Kanada/D 2015 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Atom Egoyan Drehbuch: Benjamin August Kamera: Paul Sarossy Darsteller: Christopher Plummer, Dean Norris, Martin Landau, Henry Czerny, Bruno Ganz u.a. |
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Hält wohl nur ein leeres Blatt in der Hand: Christopher Plummer |
Memento im Rollator-Modus. Und Road-Movie mit Holocaust-Anleihen. So oder ähnlich lässt sich der neue Spielfilm des armenisch-kanadischen Regisseurs Atom Egoyan umschreiben, der einst mit kunstvoll-verschachtelter Vergangenheitsbewältigung begeistern konnte. Werke wie Das süße Jenseits und Ararat offenbaren ein Gespür für filmisches Erzählen und einen differenzierten Umgang mit den Themen »Trauern« und »Erinnern«. Umso erstaunlicher, dass nichts davon im Thriller-Drama Remember erkennbar ist, das 2015 im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig seine Weltpremiere feierte. Was als rührende Geschichte eines dementen Auschwitz-Überlebenden beginnt, entwickelt sich rasch zu einem kruden, allerdings hausbacken inszenierten Rachefeldzug, der die Erlebnisse des Protagonisten und seinen Gesundheitszustand ausschlachtet, um den Zuschauer am Ende mit einer fragwürdigen Pointe zu überraschen.
Der 90-jährige Zev Guttman (Christopher Plummer) ist auf fremde Hilfe angewiesen. Daran lässt schon die erste Szene keinen Zweifel, wenn der alte Mann in einem Seniorenheim aus dem Schlaf hochschreckt, besorgt nach seiner Ehefrau ruft und vom Pflegepersonal erfährt, dass sie erst kürzlich verstorben ist. Viel Zeit zum Grübeln bleibt dem Demenzpatienten nicht, denn kurz darauf erinnert ihn Mitbewohner Max (Martin Landau), dass der KZ-Aufseher, der ihre Familien ermordet hat, unter falschem Namen in die USA geflohen ist und dort bis heute unbehelligt lebt. Da Max im Rollstuhl sitzt, soll sich Zev auf die Suche machen und den früheren Nazi zur Strecke bringen. Ausgestattet mit einem Brief, der die wichtigsten Informationen zusammenfasst, bricht der demenzkranke Witwer auf und steuert schon bald den ersten von insgesamt vier Männern im entsprechenden Alter an, die als Rudy Kurlander in Nordamerika gemeldet sind.
Ohne lange Einführung schicken Egoyan und Drehbuchautor Benjamin August ihren Protagonisten auf eine ungewisse Reise, wobei sich von Anfang an die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Unternehmung stellt. Erstaunlich, wie leicht dem 90-Jährigen die Flucht gelingt. Bemerkenswert, dass er beinahe problemlos eine Waffe erwerben kann, obwohl er sich äußerst merkwürdig verhält. Kurios, dass sich niemand – nicht einmal ein Grenzpolizist – bemüßigt fühlt, dem verwirrten Greis genauer auf den Zahn zu fühlen. Und seltsam, dass man ihn überall sofort willkommen heißt. Die Liste der Ungereimtheiten und Zufälle ließe sich weiter fortführen, vermittelt aber auch so ein Bild von den Problemen, mit denen Remember auf Plot-Ebene zu kämpfen hat.
Begleitet wird das behäbige Abklappern der einzelnen Stationen von undifferenziertem Gedudel, das nur selten Ruhepausen kennt. Während Christopher Plummer bemüht ist, das geistige Leiden der Hauptfigur bestmöglich greifbar zu machen, kochen Regie und Drehbuch Zevs Verfassung häufig auf banale Situationen herunter. Hier und da verliert der Auschwitz-Überlebende die Orientierung und findet erst mithilfe des Briefes, den Max verfasst hat, zurück zu seiner Mission. Die Qualen, die ein demenzkranker Mensch in einer fremden Umgebung durchleben müsste, werden dabei nur selten eingehender beleuchtet. Spätestens im zweifelhaften Showdown erweist sich der Zustand des alten Mannes als billiger Drehbuchkniff, der die gewollt schockierende Schlusswendung überhaupt erst möglich macht.
Narrative Berechnung siegt über thematische Vertiefung. Das gilt auch für den angestoßenen Holocaust-Diskurs, der schon deshalb spannend ist, weil die Opfer und die Täter aus der Nazi-Zeit in einigen Jahren nicht mehr leben werden. Ein Umstand, den Egoyan als Motor für seine Rachehandlung nutzt, ohne sich ernsthaft mit den Auswirkungen der Verbrechen und dem Schmerz des Erinnerns zu befassen. Gelegentlich sind auf der Tonspur Geräusche wie Explosionen oder Sirenen zu vernehmen, die aus einem KZ-Alltag stammen könnten. Prägnante Reaktionen rufen sie beim demenzkranken Protagonisten jedoch nicht hervor, sodass die eigentlich reizvollen Andeutungen eher wirkungslos verpuffen.
Selbst wenn man Remember zubilligen muss, dass er starre Grenzen zwischen Gut und Böse hinterfragt, schlägt der Film unter seiner pseudoseriösen Oberfläche einen derart reißerischen Weg ein, dass man am Ende nur noch staunen kann. Platte Klischees wie ein deutscher Soldat (gespielt von Bruno Ganz), dessen Kriegsschnappschüsse sofort griffbereit liegen, und ein glühender Nazi-Verehrer, der dem unbekannten Zev freimütig die Devotionalien-Sammlung seines Vaters präsentiert und eine Schäferhündin namens Eva besitzt, sind nur zwei Bespiele für den recht sorglosen Umgang der Macher mit ihrem Ausgangsmaterial. Gerade von Egoyan hätte man mehr erwarten dürfen als einen manipulativen Reißer, der vor allem durch Logiklöcher glänzt. In Abwandlung des Filmtitels bleibt dem Zuschauer am Ende wohl nur eines übrig: Vergessen, so schnell wie möglich!