| Deutschland/Italien 2025 · 113 min. · FSK: ab 12 Regie: Alissa Jung Drehbuch: Alissa Jung Kamera: Carolina Steinbrecher Darsteller: Juli Grabenhenrich, Luca Marinelli, Arturo Gabbriellini, Joy Falletti Cardillo, Gaia Rinaldi u.a. |
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| Eine bemerkenswerte Autorinnen- und Regiestimme... | ||
| (Foto: eksystent distribution) | ||
Leo (Juli Grabenhenrich) hat die Schnauze voll. Mal wieder hat sich das 15-jährige Mädchen, das eigentlich Leona heißt, mit ihrer alleinerziehenden Mutter gestritten. Nun setzt sie sich in Berlin spontan in den Zug und fährt nach Norditalien. In einem Strandbad bei Ravenna, das im Winterschlaf liegt, spürt sie ihren Vater Paolo (Luca Marinelli) auf, von dessen Existenz sie erst vor kurzem durch ein Internetvideo erfahren hat. Paolo wohnt in einer abgetakelten Strandbar und verdient sein Geld offenbar als Surflehrer. Leo hat eine lange Liste von Fragen zusammengestellt, die sie ihrem Erzeuger stellen will, der ihr so sehr gefehlt hat, obwohl er sie vor 15 Jahren zurückgestoßen hat.
Doch Paolo ist überfordert, als die Teenagerin plötzlich vor ihm steht. Er hat mit der Italienerin Valeria (Gaia Rinaldi) die vierjährige Tochter Emilia (Joy Falletti Cardillo), hat den beiden aber verschwiegen, dass er in Deutschland schon eine Tochter hat. Paolo will ihr zwar helfen und läßt sie bei sich übernachten, möchte ich sie aber auch so schnell wie möglich wieder loswerden. Weil er kein Deutsch versteht und sie kein Italienisch, müssen sie sich auf Englisch verständigen. Nach einem holprigen Auftakt kommen sie allmählich ins Gespräch, das jedoch in Vorwürfen mündet. Hin- und hergerissen zwischen Hilflosigkeit, Zuneigung und Wut, findet Leo eine verständnisvolle Schulter beim jungen schwulen Lebensmittelboten Edoardo (Arturo Gabbriellini).
Das gestörte Vater-Tochter-Verhältnis findet auf der visuellen Ebene eine Entsprechung in der winterlichen Kälte der fast menschenleeren Ortschaft in der Emilia Romagna, die mit ihren verrammelten Geschäften und Läden eine abweisende Tristesse ausstrahlt. Kalt ist auch das Wasser der Adria: Um von den Spannungen abzulenken, nimmt Paolo die Jugendliche einmal an den einsamen Sandstrand mit. Beide tragen Neoprenanzüge, als er ihr im Meer zeigt, wie man mit dem Surfbrett umgeht. Danach braucht Leo erst mal eine heiße Dusche.
Wie der Titel signalisiert, erstreckt sich der Besuch Leos über drei Tage. Der enge zeitliche Rahmen korrespondiert mit der räumlichen Begrenzung, spielt doch der Löwenanteil des Familiendramas in der Strandbar und Umgebung. Obwohl die Handlung großenteils unter freiem Himmel stattfindet, hat die bedächtige Inszenierung mit ihrer meist ruhigen Kameraführung geradezu kammerspielartige Züge.
Die 44-jährige Drehbuchautorin und Regisseurin Alissa Jung, die in Rom und Berlin lebt und mit dem italienischen Hauptdarsteller Luca Marinelli verheiratet ist, fand erst über Umwege zur Spielfilmregie. Mit 16 Jahren wurde sie 1998 bei einer Theateraufführung für die ARD-Serie In aller Freundschaft entdeckt, in der sie eine Arzttochter verkörperte, wirkte danach in TV- und Kinofilmen mit. Mit Mitte 20 begann die gebürtige Münsteranerin als Regisseurin eigene Kurzfilme, Dokumentarfilme und Jugendtheaterstücke umzusetzen. Nach einer Auszeit schloss sie ein Medizinstudium ab und arbeitete zwei Jahre als Kinderärztin. Erst 2020 kehrte sie vor die Kamera zurück und erhielt prompt eine Grimme-Preis-Nominierung. 2022 und 2023 inszenierte Jung zwei Kurzspielfilme und wagte sich dann an ihr Langfilmdebüt, das 2025 in der Generation-Sektion der Berlinale uraufgeführt wurde.
Auf die Dreharbeiten bereitete sich Jung mit den Schauspieler/innen in langen Proben vor. Das merkt man gerade in den vielen Zweierszenen zwischen Leo und Paolo sowie Leo und Edoardo, die oft von starken Emotionen geprägt sind und doch sehr lebensnah wirken. Die 17-jährige Berlinerin Juli Grabenhenrich, die als widerborstige Leo hier zum ersten Mal vor der Filmkamera steht, hält locker mit dem erfahrenen italienischen Mimen Luca Marinelli (Martin Eden) mit, der die innere Zerrissenheit und Unsicherheit eines Vaters eindrucksvoll verkörpert, der nach der Trennung von der Kindsmutter zehn Jahre lang keine neue Beziehung eingehen konnte.
Auch wenn zwischen Vater und Tochter hin und wieder verbal die Fetzen fliegen, spürt man doch die tiefe Zuneigung, die beide rasch verbindet. Makellose Sympathieträger sind beide Figuren allerdings nicht: Dafür ist Paolo zu sehr in seinen Schuldgefühlen gefangen und zu feige, Leo wiederum wirkt mit ihrer schroffen Direktheit oft unreif und egozentrisch. Paradigmatisch spürbar wird ihre wunde Seele, wenn die Teenagerin beobachtet, wie liebevoll sich Paolo um die kleine Emilia kümmert. Sie vermisst schmerzlich eine Vertrautheit, die sie nicht erlebt hat und nicht mehr nachholen kann, und versucht, es Paolo heimzuzahlen.
Schade ist, dass beide Charaktere insgesamt etwas zu statisch wirken und sich zu wenig weiterentwickeln. So bleibt unverständlich, warum Paolo bis zum Schluss seine Vaterschaft gegenüber Valeria verheimlicht, obwohl seine emotional hochintelligente Partnerin den Braten offensichtlich längst gerochen hat. Eine solche Enthüllung hätte dem Filmdrama in der Schlussphase einen starken Energieschub geben können.
Auf seiner Festivaltour gewann der Debütfilm mehrere Preise, darunter den Preis der Jury der AG Kino-Gilde-Cinema Vision 14plus auf der Berlinale, den Preis für die beste Regie beim BCN Film Fest in Barcelona und den Preis für die beste Nachwuchsregie beim Raindance Filmfestival in London. Mit diesem leisen unspektakulären Film meldet sich eine bemerkenswerte Autorinnen- und Regiestimme zu Wort.