Frankreich/Ukraine/Ungarn 2024 · 104 min. · FSK: ab 16 Regie: Charlène Favier Drehbuch: Diane Brasseur, Charlène Favier, Antoine Lacomblez Kamera: Eric Dumont Darsteller: Albina Korzh, Maryna Koshkina, Lada Korovai, Oksana Zhdanova, Yoann Zimmer u.a. |
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Ein visuell starkes, melancholisches Porträt... | ||
(Foto: X Filme / Warner) |
»Das Sexualobjekt verwandelt sich in ein Subjekt, das protestiert.« – Oxana Schatschko
Oxana – Mein Leben für Freiheit ist kein Dokudrama, sondern Fiktion. Getragen von Einfühlung und Imagination, gestützt auf Behauptungen, allerdings glaubwürdige, und Erinnerungen aus dritter Hand.
Der Film zeigt eine Frau zwischen Protest und Kunst, zwischen Körperpolitik und Ikonenmalerei – die Künstlerin und Aktivistin Oxana Schatschko, eine der Begründerinnen der postsowjetischen Frauen-Protest-Gruppe FEMEN wurde mit ihren
radikalen Aktionen weltbekannt. Heute auf den Tag genau vor sieben Jahren, am 23. Juli 2018 starb Schatschko, vermutlich durch Freitod. Die französische Regisseurin Charlène Favier widmet ihr nun ein sehenswertes Biopic.
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Am Anfang sieht man Frauen und ihre Töchter in russischer Tracht. Ein »Kupala-Fest«, das den Kreislauf des Lebens evoziert. Alles wirkt ein bisschen folkloristisch und naiv. Sie tanzen um ein großes Feuer. »Ich will den lieben Gott heiraten« sagt ein kleines Mädchen zu ihrer Mutter.
Sie lernen wir dann als junges Mädchen kennen. Wir befinden uns irgendwann in den frühen Nullerjahren. Oxana malt Ikonen. Oxana Schatschko, die bald darauf eine weltberühmte Aktivistin und Künstlerin werden sollte, ist in diesem ersten Szenen noch ein Teenager, sie wird im religiös-konservativen Milieu der postsowjetischen 1990er Jahre groß; die Kindheit ist geprägt von Armut, väterlicher Gewalt und rigiden patriarchalen Strukturen. Und von der orthodoxen Kirche.
Als
begabte Ikonenmalerin wird Oxana früh von der Kirche gefördert – diese religiöse Welt fasziniert und enttäuscht sie zugleich. Später bricht sie komplett mit der Religion und ihre politischen Kunst-Aktionen sind nie nur feministisch, sondern auch bewusst blasphemisch – das wird in der Rezeption gern übersehen oder sogar bewusst verschwiegen: In ihren Bildern zeigt sie beispielsweise die Jungfrau Maria in islamistischer Burka, Jesus in homoerotischen Szenen –
ihre Kunst war auch eine radikale Relektüre sakraler Motive.
Der Film deutet all dies behutsam an, ohne didaktisch zu werden.
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Im Folgenden passiert Charlène Faviers Spielfilm gewisse Stationen der künstlerischen und politischen Sozialisation Schatschkos; er ist eine Art Coming of Age Movie des Aktivismus.
Fast rührend naiv gezeichnet ist jene Szene, in der Oxana in einem Kunstkatalog blättert und offenbar zum allerersten Mal Delacroix' berühmtestes Gemälde erblickt: »Die Freiheit führt das Volk«, auf dem die revolutionäre Freiheit von einer barbusigen jungen Frau symbolisiert wird. »Die Frau führt das Volk« folgert sie.
Es folgt der Bruch mit den prekären Verhältnissen des Elternhauses, mit schwacher Mutter, Alkoholiker-Vater und Armuts-Misere durch einen Hausbrand, der auch ihre Arbeiten zerstört.
Gemeinsam mit Anna Hutsol und Aleksandra Shevchenko gründet Oxana 2008 mit 21 Jahren FEMEN – eher spontan, aber von Anfang an in grundsätzlicher symbolischer Bildsprache mit Blumenkränzen im Haar, provokanten Aktionen gegen Patriarchat und Korruption. Doch die medialen Triumph sind begleitet von brutaler Gewalt, unter anderem einer Scheinhinrichtung und Misshandlungen durch die Obrigkeit. In ukrainischer Haft werden ihr beide Arme gebrochen. Schließlich die Flucht nach Frankreich.
Die Regisseurin rekonstruiert also nicht einfach eine Biographie, sondern erzählt in freien Phantasien von einer Frau, die selbst zur Ikone wurde, bei der Kunst und Leben in eins verschmolzen – und die an dieser Verschmelzung womöglich selber zerbrach. Aber das wäre Küchenpsychologie, der sich auch der Film weitgehend enthält. Er ist mehr als dies eine Reflexion über das Verhältnis von Körper, Religion und Widerstand.
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Deutlich wird dies in einem der Initiationsmomente von FEMEN, die der Film schildert: Nach einer Demonstration, bei der eher spontan Oxana als allererste Aktivistin ihren nackten Busen zeigte, erkennen die Frauen die entwaffnende Wirkung dieser Geste. Se non e vero, e buon trovato:
»Nackte Brüste bringen Aufmerksamkeit. Das Sexualobjekt verwandelt sich in ein Subjekt, das protestiert. Unsere Brüste sind unsere Waffen. Wir ziehen uns gar nicht aus, wir ziehen eine Uniform an. Dann können die Leute gar nicht anders, als zuzuhören, denn sie müssen einfach hinsehen.«
Die berühmte Protestform und das Aktivismus-Alleinstellungsmerkmal von FEMEN – nackte Brüste als Schild gegen Macht und Objektifizierung – wird so in Rückblenden skizziert, allerdings nicht im Detail analysiert.
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Der Fokus des Films liegt mehr auf Oxanas späterem persönlichem Bruch mit der Bewegung. Nach gewaltsamen Aktionen in Belarus und Russland flieht sie nach Frankreich. Dort lebt sie im Exil. Favier beobachtet sie hier im Atelier, auf der Straße, in Momenten stiller Nähe und großer Einsamkeit.
Zwischen den letzten Tagen im Leben von Schatschko in Paris im Sommer 2018 und Rückblenden in die postsowjetischen Länder entsteht das kaleidoskopische Porträt einer Frau, die selbst zur Ikone wurde – politisch, medial, künstlerisch.
Éric Dumonts Kamera bleibt nah, aber zurückhaltend – es gibt wenig Dramatisierung, keine psychologische Überzeichnung. Stattdessen: atmosphärisches Tasten.
Oxana wird von Albina Korzh mit großer Variationsbreite, innerer Spannung und einem stupenden Spektrum gespielt: Mit lebenshungriger Wut wie resignativer Zartheit. Zugleich kommt man trotzdem nie ganz an diese junge Frau heran: Sie wirkt oft seltsam verschlossen und enigmatisch.
Verstärkt wird dies dadurch, dass Favier sich auf Impressionen statt auf Analyse konzentriert.
Auch die Bewegung FEMEN selbst bleibt hier ein Randthema. Allerdings leisten das genug andere Dokumentarfilme.
Das Schauspielensemble ist sorgfältig aus Russen und Ukrainern zusammengesetzt – darum kann man jedem Menschen mit Sprachgefühl empfehlen, die untertitelte Fassung anzusehen, in der Sprachen und Dialekte nicht zu einem Deutsch-Einheitsbrei zusammengegossen werden.
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Charlène Faviers Film ist ein visuell starkes, melancholisches Porträt zwischen Kunst, Protest und persönlichen Krisen – mehr Gefühlsskizze als Analyse. Ein leidenschaftlicher, engagierter Film, der exzellent gespielt ist und berührt. Ein filmisch sensibles, visuell starkes Porträt – doch trotz vieler mutiger Momente bleibt es emotional zu vorsichtig, politisch zu vage und ästhetisch zu brav, um das ganz einzulösen, was seine Protagonistin verkörperte: Eigensinn, unbedingten Widerspruch und konsequente Provokation.