Peter von Kant

Frankreich 2022 · 86 min. · FSK: ab 16
Regie: François Ozon
Drehbuch:
Kamera: Manuel Dacosse
Darsteller: Denis Ménochet, Isabelle Adjani, Khalil Gharbia, Hanna Schygulla, Stéfan Crépon u.a.
Leid und Leidenschaft
(Foto: MFA/Filmagentinnen)

Fassbinder-Fantasie

Mit Peter von Kant setzt François Ozon Fassbinder an die Stelle seines Werks. Das ist nicht gefahrenlos, aber gerecht

»In my room, way up the end of the hall / I sit and stare on the wall / Thinking how lonesome I’ve grown, all alone / In my room«, singen die Walker Brothers vom Plat­ten­spieler. Peter tänzelt dazu durch sein Zimmer, die Zigarette und ein Glas in der Hand, mal im Seiden­mor­gen­mantel, der schon bessere Tage gesehen hat und über seinem Wanst klafft, mal im Zwei­reiher, weil Besuch da ist. Peter, der Regisseur, der gerade mit Furor an einem Drehbuch arbeitet, hat auch einen Sekretär, den Karl. Der gleich­zeitig auch sein Mädchen für alles ist, ein verflos­sener Liebhaber und Erdulder seiner Launen, der gleich­mütig zusehen muss, wie Peter sich in einer neuen Leiden­schaft verliert: der junge Amir (Khalil Ben Gharbia) steht eines Tages vor seiner Tür, zarte braune Haut, lange Wimpern, Wuschel­lo­cken, unwi­der­steh­liche Jugend. Nach dem Sex mit ihm kommt die Liebe, nach der Liebe die Verzweif­lung: Amir nämlich wider­steht dem kapri­ziösen Peter mit sadis­ti­schem Liebes­entzug. Das ist nach­voll­ziehbar brutal.

Peter von Kant heißt der Film, und der Titel reimt sich natürlich auf Petra von Kant, Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1972), das Kammer­spiel von Rainer Werner Fass­binder, dessen Tod sich dieses Jahr zum 40. Mal jährt. Der fran­zö­si­sche Regisseur François Ozon hat mit Peter von Kant nun bereits zum zweiten Mal nach Tropfen auf heiße Steine (2000) seine große Fass­binder-Verehrung auf die Leinwand gebracht. Hier vergeht er sich, so muss man es wohl formu­lieren, – anders als vormals, als er ein relativ unbe­kanntes Fass­binder-Thea­ter­stück adap­tierte – an einem der Meis­ter­werke Fass­bin­ders. Die bitteren Tränen der Petra von Kant erzählte von einem sado­ma­so­chis­ti­schen Leiden­schafts­dreieck, in dessen Passions-Zentrum die nervöse Petra von Kant steht, die mit ihrer Sekre­tärin zusam­men­wohnt und sie wie eine Sklavin behandelt. Peter von Kant ist auch sonst eng an den Ur-Plot angelegt: auch im Original steht ein faszi­nie­rendes Model vor der Tür und verdreht Petra den Kopf bis zum nebulösen Zustand, weil sie ihren Kummer in Drinks ertränkt.

Mit dem Austausch des Vornamens und dem damit verbun­denen Gender­wechsel – Petra heißt jetzt Peter – macht es sich Ozon natürlich erst einmal sehr einfach, viel­leicht zu einfach. Er bringt damit aber auch das Werk Rainer Werner Fass­bin­ders in Bewegung und insgesamt in metony­mi­sche Vertau­schung, als würden die Platz­halter innerhalb einer gleich­blei­benden narra­tiven Anordnung wechseln. Das weibliche, queere Geschlecht macht dem männ­li­chen, ebenso queeren Geschlecht Platz, das Begehren bleibt homo­se­xuell. Schau­spieler Denis Ménochet, der Peter von Kant spielt, sieht außerdem RWF täuschend ähnlich. Kein Zweifel, mit Peter ist eigent­lich Rainer gemeint, nur so explizit wollte es Ozon dann doch nicht handhaben.

Mit dem Auftreten von Hanna Schygulla als Mutter von Peter (im Original taucht die Mutter von Petra auf) hält eine der eminen­testen Reprä­sen­tan­tinnen des Fass­binder-Univer­sums Einzug in Ozons Film. Sie ist damit irgendwie auch die Mutter von Fass­bin­ders Kreation, und viel­leicht sogar die Mutter von Fass­binder himself, der ja auch seine eigene Mutter in sein Film­uni­versum inte­grierte. Isabelle Adjani, sie ist Sidonie, Sängerin und eine der Figuren, die bei Peter von Kant ein- und ausgehen, dringt wiederum wie ein Fremd­körper aus dem fran­zö­si­schen Kino in das Fass­binder-Universum ein. Adjani ist mondän und verkör­pert eine gewisse Andro­gy­nität und Eleganz, die wiederum gut zu Petra von Kant gepasst hätte. Würde Fass­binder noch leben, wäre Adjani früher geboren, wäre Fass­binder ein fran­zö­si­scher Regisseur gewesen: die Adjani hätte eine Fass­binder-Schau­spie­lerin sein können. Sagt uns Ozon.

Vor allem aber nimmt es Ozon auto­bio­gra­phisch. Amir ist der Wieder­gänger von Fass­bin­ders großer Liebe El Hedi ben Salem, mit dem er wiederum genau in der Zeit zusammen war, als er Die bitteren Tränen der Petra von Kant schrieb und insze­nierte. Ozon gibt hier einem weit­ver­brei­teten Impuls nach, die legendäre Fass­binder-Familie nicht oder nur mit Wider­willem von seinen Filmen zu unter­scheiden – die Wirk­lich­keit des Filmteams hat bei Fass­binder zum Beispiel auch in Warnung vor einer heiligen Nutte in die Fiktion hinein­dik­tiert, genauso verlän­gerten sich die Fiktionen in die realen Gefüge der »Familie«.

Die Ineins­set­zung der Ebenen des Kunst­werks – jener, die es erst hervor­bringt, und jener, die es anfüllt – führt zum größten Platz­hal­ter­spiel in Peter von Kant, durch das Ozon Fass­binder zum unun­ter­scheid­baren Synonym seiner Filme werden lässt. Ozon vertauscht, indem er Peter von Kant als das Alter Ego von Fass­binder insze­niert, kurzer­hand das Universum der Kreation mit dem Werk. Fass­bin­ders Filme können für Ozon nur »Fass­binder-Filme« sein: Werke seiner genialen Autor­schaft, vor denen die Filme selbst fast verschwinden. Sie können für ihn nicht mehr aus sich selbst heraus wirken, weil man immer den biogra­phi­schen Fass­binder dazudenkt. So zemen­tiert Ozon durch sein Petra von Kant-Remake, dass Fass­bin­ders Genia­lität die Größe seiner Filme heute unwei­ger­lich über­schattet. Fass­binder mag sich aus heutiger Warte tatsäch­lich an die Stelle seiner äthe­ri­schen Figuren gesetzt haben. Er wird damit zum Phantasma, das sich mit wenigen Strichen zeichnen lässt, und letztlich zu einer Kunst­figur, zu seinem Comic und auch zu seiner eigenen Karikatur. Wie jetzt als Peter von Kant.

Ozons Unter­fangen kann man leicht auch blas­phe­misch nennen oder anmaßend. Wer es aber nicht so päpstlich nimmt, kann die plüschige und schwüle Atmo­s­phäre in Peters / Fass­bin­ders Zimmer aus sicherer Distanz heraus mit viel Freude genießen, und sich ohne viel Verlust den ober­fläch­li­chen Reizen dieser Fass­binder-Fantasie anver­trauen. Und sicher­lich wird eines nicht passieren: Dass der Peter die Petra verdrängt. Aber auch das ist nur ein weiterer Topos der Fass­binder-Rezeption…