Pearl Harbor

USA 2001 · 183 min. · FSK: ab 12
Regie: Michael Bay
Drehbuch:
Kamera: John Schwartzman
Darsteller: Ben Affleck, Josh Hartnett, Kate Beckinsale, Cuba Gooding Jr. u.a.
Bruckheimer läßt's knallen

Viel­leicht ist alles nur Resultat einer unge­sunden Halb­bil­dung. Viel­leicht haben Jerry Bruck­heimer und Michael Bay damals in der Schule nicht richtig hingehört und sich genau die falschen 50% der berühmten Defi­ni­tion von Klassik – »Edle Einfalt, stille Größe« – gemerkt. Jeden­falls schreit aus Pearl Harbor unüber­hörbar der Wunsch, ein Film­klas­siker zu werden, und jeden­falls hat seine reichlich gebotene Einfalt so gar nichts Edles und das, was er irri­ger­weise für Größe hält, mit Stille überhaupt nichts am Hut.

Allemal ist Pearl Harbor das Resultat einer gigan­ti­schen Fehl­kal­ku­la­tion – Ergebnis des Glaubens, wenn die Dimen­sionen eines Behält­nisses nur riesen­haft genug seien, so würde sich dieses von selbst adäquat füllen. Kalku­la­tion, das ist das Stichwort, mit dem man dem Film am ehesten auf den Grund kommt. Denn kalku­liert ist alles an Pearl Harbor. Die Grund­rech­nung ist hinläng­lich bekannt gemacht worden: Titanic hat das höchste Einspiel­ergebnis aller Zeiten erreicht. Titanic, das war der histo­risch verbürgte Untergang eines riesigen Schiffs, gekoppelt mit einer Liebes­ge­schichte, besetzt mit Stars, die damals noch gar keine waren. Also müsste es doch mit dem Leib­haf­tigen zugehen, wenn sich das Rezept nicht ein zweites Mal verkochen ließe, möglichst mit noch größerem Erfolg. Vor allem wenn gleich mehrere Schiffe unter­gehen. Und die »Stars« viel­leicht nie welche werden.(Und dann ist da natürlich noch die Neben­rech­nung: Mit Saving Private Ryan hat der einst als Action-Kasper verschriene Steven Spielberg bei vielen Kritikern – vor allem den mit Blind- und Taubheit geschla­genen – endgültig die Repu­ta­tion eines »ernsten«, »wichtigen« Regis­seurs erworben. Ein bisserl Zweiter Weltkrieg und Patrio­tismus kann also nicht schaden, für die als Action-Kasper verschrienen Herrn Bruck­heimer und Bay...) Und so hat man sich also den Film zusam­men­ge­bas­telt, schön immer von außen nach innen denkend – und dann das Innere doch verges­send. Man kommt um den Eindruck nicht herum, dass fest­ge­standen haben muss, dass Pearl Harbor drei Stunden zu füllen habe, lange bevor jemand wusste, womit.

Wie kurz das alles im entschei­denden Moment stets gedacht ist, beweist schon die Wahl des Sujets. »Titanic«, das ist für uns eine Metapher und ein moderner Mythos. Was an dem Stoff histo­risch Hand­festes dran ist, das ist heute der kaum noch entschei­dende Teil. Nicht das Ereignis, seine Symbol­kraft zählt – und James Cameron hat daraus einen Film über Mythen und das Herstellen (mythi­scher) Bilder gemacht. (Ein Film, der selbst von manchen Bewun­de­rern noch zu oft unter­schätzt wird.)

»Pearl Harbor«, das ist nun aber mal ein geschicht­li­ches Ereignis, das von seinem Kontext nicht zu trennen ist. Selbst in der ameri­ka­ni­schen Psyche hat es besten­falls halb­my­tho­lo­gi­schen Stel­len­wert; als Metapher für etwas allgemein Mensch­li­ches (oder zumindest alle eini­ger­maßen verwest­lichten Kulturen Über­grei­fendes) taugt es nicht. Pearl Harbor, das ist nur ein Glied in einer Kette von Ursachen und Konse­quenzen – die Tatsache, dass große Schiffe zerbombt wurden und tausende Menschen starben, ist in diesem Fall aus sich selbst heraus noch ohne jede höhere Bedeutung.Wie schwer es ist, dem Ganzen überhaupt so etwas wie eine »Story« abzu­ringen, merkt man schon daran, dass Pearl Harbor in seiner letzten Stunde noch die Story des Angriffs von Jimmy Doolittle und seiner Mannen auf Tokyo dranhängt; eine reichlich will­kür­liche Entschei­dung, aber notwendig, um sich daraus dann einen wackligen Bogen zu konstru­ieren von der trau­ma­ti­schen Verlet­zung und ihrer helden­haften Über­win­dung. Trotzdem bleibt die vorge­gau­kelte Abge­schlos­sen­heit des Films (der ganz klassisch zum Schluss das aller­erste Bild wieder aufnimmt und auch alle Prot­ago­nisten – wenn­gleich auf leicht gruselige Weise – wieder vereint) wenig über­zeu­gend, wirkt erzwungen und halb­herzig. Denn mit dem finalen Abdichten der Liebes­ge­schichte ist der Fluss der Geschichte selbst nicht einge­dämmt.

Geschichte nun freilich könnte Bay und Bruck­heimer kaum weniger inter­es­sieren. Geschichte, das ist in Pearl Harbor etwas, was sich in kurzen Wochen­schau-Ausschnitten abspielt; Geschichte, das ist ein zeit­li­cher esta­blis­hing shot, nicht mehr.Bei einem Film, der kein einziges seiner Elemente wirklich ernst nimmt, müsste man sich nicht weiter darüber aufregen (wie es viele getan haben), wenn er es auch mit der Historie nicht tut. Das Ärger­lichste daran, dass er Roosevelt zum über­raschten Unschulds­lamm macht, anstatt zu zeigen, dass dem – sehr wohl vorher vom Angriff infor­mierten – Präsi­denten die umge­kom­menen Soldaten als notwen­diges Opfer zur Durch­set­zung des über­fäl­ligen Kriegs­ein­tritts erschienen, ist, dass sich der Film damit poten­tiell die viel span­nen­dere Geschichte verschenkt hat. (Freilich wäre man dann womöglich um den Genuss des haltlos char­gie­renden John Voight gekommen, der seinen FDR eher in der Nähe von Danny DeVitos Penguin aus Batman Returns angelegt hat.) Nein, niemand hat sich von Pearl Harbor eine Geschichts­stunde erwarten dürfen, und man sollte nicht maulen, wenn man sie auch nicht bekommt. Ande­rer­seits kann man es aber nur mit Grusel quit­tieren, wenn man dann liest, dass Bruck­heimer zur Premiere des Films die Über­le­benden des Ereig­nisses lud und die Vorfüh­rung auf einem Flug­zeug­träger im Hafen von Pearl Harbor statt­finden ließ. Im Hafen von Pearl Harbor, auf dessen Grund noch immer über 1000 Tote in dem Flug­zeug­träger USS Arizona liegen. Menschen, deren Tod nun über ihren verwe­senden Köpfen als unter­halt­sames Spektakel abge­feiert wurde. (In den Multi­plexen des Para­dieses läuft derzeit irgendwo ein billiger, dreckiger italie­ni­scher Horror­film über die Rückkehr dieser Männer als Zombies, die das Pearl Harbor-Premie­ren­pu­blikum verspeisen.)

Es ist zu bezwei­feln ob Bruck­heimer, und erst recht ob Bay, ernsthaft glaubt, dass sein Film irgend­etwas mit den realen Ereig­nissen vom 7. Dezember 1941 zu tun hat. Aber man schmückt sich eben mit dem über­di­men­sio­nalen Glanz des Ereig­nisses, zitiert es – und wenn’s sein muss in leib­haf­tiger Gestalt der Veteranen – herbei, um einem weithin belang­losen Streifen Zelluloid davon profi­tieren zu lassen, der aus eigener Kraft nicht leuchten kann.

Das histo­ri­sche Ereignis bleibt Klötzchen im Baukas­ten­prinzip des Films. Zwar ist Pearl Harbor noch eher aus einem Guss als zuletzt Arma­geddon, da offenbar diesmal das Drehbuch tatsäch­lich vor Dreh­be­ginn stand und es aus nur einer Feder ist. Das freilich ist die Feder von Randall Wallace, der sich mit Brave­heart bereits als Experte für überlange Schlacht­schinken mit einiger unfrei­wil­liger Komik geoutet hat und mit The Man in the Iron Mask als Fachmann fürs unendlich Platte. Und auch ihm hat merklich der Produzent diktiert – mit dem bekannten Kalkül und der Über­zeu­gung, dass das Gesamte ein gefäl­liges Bild abgeben werde, wenn es denn eine Summe aus Bröcklein für alle Inter­es­sens­gruppen sei.

Die Liebes­ge­schichte hat man sich aus ‘40er-Jahre-Kriegs­filmen abgeholt, dieses bekannte Melodram vom totge­glaubten Soldaten und seiner Rückkehr, bei der er seine über alles Geliebte in den Armen des besten Freundes findet. Aus der selben Quelle stammt die folgende Mär von der Notwen­dig­keit der Opfer­be­reit­schaft, die zum Glück kaum mit genug Über­zeu­gung präsen­tiert wird, dass man sich mit Unbehagen fragen könnte, worauf wir heute in Frie­dens­zeiten mit dem Einüben des Opferns vorbe­reitet werden sollen.

Drumrum wird munter gestü­ckelt: Weil Humor immer toll ankommt, gibt es einen stoto-toto-toto-tternden Kumpel (hei, wie luuuustig). Weil Afro-Ameri­kaner einen nicht uner­heb­li­chen Teil des poten­ti­ellen Publikums ausmachen, darf Cuba Gooding, Jr. eine Art 5-Minuten Reader’s Digest Fassung von Men of Honor geben. Ein bisserl Kran­ken­schwester-Report ist dabei, und nur die verbis­sensten Kultur­pes­si­misten zücken da die einschlägigen Theweleit-Kapitel.Und selbst­ver­s­tänd­lich fehlt nicht eine Prise Patrio­tismus. »Es gibt nichts stärkeres auf der Welt als das Herz eines Frei­wil­ligen.« Das ist, für sich betrachtet, ein übler Satz. Und wenn am Ende Kate Beck­in­sale in einem Schluss­mo­nolog preist, wie sich Amerika durch die Ereig­nisse von Pearl Harbor in unauf­halt­samem Sieges­willen zusam­men­ge­funden hat, dann dürfte es einem eigent­lich arg unwohl werden. Aber die ameri­ka­ni­sche Flagge weht in Pearl Harbor seltsam verschämt, eher aus Pflich­ter­fül­lung denn aus Über­zeu­gung. Den Satz mit den Frei­wil­ligen sagt Alec Baldwin, und warum sollte man ausge­rechnet in diesem Film damit anfangen, irgend­etwas ernst zu nehmen, was Alec Baldwin sagt. Und der Schluss­mo­nolog, hat das Studio verlauten lassen, wird in der japa­ni­schen und deutschen Fassung fehlen. Man wolle niemandem zu nahe treten. (»Most (sic!) people know who won the war, anyway,« meinte ein anonymer Studio­in­for­mant dazu.) Titanic hat 20% seines Umsatzes in Japan gemacht. Im Konflikt zwischen Kapi­ta­lismus und Patrio­tismus kapi­tu­liert bei Pearl Harbor allemal der Patrio­tismus.

So ist der Film gott­sei­dank von dem perfiden Lobgesang aufs solda­ti­sche Menschen­bild weit entfernt, den Spielberg mit Saving Private Ryan ange­stimmt hat. Und ebenso von der gar zu verbis­senen, gar zu dumpfen, allzu dröh­nenden Patrio­titis, die Holly­woods Sommer-Block­buster immer dann anzu­fallen scheint, wenn deutsche Regis­seure den Ton angeben.

Pearl Harbor will eben niemanden verletzten, niemanden verstören. Zur Sicher­heit hat man das Drehbuch einer Gruppe vorgelegt, die über das rechte Bild japa­ni­scher Menschen in ameri­ka­ni­schen Medien wacht, und jetzt also darf General Yamamoto, ob seiner stra­te­gi­schen Brillanz gelobt, sagen »Ein bril­lanter Mann hätte einen Weg gefunden, den Krieg zu verhin­dern« und überhaupt immer recht zerknirscht schauen, als würde ihm das alles keinen Spaß machen. Ansonsten bleiben die Japaner weit­ge­hend ohne Gesicht und Indi­vi­dua­lität, aber das haben sie mit den ameri­ka­ni­schen Statisten völlig gemein, die höchstens ab und zu mal »I can’t swim!« schreien dürfen, bevor sie in die Fluten plumpsen.

Über Rassismus können sich eigent­lich nur noch die Engländer beklagen, die, soweit überhaupt zu sehen, als knaut­schige, unat­trak­tive Karri­ka­turen neben dem ameri­ka­ni­schen Strah­le­mann stehen und mit komischem Akzent sprechen. (Im Vergleich mit den Schotten freilich kommen sie gut weg – die werden von einer Art Inkar­na­tion des Grounds­keeper Willie aus den Simpsons verkör­pert.) Der ameri­ka­ni­sche Chau­vi­nismus äußert sich in diesem Film auf ganz andere, eher verquere Weise: Beim Angriff auf Tokyo darf viel weniger und viel kürzer nur Zeugs explo­dieren – die Skala ist nicht eine des Leidens oder der Moral sondern eine des puren Schau­werts.

Michael Bays Kino (und das ist, auch wenn diese Trenn­linie selten gezogen wird, noch einmal etwas anderes als Jerry Bruck­hei­mers Kino) ist ein Kino des reinen Spek­ta­kels – was nur eine Fest­stel­lung, keine Wertung zu sein hat. Das Erblühen von Feuer­bällen, die rasante Bewegung, das Zerstieben von Materie in ihre Einzel­teile, das ist Bays eigent­li­ches Metier. Hier findet Pearl Harbor auch zu Sekunden von gelun­gener Über­wäl­ti­gung, zu Momenten von Schönheit. Als eine japa­ni­sche Bombe ihren Weg unter Deck eines der großen Schlacht­schiffe findet und dieses Deck bei ihrer Deto­na­tion dann von innen heraus hebt und sprengt, da schnup­pert der Film tatsäch­lich an so etwas wie Größe. Doch Bays Spektakel ist so rein, dass diese Momente gänzlich unver­bunden stehen. Wie in allen seiner Filme ist seine Action kein Wech­sel­spiel aus Aktion und Reaktion, will sie von den Gesetzten des Suspense nichts wissen: Auch in Pearl Harbor geht man sehr bald aller räum­li­chen Orien­tie­rung verlustig, weiß die Hälfte der Zeit nicht, was da explo­diert und warum. Schon bei dem ersten, kleinen Luftkampf über dem Ärmel­kanal fällt es manchmal schwer, Freund und Feind ausein­an­der­zu­halten, mitzu­be­kommen, in welches Cockpit man gerade blickt und welcher Flieger vor oder hinter welchem anderen ist. Während der 40 Minuten der japa­ni­schen Attacke ist über weite Strecken unmöglich auszu­ma­chen, welches der ameri­ka­ni­schen Schiffe gerade getroffen wird und wo die Charak­tere wären, an deren Schicksal wir Interesse zu zeigen hätten. (Die Einzel­teile des Films sind abge­schottet vonein­ander wie Flut­kam­mern: Eine Stunde Expo­si­tion der Charak­tere und der Liebes­ge­schichte, vierzig Minuten Explo­sionen, zwanzig Minuten tragische Nachwehen, eine Stunde Vorbe­rei­tung und Durch­füh­rung des Gegen­an­griffs auf Tokyo. Unter­ein­ander kommu­ni­zieren diese Teile nur rudi­mentär.)Das freilich steht dem Anspruch des Films, eine mensch­liche Tragödie zu zeigen, arg quer im Weg. Zumal der billigste Ausweg – satter Schlachten-Splatter à la Spielberg – verbaut ist: Weil man – wieder die Kalku­la­tion – das poten­ti­elle Publikum durch eine hohe Alters­frei­gabe nicht von vorn­herein beschränken wollte, musste der Film ein »PG-13«-Rating bekommen (entspre­chend in etwa unserem »ab 12«). Und so darf Körpern nie viel passieren. Sie verschwinden einfach, in Feuer­bällen, unter Wasser, werden geschleu­dert und geschluckt. Da ist kein Schmerz (Michael Bay, des Andeutens kate­go­risch unfähig, findet auch keinen Ersatz für explizite Zers­tö­rung von Körpern) – und wenn es Momente gibt, die ihn finden könnten (wie die Hände eines im Schiffs­rumpf einge­schlos­senen Soldaten sich verzwei­felt durch ein Gitter strecken und dann unter­gehen, beispiels­weise), dann ist keine Zeit, ihnen Raum zum Wirken zu lassen, dann muss sofort weiter­ge­he­chelt werden zur nächsten Attrak­tion. (Es hilft nicht gerade, dass die meisten dieser Attrak­tionen sichtlich direkt aus dem Computer stammen – über weite Strecken seiner Action ist Pearl Harbor ein Zeichen­trick­film.) Selbst im Lazarett gibt es zwar Momente, wo Panik spürbar wird, aber Verwun­dung bleibt weit­ge­hend außen vor – die mit dickem Ruß-Makeup beschmierten Statisten wirken eher wie der »Vorher«-Phase eines Weiße-Riese-Werbe­spots entsprungen.

Bruck­heimer und Bay sind im eigenen Ruf gefangen – Spektakel, Spektakel, Spektakel wurde uns beige­bracht, von diesen Namen zu erwarten. Es fehlt ihnen der Mut, diese Erwartung zu enttäu­schen. Alles giert darauf, dass endlich mit dem Feuerwerk begonnen wird, und anstatt die Zeit bis dahin mit zwin­gender Ruhe zu füllen, schnappt der Film nach jeder denkbaren Ersatz­be­frie­di­gung. Da muss dann auch die Musik einer Swing-Band aus den Laut­spre­chern plärren und dröhnen, als wär' das schon der erste explo­dierte Kreuzer. Und dem stot­ternden Soldaten mischt man ein nasales Geräusch unter, das an Elefan­ten­herden gemahnt.

Im Zwischen­mensch­li­chen wird die Insze­nie­rung vollends hilflos. Die Schau­spieler, erzählte Kate Beck­in­sale (die sich von allen im Ensemble am redlichsten müht) in einem Interview, waren selbst dafür verant­wort­lich, dass sie ihre Szenen auch mal probten, ihre Rollen entwi­ckelten. Dafür hatte der Regisseur offenbar weder Zeit noch Interesse. Bay verlässt sich ganz auf seine Kamera, und die kennt nur ein Gesetz: Je größer, desto größer – was die Leinwand am voll­s­tän­digsten füllt, erzeugt das meiste Gefühl. Das heißt, dass er, wann immer Rührung gefragt ist, noch und noch näher an die Gesichter (unab­läss­lich brav und stur im Schuss-/Gegen­schuss-Prinzip gefilmt) herangeht. Das hat schon fast ein Element der Verge­wal­ti­gung – man fürchtet dauernd, dass Bay zum emotio­nalen Höhepunkt das Endoskop auspacken wird und den Darstel­lern in die Nasen­löcher kriechen. Aber er mag noch so nah rangehen: Da ist immer einfach nichts, und ein riesiges Nichts bleibt ein Nichts.

Es gibt bei all dem durchaus ein Moment der Selbst­re­fle­xi­vität, das sich durch den Film zieht: Ziemlich zu Beginn wird uns gezeigt, wie Soldaten sich mit einer Tinktur zum Weinen bringen, um beim Rendez­vous die Kran­ken­schwes­tern zu rühren und rumzu­kriegen. Und dann vergießt Kate Beck­in­sale den Rest des Films eine falsche Träne nach der anderen, ohne Frage dank der Hilfe ähnlicher Schau­spieler-Haus­mit­tel­chen. »Aber es ist so eine lange Geschichte,« beschwert sie sich recht früh einmal, und ihre Freun­dinnen meinen »Erzähl trotzdem, wir haben Zeit«. Und dann dauert Pearl Harbor noch ungefähr zwei­ein­halb Stunden.

Viel­leicht ist dies ein bisschen Augen­zwin­kern, ein bisschen Einge­ständnis. Viel­leicht ist es nur Zuge­ständnis ans post­mo­derne Selsbspie­ge­lungs-Spie­lerein gewohnte Publikum. Sicher ist es so wirkungs- und belanglos für die Gesamt­heit des Films wie jedes andere seiner Elemente. Denn Pearl Harbor schafft es, dass gerade das genaue aufs Detail Schauen, das Nach­denken über das Einzelne nicht mehr greift, nicht weit kommt. Wo immer man etwas fest­ma­chen will, man wird einen anderen Moment finden, der genau das negiert. Es ist ein Film, der unter­schwellig radikal gegen das anar­beitet, was man genau von einem »Klassiker« erwartet: Einheit, Geschlos­sen­heit, Stringenz der Vision.

Und das ist letztlich wohl das Grund­pro­blem des Films überhaupt: Das Kino von Jerry Bruck­heimer und Michael Bay ist, wie immer man es bewerten mag, durch und durch Produkt unserer Zeit, ist ((post)post)modernes Kino. In Pearl Harbor aber zieht es sich das Gewand des »Film­klas­si­kers« an, zitiert eine Ästhetik und eine Welt, an die es nicht glaubt – und meint es dennoch nicht als bloßes Zitat, will wirklich aufgehen in der Rolle. Es arbeitet dabei konse­quent gegen die ihm eigenen Qualitäten, stellt sich unter großen Mühen einer Aufgabe, die es gar nicht zu inter­es­sieren hätte. Und die andere (Tora! Tora! Tora!, In Harm’s Way, 30 Seconds Over Tokyo) bereits gelöst haben. Mit Pearl Harbor sind Bruck­heimer und Bay schluss­end­lich Verlierer in einer Schlacht, an deren Krieg sie nie teil­ge­nommen haben.

Ein Paar für die Ewigkeit, und am Himmel die lodern die Flammen. Michael Bays Pearl Harbor, der auch ein Kriegs­film ist, ist zu allererst eine Liebes­ge­schichte, und eine unglaub­lich kitschige obendrein. Kurz gesagt muss ein ideales Paar – der patrio­ti­scher Flie­ger­of­fi­zier Rafe (Ben Affleck wie immer gutaus­se­hend aber ausdrucksarm) und die Kran­ken­schwester Evelyn (die wenig bekannte Kate Beck­in­sale ist noch das beste an dem Film) – sich erst treffen und verlieben, und dann für eine Weile ausein­ander gehen. Bald gilt er als gefallen, sie tröstet sich nach viel Tränen­ge­kuller mit seinem besten Freund Danny (Josh Hartnett). Dann taucht Rafe, ausge­rechnet in der Nacht vor Japans Angriff wieder auf, alle sind erschüt­tert und wissen nicht weiter, doch glück­li­cher­weise greifen die Japaner an, um die Liebe­san­ge­le­gen­heit in vorher­sehbar puri­ta­ni­scher Weise wieder ins Lot zu bringen.

Eine unori­gi­nelle Schnulze auf Nean­der­ta­ler­ni­veau also – wäre es nicht mehr, als das, man würde Michael Bays Pearl Harbor abtun unter all die vielen anderen Durch­schnitt-Schmon­zetten, die – nicht nur aus Hollywood – allwöchent­lich in Film und Fernsehen zu sehen sind.

Aber dieser Film war teuer, nicht nur ein bisschen, sondern richtig, mit ca. 140 Millionen Dollar einer der teuersten aller Zeiten. Darum wird er auch in Deutsch­land mit 1000 Kopien mit der Gewalt einer Bombe einschlagen – und so leider viele andere, bessere Filme für die nächsten Wochen aus den Kinos verdrängen. Und so wird, verbunden mit einem schier irrsin­nigen Werbe­auf­wand, ein Film zum »Ereignis«, der es weder künst­le­risch, noch aus anderen Gründen verdient hat.

Pearl Harbor gehört auch nicht zu jener Kategorie Kino, die in irgend­einer Form »inter­es­sant mißglückt« genannt werden kann. im Gegenteil: Die ca 40 minuten des über dreis­tün­digen Machwerks, in denen der eigent­liche japa­ni­sche Angriff am Morgen des 7.November 1941 darge­stellt wird, sind noch das Beste. Hier immerhin tut Regisseur Michael Bay – mit Armag­geddon und The Rock bekannt geworden – etwas, das er beherrscht, und insze­niert eine Kriegs­schlacht rasant und spek­ta­kulär. Nicht umsonst gelten Bay und sein Produzent Jerry Bruck­heimer als »Master of Desaster«, als geistlose, aber rein technisch perfekte Spreng­meister für die MTV-Gene­ra­tion, die jede drama­tur­gi­sche Lücke noch mit ein paar zusätz­li­chen Knall- und Effekt­kör­pern stopfen.

Freilich ist es etwas anderes, ob man es mit Aste­ro­iden und erdachten Terro­risten zu tun hat, oder mit einem histo­ri­schen Ereignis von poli­ti­scher und humaner – ja, auch das – Bedeutung. Inhuman und politisch frag­würdig wird eine Kriegs­dar­stel­lung nämlich dort, wo sie die Realität auf den Kopf stellt. Das Bay den Krieg nur als platte Kulisse für einen Unter­hal­tungs­film gebraucht, muss einem nicht gefallen, ist ihm aber eben­so­wenig vorzu­werfen, wie der Verzicht auf eine diffe­ren­zierte Diskus­sion der histo­ri­schen Wirk­lich­keit. Sehr wohl künst­le­risch und moralisch vorzu­werfen ist ihm aber die fast völlige Redu­zie­rung eines Krieges auf ein klinisch sauberes Video­spiel. Es fließt schon Blut, und Tote sieht man auch, doch wird dies alles sofort durch neuen Lärm und neue Bilder wieder vergessen gemacht. Durch­schnitt­lich alle drei Sekunden (auf die Gesamt­länge bezogen) folgt ein Film­schnitt, die Schlacht selbst dürfte daher mehr als drimal so schnell geschnitten sein.

Wer so insze­niert, hält das Publikum fein raus. Es ist zwar mitten­drin, wird sogar selbst zur Bombe, die mit einer Wahn­sinns­ge­schwin­dig­keit hinab­stürzt, und das US-Flag­schiff versenkt, doch es ist nie emotional wirklich beteiligt. Beim Krieg mag das gut sein, für die Romanze ist es tödlich. So erlebt man vor allem Lange­weile, fragt sich, was der ganze Film soll. Und wo Jon Voight mit zenti­me­ter­di­ckem Make-up als Präsident Roosevelt den Feig­lingen in Politik und Arme­e­füh­rung mal so richtig den Marsch bläst, wird es grotesk.

So wurde das viele Geld für einen lahmen, inhalt­lich unbe­hol­fenen Film ausge­geben, der allen Fehl­ur­teilen gegenüber dieser Art von Unter­hal­tungs­in­dus­trie reichlich Nahrung gibt. Aber Hollywood kann es viel besser, und so konfor­mis­tisch wie Bay/Bruck­heimer ist es sonst nie. Das belegen erst recht die Filmen derje­nigen, die Pearl Harbor noch selbst erlebten mussten, Zinne­manns Verdammt in alle Ewigkeit oder – noch viel besser – Otto Premin­gers In Harm’s Way. Der war übrigens schon 1965 schon fast drei Stunden lang. Aber was für welche!