Polen 2013 · 126 min. Regie: Joanna Kos-Krauze, Krzysztof Krauze Drehbuch: Krzysztof Krauze, Joanna Kos-Krauze Kamera: Krzysztof Ptak, Wojciech Staron Darsteller: Jowita Budnik, Zbigniew Walerys, Antoni Pawlicki, Paloma Mirga, Andrzej Walden u.a. |
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Die junge Poetin |
»Der Tourismus zerstört, was er sucht, indem er es findet.« So lautet eine nur auf den ersten Blick paradox klingende Weisheit, die in leicht abgewandelter Art den zentralen Konflikt in Papusza ausmacht.
Der Spielfilm von Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze zeichnet ein fragmentiertes Portrait der Roma-Dichterin Papusza (»Püppchen«), die mit bürgerlichem Namen Bronisława Wajs (1910–1987) hieß. In kontrastreichen und sehr detaillierten Schwarzweißpanoramen verwebt der Film die Lebensgeschichte der Poetin mit der Geschichte der polnischen Roma-Gemeinde im 20. Jahrhundert. Anstatt brav in chronologischer Folge die wichtigsten Stationen im Leben Papuszas abzuklappern, springt der Film in der Zeit – oft fast wie zufällig – hin und her.
Papusza liefert flüchtige Impressionen aus dem Leben eines Volkes, das die Unbeständigkeit und die Nichtgreifbarkeit zu einem identitätsstiftenden Prinzip erhoben habt. Die anderen mögen ihre Kultur und ihre Geschichte haben, die Roma haben ihre Zigeunerweisheit und ihre Zigeunergeheimnisse. Der weise Alte der Gemeinde, zu der Papusza gehört, ist sich sicher, dass Hitler nur deshalb etwas gegen die Juden und die Zigeuner hat, da er in Wirklichkeit zutiefst neidisch auf jene ist. »Er weiß, dass ein gewöhnlicher Jude oder ein Zigeuner cleverer, als ein Deutscher sind.«
Dabei sind die Roma selbst so exkludierend, dass sie alle Menschen in Roma und in »Gadjes«, also Nicht-Roma unterteilen. Als die Roma nach dem Zweiten Weltkrieg von der neuen kommunistischen Regierung zwangsdomestiziert werden sollen, beschließt der Alte einfach einen Verantwortlichen zu bestechen, denn »die Gadjes mögen Geld«.
Dieser Alte ist zunächst auch dagegen einem politisch Verfolgten in seiner Gemeinde Unterschlupf zu gewähren. Doch am Ende lebt der Intellektuelle und Schriftsteller Jerzy Ficowski ein Jahr mit ihnen zusammen. In dieser Zeit freundet er sich mit der klugen Papusza an. Jene hatte zuvor Hühner geklaut, um den Unterricht bei einer jüdischen Buchhändlerin bezahlen zu können, die ihr Lesen und Schreiben beigebracht hat. Jetzt schreibt sie Gedichte, die Ficowskit begeistern, während Papusza meint, die würde nur alte Geschichten aufschreiben. »Ich habe nie etwas geschrieben«, sagt sie.
Ficowski überzeugt nach seiner Rückkehr »in die Zivilisation« einen Verleger ein Buch mit Papuszas Gedichten und Ficowskis Geschichte der polnischen Roma zu veröffentlichen. Für die Roma ist dies ein schrecklicher Verrat aufgrund der Veröffentlichung ihrer »Zigeunergeheimnisse«. Anstatt stolz darauf zu sein, dass es mit Papusza eine von ihnen zu Ruhm bei den Gadjes gebracht hat, wird Papusza von der Gemeinde verstoßen.
Papusza interessiert sich wesentlich mehr für diesen kulturellen Konflikt, als für die Person oder die Gedichte der titelgebenden Dichterin. Letzteres ist schade, denn man würde sehr gerne mehr hören, von dieser bemerkenswerten Frau, deren Gedichte der Verleger aus Warschau als die »reinste Stimme, die es seit langer Zeit zu hören gab« bezeichnet.
Stattdessen bringt der Film die Kultur eines Volkes nahe, das darauf stolz ist, gar keine (dokumentierte) Kultur zu besitzen. Die Roma werden gezeigt als ein in der Tat sehr gewitztes Völkchen, das die Kunst beherrscht, den Augenblick zu leben und das Schwierigkeiten mit einem großen Improvisationstalent zu begegnen. Unaufhaltsam ziehen ihre Planwagen selbst bei strömenden Regen durch den Schlamm, obwohl diese Bewegung unserem Verständnis nach vollkommen ziellos – und somit sinnlos – ist.
Als die Polizei einige von ihnen in eine gemeinsame Zelle einsperrt, tanzen und musizieren die Inhaftierten zum Verdruss der genervten Ordnungshüter, aus Protest – und aus reiner Freude – die ganze Nacht. Es ist, als ob sie sagen wollten: »Ihr könnt uns alles nehmen, aber was uns wirklich ausmacht, da kommt ihr niemals heran.«
Dass Papusza und Ficowski es wagen, etwas von diesem geheimnisvollen Kern freizulegen, ist in den Augen dieser Menschen ein großer Frevel. So, wie eine abgelegene romantische Badebucht ihren ursprünglichen Charakter verliert, wenn sie von Individualurlaubern »entdeckt« wird, so verlieren die Zigeunergeheimnisse ihr Geheimnis, wenn sie in Worte gefasst und gedruckt werden.