Parasite

Gisaengchung

Südkorea 2019 · 132 min. · FSK: ab 16
Regie: Bong Joon-ho
Drehbuch: ,
Kamera: Hong Kyung-pyo
Darsteller: Song Kang-ho, Cho Yeo-Jeong, Park So-dam, Chang Hyae Jin, Jung Hyeon-jun u.a.
Im Haus, im Land, in der Welt des Verdrängten

Schmarotzer unter sich

Der Sohn der armen Familie Kim bekommt durch einen glück­li­chen Zufall einen Job als Privat­lehrer einer reichen Familie. Diese Familie Park wirkt wie das Idealbild eines vier­köp­figen gut ausge­bil­deten, neurei­chen Exemplars der modernen urbanen Elite: Vater Park ist CEO in einer IT Firma, eine Art Workaholic, seine Frau ist gutaus­se­hend und statt mit einer Arbeit mit dem Wohl­er­gehen der Kinder, mit Diäten und Mode­fragen beschäf­tigt. Die Kinder sind ein puber­tie­rendes Mädchen im High-School-Alter und ein Sohn auf der Grund­schule.

Wie ein trauriger Spiegel dieser Verhält­nisse wirkt die ebenfalls vier­köp­fige Familie Kim. Eine arme, schlecht ernährte und gepflegte, darum dicke und – das wird im Film thema­ti­siert – stinkende Familie aus der korea­ni­schen Unter­klasse.
Mit der unver­hofften Anstel­lung des Sohnes beginnt eine Hoch­stapler-Geschichte: Familie Kim schleicht sich in die Ober­klassen-Familie hinein, mani­pu­liert sie zunächst durch Tricks, bevor sie diese Familie syste­ma­tisch infil­triert. Insofern ist Parasite ein klas­si­scher »Intruder-Film«, und die Armen sind die Eindring­linge, die Parasiten am gesunden Leib der bürger­li­chen Familie. Aber der korea­ni­sche Regisseur Bong Joon-ho wäre nicht der virtuose Meister des Doppel­sin­nigen und Mehr­deu­tigen, der er ist, würde er sein Thema nicht auch hier gegen sich selbst wenden. Denn schnell ist klar, dass auch die Vertreter der reichen Ober­klasse in der Perspek­tive dieses Films auf ihre Art Parasiten am Leib der Gesell­schaft sind, Schma­rotzer, die auf Kosten aller anderen leben. Überdies ist die doppelte Dialektik Arm gegen Reich, Oben gegen Unten weit weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein hat. Und bereits die Parasiten-Metapher als solche hat es in sich: Der fran­zö­si­sche Kultur­phi­lo­soph Michel Serres schrieb ein ganzes Buch, um zu zeigen, dass allein »das Para­sitäre«, die Vermi­schungen und gegen­sei­tiges Verzehren, das Überleben sichert.

Doch die Vorstel­lung, dass das mitmensch­liche Urver­trauen grund­le­gend erschüt­tert wird, dass Menschen ins Innerste, Intimste – das Heim, die Familie – eindringen, die eigenen Schwächen durch­schauen, und diese gnadenlos ausnutzen, triggert alle möglich bürger­li­chen Ängste und Besorg­nisse nicht nur des Bürger­tums.

Parasite zeigt, was mit Menschen geschieht, wenn sie nur noch darauf achten, auf sich zu achten, und darauf, die Komfort­zone, in der sie leben, zu vertei­digen. Diese Sicher­heits-Komfort­zone der wohl­ha­benden braven Bürger wird durch die arme Familie, die nichts hat und darum alles wagen kann, von Anfang an in Frage gestellt, und schließ­lich zerstört.

Dies ist einer­seits eine Komödie, jederzeit »over the top« insze­niert. Der Film mokiert sich über Amerika-Hörigkeit und Amerika-Faszi­na­tion der korea­ni­schen Neurei­chen, jener braven Bürger, die noch das Spielzeug für ihre Kinder aus Amerika bestellen. Ein Running Gag sind auch die ameri­ka­ni­schen Namen, die sich die Koreaner geben. Der Film mokiert sich auch über den Hype, der über Diplome gemacht wird, über Visi­ten­karten und die Art, wie solch' eine Visi­ten­karte gedruckt ist, wie sie sich anfühlt. Eine moderne Form von Magie: Dass sich in der Qualität eines solchen Visi­ten­kar­ten­drucks irgend­etwas ausdrü­cken würde, was mit dem Inhalt zu tun hat.

Die Reichen hier sind freund­lich; aber sie sind es nur, weil sie es sich auch leisten können. Und weil in den guten Manieren auch Unver­bind­lich­keit steckt, und darin wieder eine Abwehr­hal­tung: »Wäre ich reich, dann wäre ich auch freund­lich«, sagt der Sohn der armen Familie einmal.

Zugleich ist dies eine in komö­di­an­ti­sche Form geklei­dete offene Farce. Bong Joon-hoo meint, was er zeigt, universal – darauf deuten schon die zwei korea­ni­schen Aller­welts­namen Kim und Park hin – und als Spiegel der gesamten Gesell­schaft. Bong zeigt eine Gesell­schaft, die von Anfang an ihr Maß verloren hat. Gier und Mate­ria­lismus bestimmen ihr Verhalten. Vieles wird erst einmal wort­wört­lich genommen in diesem Film: Die Unter­klasse wohnt tatsäch­lich im unteren Teil der Stadt in einem Keller­ge­schoss in auch sonst dras­ti­schen Verhält­nissen, die Ober­klasse auf dem Hügel über der Metropole Seoul in einem lichten trans­pa­renten Haus, auch wenn dieses – und das wird noch eine Rolle spielen – auch einen Keller hat.

Eines Tages kommt ein heftiger Regen und mit dem Regen kommt die Flut von Wasser­massen. Während sich die Parks freuen, dass der Regen den Dreck aus der Luft filtert, kämpfen die Armen um ihr nacktes Überleben. Irgend­wann dann steht den Bewohnern der Unter­stadt das Wasser bis zum Hals und zwar wörtlich. So begegnet man Menschen, die sich jahrelang vor Kredit­haien verste­cken, und anderen, die stupide Arbeiten machen müssen und trotzdem fast im Dreck leben.
Zugleich ist dies ein Film, der keines­wegs nur mit den Reichen böse und streng umgeht. Im Keller haust das von beiden Seiten Verdrängte.

Zunehmend absurder werden die Wendungen, die die Handlung nimmt. Alles steigert sich zu einem furiosen Finale. Wer die anderen Filme von Bong Joon-ho kennt, etwa Snow­piercer oder Okja, ahnt viel­leicht, was bevor­steht. Auch wenn Bong in seinen Filmen fast immer von Familien oder Wahl­ver­wandt­schaften, also intimen Netz­werken erzählt, und dabei immer auch die korea­ni­sche Gesell­schaft in den Blick nimmt, sind seine Filme immer Genre­filme oder hybride Vermi­schungen verschie­dener Genres.

Dabei geht der Film zugleich über die üblichen Formen von Gesell­schafts­kritik weit hinaus: Es geht Bong Joon-ho auch um eine Kritik am Westen an sich. Hier wird das westliche Lebens-, Arbeits- und Konsum-Modell, das universal gemeint ist und theo­re­tisch normativ für die Gesell­schaften der ganzen Welt gelten soll, in Frage gestellt – nicht etwa nur, weil bestimmte allge­meine Glücks­ver­spre­chen nicht funk­tio­nieren. Sondern weil der Westen selbst dieses Modell schon lange in Frage gestellt hat, weil sein Univer­sa­lismus in der Praxis überaus parti­kular ist und oft genau das, was man ihm seit langem vorwirft: Eine Maske von Eigen­in­ter­essen; parasitär.