The Painted Bird

Tschechien/Ukraine/Slowakei 2019 · 169 min. · FSK: ab 18
Regie: Václav Marhoul
Drehbuch:
Kamera: Vladimír Smutný
Darsteller: Petr Kotlár, Udo Kier, Stellan Skarsgård, Harvey Keitel, Julian Sands u.a.
Apokalypse als Fortsetzung
(Foto: Drop-Out Cinema)

Schauergeschichten vom Krieg

Die Verfilmung des Romans von Jerzy Kosiński ist eine Zumutung: wegen ihrer unerträglichen Gewaltexzesse und deren überwältigender Schönheit

Es ist erstaun­lich, dass dieser Film überhaupt existiert. Nimmt man die Vorlage von The Painted Bird zur Hand, ist das eigent­lich ein Stoff, der sich kaum adäquat verfilmen lässt, um nicht direkt einen Großteil von Förder­gre­mien und Publikum zu verschre­cken. Der Skan­dal­roman von Jerzy Kosiński aus dem Jahr 1965 folgt keinen gängigen Erzähl­mus­tern, besitzt kaum Charak­tere, nur Typen, reiht in Protokoll-Form eine Station an die nächste. Jede steckt voller Grau­sam­keiten. Nach Erscheinen störte man sich neben der Drastik des Inhalts und Plagi­ats­vor­würfen vor allem an dessen Fiktion. Irgend­wann kam heraus, dass das alles doch nur frei erfunden und keine Auto­bio­grafie war. Wahr muss es vermeint­lich sein, um die eigene Angstlust ertragen zu können. Der Skandal erzählt auch in diesem Fall mehr über die Rezeption als das Werk an sich.

Regisseur Václav Marhoul hat The Painted Bird nun tatsäch­lich verfilmt: als scho­ckie­rendes, fast dreis­tün­diges Empö­rungs­ve­hikel, als grausames Märchen, als Kino-Bilder­sturm. Die Diskus­sionen um seinen Erzähl­ge­gen­stand wieder­holen sich. Kein Wunder! Man kann sich mit einer so weit­ge­hend werk­treuen Verfil­mung eigent­lich nur in die Nesseln setzen. Schon nach der Premiere in Venedig 2019 war Kontro­verses zu lesen. Neben der endlosen Gewalt kriti­sierte man vor allem das nihi­lis­ti­sche Menschen­bild, das diese Reise durch das östliche Europa während des Zweiten Welt­kriegs bedient. Solche Reak­tionen fallen in der Regel bereits auf die einfachste Provo­ka­tion herein, die dieser Film vornimmt. The Painted Bird kann und will nicht als entstaubtes histo­ri­sches Zeugnis oder Muse­ums­tour gelesen werden, als kein schlichtes „So war es“. Marhouls Werk formu­liert wie der Roman eher ein pole­mi­sches „So ist es“. Er sucht Wesent­li­ches in der Historie.

Die Apoka­lypse durch Kinder­augen

The Painted Bird ist ein Film ohne Anfang und Ende, auch das macht ihn so nach­haltig unbequem und verstö­rend. Die Wandlung, die er anhand seines zunächst namen­losen Prot­ago­nisten, eines kleinen Jungen, erzählt, ist eine zyklische. Von der Flucht vor äußerer Gewalt zur Flucht vor der inneren. „Marta“ heißt dabei das erste Kapitel – Václav Marhoul unter­teilt seinen Film mit solchen Namens­ein­blen­dungen in Einzel­seg­mente. Benannt sind sie nach den Persön­lich­keiten, an die der Junge auf seiner Odyssee durch die Wirren des Zweiten Welt­kriegs gerät. Dieje­nigen, die im wohl­ge­sonnen sind, verliert er. Der Rest wird ihn ausbeuten, quälen, verge­wal­tigen.

Marta ist eine alte Frau, in deren Obhut der Junge gegeben wurde, um vor dem Krieg sicher zu sein. „Du wirst nur eine Weile hier bleiben“, sagt sie ihm. Es wird auf seine gesamte Reise zutreffen, die ihn von einem Horror-Szenario zum nächsten führt, die sich ins Unend­liche fort­setzen ließen. Martas Hof allein lässt das Blut in den Adern gefrieren. Regisseur Marhoul hat den Film in ebenso prot­zenden wie wirk­mäch­tigen Cine­ma­scope-Bildern in Schwarz-Weiß und auf 35 Milli­me­tern gedreht. Gewaltige Aufnahmen und Stim­mungs­räume sind dabei heraus­ge­kommen! Der Wind heult über die Felder, Bäume ragen als schwarze Arme in den Himmel, ein Eimer klappert im Brunnen vor der alten Holzhütte, Figuren verlieren sich in weiten Natur­pan­oramen. Eines Nachts verstirbt Marta plötzlich. Erstarrt sitzt sie im Stuhl, bevor mit ihr der ganze Hof nieder­brennt. Mit ihr erstarrt auch das letzte bisschen Zwischen­mensch­lich­keit, was den Jungen auf seiner Anti­hel­den­reise in die Welt hinaus­treibt.

Das sind Szenen wie in einem Horror­film. The Painted Bird hat allein visuell eben nicht nur mit Komm und sieh, Ivans Kindheit und den Werken Bela Tarrs Gemein­sam­keiten, wie in der Rezeption immer wieder heraus­ge­ar­beitet wurde, sondern besonders auch mit dem Gothic-Kino. In Marhouls Film schlum­mert das Morbide, Gespens­ti­sche und Fantas­ti­sche, aber auch das Archai­sche. In einer Szene wird der Junge bis zum Kopf in der Erde einge­graben, bevor eine Schar Krähen über ihn herfällt. Das sind Bilder, wie man sie am ehesten aus den Bestra­fungs­ri­tualen antiker Mythen kennt.

Anima­li­sche Gesten

Generell spielen Tiere eine wichtige Rolle, Marhoul hat das gekonnt aus der Vorlage heraus­ge­ar­beitet. Sie dienen als Spie­gel­bild, Zeugen, aber auch als Waffen. Ratten fressen einen Pädo­philen. Zwei kopu­lie­rende Katzen offen­baren den Ehebruch im Hause eines Müllers (Udo Kier), der seinem Neben­buhler die Augen aus dem Kopf löffelt. Mensch und Tier vermengen sich in rohen, vernich­tenden Gesten. Eine Frau zieht sich in die Natur zurück, lässt ihrer Libido freien Lauf und verführt lustvoll verirrte Jungen. Zur Strafe wird sie von den Dorf-Furien mit einer Glas­fla­sche verge­wal­tigt.
Roman und Film zeigen die osteu­ro­päi­sche Land­be­völ­ke­rung als Barbaren, die sich offenbar kaum von den deutschen Kriegs­trei­bern in ihrem Vernich­tungs­wahn unter­scheiden. Für viele war das ein Skandalon. Marhoul antwortet mit einer weiteren Provo­ka­tion: Ausge­rechnet ein deutscher Soldat (Stellan Skarsgård) verschont das Kind. Natürlich, da lassen sich gewisse Stereo­type in der Darstel­lung dieses schau­der­haften, ominösen Ostens finden. Das macht The Painted Bird als Gewalt­studie aber nicht weniger inter­es­sant oder sehens­wert.

Sein Menschen­bild ist keine Schuld­zu­wei­sung. Um histo­ri­sche Fakten­treue, um erklä­renden Sozi­al­rea­lismus geht es hier gar nicht. Diese Erzählung begreift den Krieg, den Holocaust, Zivi­li­sa­tion und Natur als abstrakte Systeme und Alle­go­rien und fragt in den verschie­denen Tableaus nach deren Beziehung. Das zu ertragen, auch in ihrer Polemik, ist die Heraus­for­de­rung, vor die einen der Film stellt. Im Grunde genommen könnte The Painted Bird überall und nirgends spielen. Gespro­chen wird zum Teil in einer Art slawi­scher Fanta­sie­sprache, eine konkrete Datierung findet nicht statt. Der Film würde genau so funk­tio­nieren, wenn es keine Haken­kreuz-Armbinden, Hammer-und-Sichel-Mützen und in die Haut täto­wierte Nummern als visuelle Codes zu sehen gäbe.

Der Fremde als Stör­faktor

Im Ausnah­me­zu­stand des Krieges tritt jetzt die gewalt­same Seite der Zivi­li­sa­tion zu Tage. Von Armut verheert, durch­zogen von düsteren Ideo­lo­gien, Aber­glaube, jahr­hun­der­te­alten Ressen­ti­ments und Feind­bil­dern. Keine Gele­gen­heit lässt man aus, nach unten zu treten, immer lässt sich noch jemand Schwächeres als Sünden­bock finden. Den letzten Rest Souver­änität und Autonomie glaubt man, sich so zurück­zu­holen. Religiöse Fröm­mig­keit betont in diesem Film die Bedeutung der Passion und erweist sich ebenfalls nur als leeres Hirn­ge­spinst, das Anstoß zu weiteren Gewalt­akten gibt, die die eigene Verletz­bar­keit kompen­sieren sollen.

Die brüchige Ordnung des Zusam­men­le­bens liegt in The Painted Bird offen und wird mit grau­samsten Mitteln vertei­digt. Der Junge im Zentrum tritt dabei als Dritter auf. Immer wieder stolpert er als störender Fremder in ein neues Szenario und löst fatale Reak­tionen aus. Marhoul zeigt mit seinen Unter­bre­chungen und getrennten Kapiteln die zerstö­re­ri­sche Kraft dieser Fremd­heits­be­geg­nungen und irra­tio­nalen Ängste in verschie­denen Varia­tionen. Mal wird der Junge zur exoti­schen, begeh­rens­werten Erschei­nung, mal zum Dämon, den man vertreiben will, mal zur Verkör­pe­rung einer Unschuld und Reinheit, nach der man sich zurück­sehnt, aber die längst verloren ist. Immer lässt er sich als das Andere betrachten, dem man mit Aggres­sion begegnet, weil er allein durch seine Präsenz und seine zurück­ge­wor­fenen Blicke die eigenen Makel aufdeckt.

Kultur und Subjekte konstru­ieren sich dauernd durch solche Begeg­nungen, die Gewalt in ihren Ausprä­gungen macht The Painted Bird dabei als paradoxe Grund­kon­stante und Warnung aus. Marhouls Roma­n­ad­ap­tion demons­triert das im titel­ge­benden Bild des mit Farbe ange­malten Vogels, der von seinen Artge­nossen nicht als solcher erkannt, sondern zerhackt wird. Jede Episode dieses Films steuert auf solche zentralen, eindring­li­chen Bilder zu. Viel gespro­chen wird nicht in The Painted Bird, visuell bleibt dafür umso mehr im Gedächtnis.

Das Unaus­sprech­liche konsu­mierbar machen

Betrachtet man jüngere Kriegs­filme wie Dunkirk, Hacksaw Ridge oder 1917, dann fällt auf, dass es fort­wäh­rend um Immersion geht. Immer will man dem Schrecken noch ein bisschen näher kommen, den Schmutz und das Blut noch stärker am eigenen Leib spüren. Authen­ti­zität ist ein vermeint­lich bedeut­sames Stichwort. The Painted Bird bedient diese eigen­ar­tigen Sehn­süchte ebenfalls, gibt sich aber gar nicht erst die Mühe, zu verste­cken, dass er wie eine Grusel­ge­schichte konsu­miert werden wird, mit der man glaubt, den Horror vergan­gener Tage innerlich bewäl­tigen zu können. Er treibt das in seinem Zele­brieren der Grau­sam­keiten noch auf die Spitze, (über)stili­siert in seiner starken Formen­sprache bis zum Surrealen.

Marhoul macht die extreme Gewalt in diesen umwer­fenden Schwarz-Weiß-Bildern konsu­mierbar und zu einem obskuren Faszi­nosum. Er lässt das Publikum dabei bewusst abstumpfen und Entschei­dendes zugleich doch nur in der Vorstel­lung statt­finden. So, wie die Haupt­figur fort­wäh­rend seelisch einfriert, hält das Monotone, Repe­ti­tive, ja, viel­leicht auch das Lang­wei­lige schlei­chend, aber konse­quent in The Painted Bird Einzug.

Gemeinsam haben all die Episoden auf dem Weg dorthin eine finstere Erkenntnis. An dieser Stelle wird Marhoul bei aller Abstrak­tion, bei allem Märchen­haften doch ganz konkret: Der amouröse Konflikt im Haushalt, das Miss­trauen gegenüber dem Fremden oder das Ausbeuten der Schwachen – all das spielt im Kleinen durch, was im Hinter­grund zur über­großen Perver­sion erwächst. Zu den Depor­ta­ti­ons­zügen, die Güter der Ermor­deten in der Land­schaft hinter­lassen, und die Heer­scharen, die ganze Dörfer nieder­met­zeln. Das perma­nente Umblät­tern zu einer neuen Schau­er­ge­schichte, die sich da auf der nächsten Seite entspinnt, bekräf­tigt nur die Bestands­auf­nahme.

Am Ende der Apoka­lypse stehen Neuanfang und Offen­ba­rung. Aber nicht als Bruch, sondern als Fort­set­zung. Das Grausame, dem sich die Gesell­schaft hingibt, die wenigen hohlen Ideale, an die man sich unre­flek­tiert klammert, das schreibt sich bereits in die nach­wach­sende Genera­tion ein. Böses überlebt man, indem man es in sich aufnimmt. Am tragi­schen Ende von The Painted Bird sitzen die Opfer von gestern mit den poten­ti­ellen Tätern von morgen gemeinsam im Bus zu einem unbe­kannten Ziel. Beide sind mitein­ander verwandt.