USA/D/GB/Argentinien 2004 · 126 min. · FSK: ab 6 Regie: Walter Salles Drehbuch: Che Guevara, Alberto Granado, Jose Rivera Kamera: Eric Gautier Darsteller: Gael Garcia Bernal, Rodrigo de la Serna, Mia Maestro, Mercedes Moran u.a. |
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(Foto: Constantin) |
Mädchen: »Warum werden Revolutionen nicht von humanen Leuten begonnen?«
Godard: »Weil humane Leute keine Revolution beginnen, sie gründen eine Bibliothek.«
Aus: Notre Musique
Keine Frage: Dieser Film wird erfolgreich sein. In Motorcycle Diaries geht es um die jungen Jahre von Ernesto Guevara, als dieser als junger Medizinstudent 1952 mit dem Motorrad durch Lateinamerika fuhr, und seine Mission entdeckte, sich von Ernesto zum Che, vom Bourgeois zum Revolutionär entwickelt. So sagt sinngemäß das Presseheft, so käuen es die meisten Kritiken wieder. In Wahrheit sagt der Film über diese Entwicklung gar nichts, behauptet sie allenfalls.
Che Guevara on Tour: Ernesto, gespielt von Teenie-Heros Gael Garcia Bernal, fährt der Sonne entgegen, knutscht mit Mädchen und brettert mit seinem Motorrad regelmäßig alle fünf Filmminuten in den Graben. Wir sollen da lachen. Mit Ernesto. Und manche halten das wahrscheinlich für Pop. Andere, noch schlimmer, für gutes Kino.
Inhaltlich ist Motorcycle Diaries eine ziemlich träge und vorhersehbare romantische Hagiographie, stilistisch schlimmer: Die erste Hälfte wirkt wie das ZDF-Reisejournal, auch vom Tempo her, die zweite wie eine Albert-Schweitzer-Doku aus den 50er Jahren. Wie Cold Mountain hakt der Film Stationen des Elends ab, jede wird schlimmer als die vorherige, alle dienen nur
als Illustration, die ihren Held immer schöner, besser, edler erscheinen läßt. Winnetou in den Slums. Der Höhepunkt dieses geschmacksverderberischen Machwerks ist eine Leprastation. Salles badet in Häßlichkeit und Ekel, und läßt diese doch nicht an sich ran, erstickt sie durch Sentimentalität und behauptete kleine Schönheiten am Rand. Moral: Die Welt könnte doch so schön sein. Und damit das jeder versteht, hält Ernesto, zum Che geworden, auch noch eine revolutionäre
Rede.
Heimlicher Untertitel: »Wie Che Guevara zum Halbgott wurde«. Motorcycle Diaries ist ein Film, den das Kino eigentlich gar nicht interessiert, der es nur als angenehmes Mittel betrachtet, um seine Thesen unters Volk zu bringen. Auch dies eine (groß)bürgerliche Betrachtungsweise, lackiertes Elend im Postkartenformat, und ein bisschen wird Lateinamerika von den Salonsozialisten Walter Salles (Regie) und Robert Redford (Produktion) als
sozialdemokratisches Disneyland inszeniert, als Ort, »wo man noch wirklich was bewirken kann.«
Was auch nervt: Man könnte einen Film über das machen, was an Che anstößig ist. Ein »Mörder« schreibt die »Welt am Sonntag«. Oder unseren Lieblingsrevoluzzer und T-Shirt-Aufdruck verteidigen, das Gute am Revolutionär und der »Propaganda der Tat« loben. Das wären spannende Filme, die den Streit lohnten. Dissensfilme. Motorcycle Diaries ist ein Konsensfilm, der alles, was an Che Guevara anstößig, politisch, also wichtig ist, konsequent ausblendet. Die Revolution wird zum Hermann-Hesse-Roman, der seinen Helden als politische Figur nicht ernst nimmt, eigentlich beleidigt. Die Chance dieses Film wäre gerade gewesen, die schillernde Figur als schillernde näher zu bringen, oder sie zumindest von Platitüden und Klischees zu befreien. Stattdessen liefert der Film schönes Elend und billige Humanitätsduselei.
PS: Wenn man sich diesen Kitsch schon anschauen will, dann bitte in Originalfassung, da lernt man immerhin noch etwas Spanisch. Die deutsche Synchronisation begeht allerlei Fehler, übersetzt einfach ungenau. Vor allem aber schießt sie den Vogel ab, indem die Indios und Armen im Film mit Spanischen Akzent deutsch reden, – wie die Indianer in Hollywood: »Großer Adler nun gehen in sein Wigwam« –, die gebildeten Bürgersöhnchen aber nicht. Warum sollten sie auch? Aber warum sollen die Indios?