Mr. No Pain

Novocaine

USA 2025 · 110 min. · FSK: ab 18
Regie: Dan Berk, Robert Olsen
Drehbuch:
Kamera: Jacques Jouffret
Darsteller: Jack Quaid, Amber Midthunder, Ray Nicholson, Jacob Batalon, Betty Gabriel u.a.
Mr. No Pain
Wenn die Welt und die Gefühle kopfstehen
(Foto: Sony/ Paramount)

Weicher als schleppender Schlummer

Dan Berks und Robert Olsens Action-Komödie überzeugt durch wildes und überraschendes Storytelling. Aber auch das Timing der lawinenartigen Slapsticksequenzen ist erstaunlich gut.

Softer be they than slippered sleep
the lean lithe deer
the fleet flown deer

– e. e. cummings, All in green went my love riding

Was für ein Held! Nathan Caine (Jack Quaid) ist stell­ver­tre­tender Leiter einer Genos­sen­schafts­bank in San Diego und verhält sich dabei so linkisch, intro­ver­tiert und nerdig, dass man meinen könnte, er sei noch weicher als schlep­pender Schlummer. Dan Berk und Robert Olsen skiz­zieren das sehr souverän in einer kurzen Eingangs­se­quenz, die dann erzäh­le­risch ebenso souverän durch den großen Wende­punkt in Nathans Leben beendet wird. Durch ein Miss­ge­schick muss er sich eher wider­willig mit seiner Kollegin Sherry (Amber Midt­hunder) zum Lunch verab­reden. Dass daraus ein abend­li­ches Date mit Liebes­ver­spre­chen wird, liegt letzt­end­lich an der Offenheit des Gesprächs, denn Jack entgegnet Sherryls leiden­schaft­lich vorge­tra­genen Forde­rungen, warum er so »weich« sei und etwa nur Flüs­sig­keiten zu sich nehme, mit der blanken Wahrheit: Er hat die seltene, vererb­bare Krankheit Heredi­täre senso­ri­sche und autonome Neuro­pa­thie Typ IV, die unter anderem seinen Körper schmerz­un­emp­find­lich macht. Was für Sherryl wie ein Supermann-Attribut daher­kommt, ist für Nathan lebens­ge­fähr­lich, da jede nicht regis­trierte Verlet­zung sich zu einer lebens­ge­fähr­li­chen Verlet­zung auswachsen kann, auch eine nicht bemerkte, abge­bis­sene Zunge beim Kauen von Essen.

Doch wie so oft im Leben kann die große Schwäche zur großen Stärke werden, bzw. reicht schon eine kleine Konfron­ta­ti­ons­the­rapie in Sachen Liebe und Gewalt aus, einen Menschen zu verändern. Nathan erfährt dieses »Glück« durch einen Bankü­ber­fall, bei dem Sherryl als Geisel entführt wird und Nathan das erste Mal im Leben vor lauter Liebe sich selbst vergisst und den flüch­tenden Gangstern und Sherryl mit einem verwaisten Poli­zei­auto hinter­her­jagt.

Hat dieses Intro trotz seiner Kürze noch ein paar holprige Längen, so unter­füt­tert es doch perfekt das Herzstück dieser rasenden Action-Komödie, die sich ab dem Bankü­ber­fall wie nach dem Start­schuss zu einem 100-Meter-Lauf entwi­ckelt und sich innerhalb von Minuten wie eine Lawine über den Plot ergießt und alles mit sich reißt. Damit dieses altbe­währte Prinzip, das es ja seit den großen Stumm­film­komö­dien mit ihren gran­diosen Slapstick-Elementen gibt, erfolg­reich funk­tio­niert, braucht es eines der schwie­rigsten Dinge überhaupt: das perfekte Timing. Erst bei schlechten Komödien erkennt man meist, was das bedeutet, warum der Witz bzw. der physisch und psychisch so aufwen­dige Slapstick im Nichts verpufft. Es sind oft Milli­se­kunden zu viel oder zu wenig, Dialoge, die frag­men­tieren, was defrag­men­tiert gehört, und natürlich Schau­spieler, die diese Elemente schlaf­wand­le­risch und im besten Fall völlig unauf­ge­regt bedienen können – man denke nur an Buster Keaton.

So wie Buster Keaton spielt auch Jack Quaid seine Rolle aus. Man sieht dem Sohn von Dennis Quaid und Meg Ryan dabei an, dass er an einer der großen Schau­spiel­schulen, der Tisch School of the Arts, sein Handwerk gelernt hat, denn jede Bewegung zum Slapstick hin ist minutiös abge­stimmt und trifft den richtigen Zeitpunkt, auch schon in den ersten Szenen, als er intro­ver­tiert wie er ist, versucht, seine Leiden­schaft in den Griff zu kriegen, ohne dabei seine Miene zu verziehen. Als dann schließ­lich noch einmal eskaliert wird und es nun nicht einmal mehr ohne Gewalt­an­wen­dung geht, die Leiden­schaft gewis­ser­maßen ins Unend­liche poten­ziert ist, wird es besonders delikat. Nicht nur in den Momenten, als Nathan erbar­mungslos zusam­men­ge­schlagen wird, um gleich darauf wie unberührt wieder von den Toten aufzu­er­stehen, sondern vor allem in den Momenten, als er sich mit sicht­li­cher Mühe zur eigenen Gewalt­an­wen­dung überredet, um sich gleich danach zu entschul­digen.

Gewalt jeder Art steht dann auch zunehmend im Mittel­punkt des Films und ist wohl auch für das FSK 18-Rating verant­wort­lich. Doch wie in fast allen Marvel-Filmen (die allesamt FSK 12 erhalten haben) ist auch in Mr. No Pain die Gewalt und ihre Auswir­kung grotesk und surreal, also üblichen Comic-Standards entspre­chend und wird von einem dialo­gi­schen Subplot begleitet, den man gewöhn­li­cher­weise schwarzen Humor nennt. Die Slapstick-Elemente sind dementspre­chend verblüf­fend und grotesk insze­niert, nicht anders als in einschlägig bekannten Szenen aus den frühen Produk­tionen von Stan Laurel und Oliver Hardy und anderen Stumm­film­größen und hätten die beiden ihre Gags mit den tech­ni­schen Mitteln der heutigen Zeit gedreht, würde die allzu eifrige deutsche FSK – man denke nur an die vers­tö­rend haltlose FSK 14-Vergabe für Ellbogen – wohl auch Dick und Doof heut­zu­tage eine FSK 18 verordnen.

Hoch anzu­rechnen ist Mr. No Pain, der übrigens in Südafrika gedreht worden ist, dann auch das Ende, in dem sich die Regis­seure und Dreh­buch­autor Lars Jacobson noch einmal zwei letzte wilde Schlenker in ihrer anar­chis­ti­schen und immer wieder unvor­her­seh­baren Erzählung erlauben und Mr. No Pain damit zu einer tatsäch­lich rundum über­zeu­genden, alle schlechte Laune zerschla­genden Komödie machen.