs erwidert wurde. Dieser Film sollte damit jetzt endgültig aufräumen.
Oxford: Das neue Semester beginnt. Es gibt keinen richtigeren Helden, sondern es gibt mehrere Hauptfiguren. Miles, Alasdair, Lauren. Harry Potter lebt hier nicht mehr, dafür herrscht der Geist von Margaret Thatcher in jeder Holzdiele und im Gerede der Mit-Zwanziger. Hübsche Jungs, ja. Aber ständig betrunken, dumm, und mit viel zu viel Geld.
In deren Kreisen sagt man »napkin«, nicht »serviette«, man sagt »pudding«, nicht »dessert«. Wer das nicht begreift, ist nicht »posh« und wird nie
ein Mitglied im »Riot Club«. Dieser ist benannt nach einem Lord Riot, dessen Motto einst lautete »nothing without joy and everything to excess«. Es ist eine hochelitäre Studentenverbindung. 20.000 Studenten studieren in Oxford, nur zehn sind im »Riot Club«, das macht klar, um welchen Grad des Elitären sich es hier handelt. Natürlich ist er fiktiv, aber trifft doch vieles von dem, was der englischen Männer-Elite eigen ist. Ihren Masochismus, ihre Maßlosigkeit, ihre Männerbünde.
»Hasn’t anyone noticed how massively homoerotic this is?« fragt Lauren, die einzig Sympathische, als sie den Haufen mal in der Bar beobachtet.
Dieser Club hat auch reale Vorbilder, wie jene Verbindung, die etwa Premier David Cameron besuchte, der sich als erster Minister Ihrer Majestät schon mehrfach entschuldigen musste, wenn wieder irgendetwas aus seinen Studientagen in der Presse steht: Nein, damit habe er selbstverständlich nichts gewusst, nein, damit habe er nichts zu
tun, er habe fleißig studiert. Was er studiert hat, und wie solche wasserdichten Ausreden verabredet, eingeübt und notfalls durch einen Sündenbock beglaubigt werden, das sieht man hier.
Es geht um Klassenverhältnisse. Und damit sind, ihr Begriffstutzigen, nicht die Unterrichtsklassen gemeint. Der Film bezieht deutlich Stellung gegen soziale Ungleichheit. Denn auch wenn sich in einer modernen Gesellschaft erlauchte Universitäten wie Oxford gezwungenermaßen für andere Schichten öffnen, rekrutiert sich die Spitze der Gesellschaft doch weiterhin aus den Nachkommen der oberen Zehntausend, wie eh und je. Hier herrscht keine Demokratie. Das nimmt der Film auf die Spitze. Wie im 18. Jahrhundert greift er die moralische Verderbtheit der Oberklasse an. Sie ist die Ursache von Gewalt und Dekadenz. Man könnte vielleicht heute hinzufügen, dass die Unterschichten nicht besser sind. Sie bewundern diese Leute, wären tatsächlich gern wie sie und würden überwiegend dasselbe tun: Kalter, boshafter Exzess – erlaubt ist, womit man durchkommt, und was man bezahlen kann.
Dieser Film von der offenkundig anglophilen aber nicht unkritischen Dänin Lone Scherfig (An Education) handelt also von Menschen, die behaupten, die Ausschweifung zur Kunst zu erheben. Tatsächlich stellen sie sich selber bloß. Dies ist ein Film über »Us« und über die Differenz zwischen »them and us«. Ein Film über Sprache. The Riot Club wirkt wie eine Hardcore-Version des Club der toten Dichter. »Carpe fucking diem!« rufen sie denn auch, als sie irgendwann schon recht breit sind.
The Riot Club ist unterhaltsam und scharf, ein sehr guter Film und ein Beispiel für europäisches Kino, das im guten Sinne kaum von Hollywood infiziert ist.