Der Pfad

Deutschland 2021 · 100 min. · FSK: ab 6
Regie: Tobias Wiemann
Drehbuch: ,
Kamera: Martin Schlecht
Darsteller: Julius Weckauf, Nonna Cardoner, Volker Bruch, Bruna Cusí, David Bredin u.a.
Filmszene »Der Pfad«
Der Junge ist an der frischen Luft
(Foto: Warner Bros.)

Nazi-Flucht im Weichspülgang

Tobias Wiemanns Film Der Pfad übersetzt eine historisch-lebensbedrohliche Situation in eine Tim-und-Struppi-Welt

Eine Flucht vor den Nazis über die Pyrenäen als Fami­li­en­film. Tobias Wiemann (Amelie rennt) hat Rüdiger Bertrams Roman »Der Pfad – Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit« verfilmt. Der Autor hat auch, zusammen mit Jytte-Merle Böhrnsen, der Ehefrau des Regis­seurs, am Drehbuch mitge­ar­beitet.

Julius Weckauf (Der Junge muss an die frische Luft) spielt den zwölf­jäh­rigen Rolf, der mit seinem Vater, einem regime­kri­ti­schen Jour­na­listen, 1940 vor den Nazis von Frank­reich nach Portugal fliehen will, um dort ein Schiff nach Amerika zu erreichen. Dort wartet die Mutter von Rolf (Anna Maria Mühe) auf die beiden. Während Weckauf in der Hape-Kerkeling-Verfil­mung perfekt zur Rolle passt, wirkt er in diesem Film falsch besetzt. Seine naive Unbeküm­mert­heit, sein paus­bä­ckiger Frohsinn und die flotten Sprüche wirken in der exis­ten­zi­ellen Situation der Flucht unglaub­würdig. Die Ängste und Einschrän­kungen einer solchen Lage nimmt man ihm nicht ab. Auch Kindern sollte man nicht vermit­teln, dass so eine Flucht eine fröhliche Schnit­zel­jagd ist, bei der man seinen Hund mal im Kochtopf, mal durch Alkohol narko­ti­siert im Umhän­ge­beutel versteckt. Das ist einfach nur lächer­lich. Auch das Vater-Sohn-Gespann mit Volker Bruch als Vater funk­tio­niert nur bedingt. Bruch, der sich in Serien wie »Unsere Mütter, unsere Väter« oder »Babylon Berlin« als ideale Besetzung für die 30er/40er-Jahre erweist, will einfach nicht recht zu seinem Film-Sohn passen. Dass er vor dem Aufstieg in die Berge nicht die große Tasche seines Sohnes kontrol­liert, in der dieser den Hund versteckt, der nicht mit soll, ist ebenso unrea­lis­tisch wie der deutsche Wort­schatz der spani­schen Flucht­hel­ferin Núria (über­zeu­gend: Nonna Cardoner), die angeblich nur ein paar Brocken Deutsch spricht. Und warum muss unbedingt der Hund mit von der Partie sein, der den Vater in Lebens­ge­fahr bringt? Warum dann nicht gleich eine Verfil­mung von »Tim und Struppi in den Pyrenäen«? Solche Unstim­mig­keiten prägen den Film, der seine histo­ri­sche Glaub­wür­dig­keit Kinder­film-Szenen opfert wie dem Ritt auf einem gerade herum­ste­henden Rappen, bei dem der ängst­liche Rolf auch noch die Arme ausbreitet, weil er sich so toll frei fühlt. Auf diese Weise vermit­telt man jeden­falls nicht die emotional erschöp­fende Gefah­ren­lage. Auch wenn sich Núria endlos mit ihren Eltern umarmt, direkt vor dem Haus, wo die Eltern gerade als Geiseln gefan­gen­ge­halten wurden – also immer noch in Lebens­ge­fahr, fragt man sich schon, wie viel Einfüh­lung in die jeweilige Situation beim Schreiben des Drehbuchs vorhanden war.

Im Gegensatz zum Buch ist die Schleu­serin über die Pyrenäen hier ein Mädchen, kein Hirten­junge. Natürlich ist so eine zarte, kindlich-jugend­liche Geschlech­ter­an­nähe­rung immer nett anzu­schauen, aber auch hier gibt es in manchen Szenen Über­trei­bungen – Rolf zieht Núria beispiels­weise einmal aus Spaß zu sich in den See – die dem Ganzen eine Art Feri­en­la­ger­stim­mung verleihen.

Lobens­wert ist der Versuch, sprach­li­ches und inhalt­li­ches Zeit­ko­lorit zu erzeugen, etwa dadurch, dass Rolf »Der 35. Mai« von Erich Kästner liest oder zeit­ty­pi­sche Ausdrücke wie »kapital« verwendet. Aber bei dem Gut-oder-Böse-Spiel, das Vater und Sohn spielen, indem sie sich Leute anschauen und dann zuordnen, kippt die Aussage in eine Schwarz-Weiß-Moral, die selbst acht­jäh­rigen Kindern nicht zugemutet werden sollte. So ist die lesende Frau selbst­ver­s­tänd­lich gut, der Mann mit der Nazi­uni­form selbst­ver­s­tänd­lich böse. Ethik für Anfänger.

Fami­li­en­filme haben sicher­lich die Aufgabe, ernste und belas­tende Themen so aufzu­be­reiten, dass Kinder und Jugend­liche keinen seeli­schen Schaden nehmen. Auch ist gegen ein Happy End nichts einzu­wenden, wenn es das Darge­stellte erlaubt. Bedroh­lich­keit und Ernst einer Situation können aber trotzdem vermit­telt werden, das wird sogar in Kinder­se­rien getan. Dies ist auch keine Frage der Kinder­per­spek­tive, aus der man erzählt. Warum also die ganze Hund-Pferd-Mädchen-Junge-Nummer bei einer eigent­lich hoch­dra­ma­ti­schen Über­le­bens­ge­schichte? Soll man mit der Erkenntnis aus dem Kino kommen, dass so eine Flucht doch eigent­lich ziemlich lustig und aben­teu­er­lich war? Auf diese Weise wird man keiner Flucht­er­zäh­lung gerecht, weder einer aus der NS-Zeit noch einer aktuellen. Apropos aktuell: Wenn man schon im Abspann auf die derzeitig 34 Millionen Kinder­flücht­linge hinweist, warum verfilmt man dann keine aktuelle Geschichte?