Irland 2006 · 87 min. · FSK: ab 0 Regie: John Carney Drehbuch: John Carney Kamera: Tim Fleming Darsteller: Glen Hansard, Markéta Irglová, Alaistair Foley, Catherine Hansard, Kate Haugh u.a. |
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Märchenhafter Ausblick |
Es sagt alles und es sagt nichts, dass dieses Pferd von hinten aufgezäumt werden will: drei vollkommen unterschiedliche Menschen gehen ins Kino. Kaum ist der Film angelaufen, sehen sie nicht mehr nach rechts und sehen nicht mehr nach links. Sie wagen es nicht, denn sie vermuten, dass es ihrem Nachbarn ähnlich geht, dass auch er von der epileptischen Emotionalität dieses Films verschlungen worden ist und sein ruhendes Zentrum – wenn es das denn je gab – längst verloren hat. Denn jede, aber auch jede Einstellung des Films verursacht neue, nie gekannte innere Zuckungen und Krämpfe, die sich über Tränen und dann und wann ein Lachen ihren Weg nach außen sprengen. Dass sie dieses Märchen nicht geträumt haben, erfahren sie nach dem Film. Sie stehen auf der Straße und wollen gerade das übliche »Gespräch danach« beginnen. Ihre Blicke treffen sich, doch statt der Worte kommen nur Tränen. Sie lachen schluchzend und umarmen sich und schämen sich auch ein wenig. Sie gehen ein paar hundert Meter, um sich zu sammeln und versuchen es erneut, aber jeder Satz, jedes Bekenntnis zu einer Szene dieses Films, bringt die Bilder, bringt die Geschichte, bringt die Musik zurück und unweigerlich den inneren Staudamm erneut zum Brechen, so dass sie es schließlich sein lassen und über den Lehrer eines ihrer Kinder sprechen, das nächste Essen, einen Tag in den Bergen.
Mit einigem Widerwillen lässt sich das Pferd jedoch auch – wie gewohnt – von vorne aufzäumen: In Once, einer irischen Independent- und Low Budget-Produktion – in nur 17 Tagen mit einer Videokamera in Dublin gedreht – treffen zwei Menschen aufeinander, deren Lebenshintergründe unterschiedlicher nicht sein können. Ein Straßenmusiker verdaut das Ende seiner große Liebe mit Hilfe eigener Songs, eine tschechische alleinerziehende Einwanderin verdient wie er ihr Geld auf der Straße und wie er hat auch sie eine gewesene Beziehung zu verarbeiten. Sie verkauft Blumen und irgendwann geht sie Putzen. Die beiden begegnen sich – wo anders als auf der vordergründig einzigen Schnittstelle ihres Lebensauf der Straße. Sie entdecken die Gemeinsamkeiten, er repariert ihren Staubsauger, sie machen zusammen Musik, sie gehen auf eine Party, sie fahren auf einem alten Motorrad seines Vaters für ein paar Stunden an die irische See und nehmen mit ein paar anderen Leuten die Musik auf, die sie lieben. Dann endet alles so normal und doch überraschend, einer zarten Spiegelung gebündelter alltäglicher Authentizität gleich, dass man sich fragt, wie Regisseur John Carrey dieses überhaupt nicht märchenartige Märchen so märchenhaft zu erzählen versteht.
Zum einen mag das daran liegen, dass Carrey einen Teil der Geschichte eines Freundes erzählt und dass er den Film mit eben diesem Freund, dem Musiker Glen Hansard besetzt hat, der früh die Schule verlassen und sich als Straßenmusiker durchgeschlagen hat, die irische Folkpop-Band The Frames gründete und irgendwann Regisseur Carrey mit ins Boot der inzwischen bekannten Band holte, der sich dann aber doch gegen eine Karriere als Bassist und für den Film, aber nicht gegen die Freundschaft mit Hansard entschieden hat.
Was aber wahrscheinlich diesen Film noch mehr trägt als die inspirierende Freundschaft von Regisseur und Hauptdarsteller ist die Musik. In einer wundervollen Szene sitzt Hansard im Bus und singt in kurzen Sequenzen der verzaubert lauschenden Markéta Irglová die Geschichte seiner vergangenen Beziehung vor, in einer anderen versuchen sie sich in einem Musikalienladen an einem Duett, er an der Gitarre, sie am Klavier und erklären in wenigen Minuten, wofür ein Film normalerweise eine Stunde benötigt – das Entstehen einer Beziehung. Aber so wenig der Film trotz märchenhafter Momente Märchen ist, so wenig ist er trotz der Musik Musical. Die Lieder, in ganzer Länge ausgespielt, sind Fortführung und gleichzeitig Untertitelung der Dialoge, des filmischen Ausdrucks. Und so wenig wie man Bob Dylans Texte verstehen muss, weil ihr Inhalt durch Musik und Stimme transportiert wird, so wenig muss man die Lieder dieses Films verstehen. Von Laienschauspielern in dokumentarischer Authentizität gespielt und von Profimusikern ebenso leidenschaftlich gesungen, gelingt es dem Film durch diese Symbiose den Zuschauer selbst zum Instrument und Therapierten zu transformieren und ungeahnte Melodien zum klingen – und weinen zu bringen. Dylan muss die Verbindung zu seiner eigenen Musik gespürt haben – 2007, kurz nach dem Release des Films in den USA, hat er Glen Hansard und Markéta Irglová eingeladen, ihn bei einigen Auftritte seiner Never-Ending-Tour zu begleiten.