USA 2019 · 115 min. · FSK: ab 0 Regie: Stanley Nelson Kamera: Henry Adebonojo, Herve Cohen, Eric Coleman, Marc Gerke, Jerry Henry Schnitt: Lewis Erskine, Yusuf Kapadia, Natasha Mottola Stimme: Carl Lumbly |
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Miles Davis, the trumpet (Foto: Die FilmAgentinnen) |
John Coltrane, Herbie Hancock, Wayne Shorter – um nur einige zu nennen: Sie alle haben bei Miles Davis gespielt, bevor sie mit ihren Soloprojekten zu eigenen Ruhm gelangt sind. Die letzteren beiden sind auch in Stanley Nelsons Dokumentation Miles Davis – Birth of the Cool zu sehen. Da erzählt Herbie Hancock, dass sie alle praktisch noch Kinder waren, als sie für Miles Davis spielten. Er war 22 Jahre alt, der Drummer war sogar erst siebzehn. Miles Davis hat es immer verstanden, junge Talente in seine Gruppen aufzunehmen und sich dort entfalten zu lassen. Daneben war er selbst ein Virtuose an der Trompete. Sein einmaliger melancholischer Ton ist bis heute unverkennbar.
In Miles Davis – Birth of the Cool verfolgen wir die Karriere des Ausnahmemusikers von seinen Bebop-Anfängen mit Charlie Parker über seine Cool-Jazz- und Hard Bop-Phase, den modalen Jazz seines Klassikers »Kind of Blue« bis hin zu seinen Fusion-Experimenten in den späten 1960ern und frühen 1970ern und zu seinem Comeback mit Jazz-Pop in den 1980ern. Stanley Nelson zeigt die Wandlung Miles Davis vom Anzugträger hin zu den wilden Outfits seiner Spätphase, als er mit übergroßer Brille und in Lederfransenkostüm auf der Bühne auftrat.
Der Film ist streckenweise rasant geschnitten. Wilde Assoziationsketten von Bildern führen in die jeweiligen Epochen der verschiedenen Schaffensphasen ein. Geschmeidig bleibt der Schnitt auch in den Phasen dazwischen. Immer wieder sehen wir Miles in Großaufnahme in seine Trompete blasen. Dabei werden viele der einzelnen Stationen von Miles Davis persönlich kommentiert. Allerdings sind diese Kommentare von einem Sprecher nachgesprochen. Trotzdem hört sich die berühmte Kratzstimme äußerst authentisch an.
Die Dokumentation ist eine unablässige Folge von Archivmaterial von den Konzerten und Studioaufnahmen sowie von privaten Bildern von Miles Davis, von Zeitimpressionen und von den unvermeidlichen sprechenden Köpfen zahlreicher Bewunderer und Wegbegleiter. Doch die Hauptrolle kommt in der Dokumentation der Musik von Miles Davis selbst zu. Beispielsweise sehen wir, wie Miles Davis 1958 zu Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott direkt zum Film die Musik improvisiert. Wir sehen Jeanne Moreau nachts über die Straßen von Paris wandeln, während Miles Davis im Vordergrund in seine Trompete bläst und sein melancholischer Soundtrack ertönt.
Es wird auch betont, dass sich Miles Davis in seiner Musik von einer Seite zeigen konnte, die er nicht im Alltag zu offenbaren vermochte. Denn so gefühlvoll seine Musik auch sein mag: Als Mensch war Miles Davis wenig umgänglich. Er wird im Film als wütend und antisozial beschrieben. Seine Frau Frances Taylor hat er verprügelt, bis sie sich hat scheiden lassen. Zu seinen Ausbrüchen hat sicherlich auch sein starker Konsum von Alkohol, Kokain und Schmerzmitteln beigetragen. Schon in jungen Jahren war Miles Davis zudem heroinabhängig gewesen.
Zur Heroinabhängigkeit kam es, als Miles Davis nach einem längeren Parisaufenthalt wieder in die Vereinigten Staaten zurückkehrte. In Paris war ein Miles Davis gefeierter Musiker gewesen. Er war mit der bildschönen Sängerin Juliette Gréco liiert und verkehrte mit solchen Berühmtheiten wie Pablo Picasso. Dass er schwarz war, spielte im liberalen Paris keine Rolle. Er war als Künstler anerkannt und konnte sich frei entfalten. Zurück in den USA musste Miles Davis jedoch feststellen, dass er selbst in der angeblich hippsten Stadt der Welt New York ständig wegen seiner Hautfarbe belästigt wurde. Er flüchtete sich in den Rausch. Später entwickelte sich Miles Davis jedoch zu einem selbstbewussten Vorkämpfer der Black-Pride-Bewegung.
So zeichnet Miles Davis – Birth of the Cool ein vielschichtiges Porträt einer komplexen Künstlerpersönlichkeit. Mit einer Laufzeit von fast zwei Stunden nimmt sich der Dokumentarfilm viel Zeit, um die unterschiedlichen Facetten von Miles Davis eingehender zu beleuchten. Das Ergebnis ist das Bild eines Getriebenen. Ein unablässiger Drang nach freier Entfaltung seiner Kreativität treibt Miles Davis an. Parallel dazu scheinen auch immer wieder die Dämonen auf, die ihn ritten. Ab Mitte der 1970er-Jahre nahmen sie Oberhand. Sie sorgten dafür, dass Miles Davis komplett von der Bildfläche verschwand, bevor er Anfang der 1980er-Jahre ein rauschendes Comeback feierte.