USA 2001 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Gore Verbinski Drehbuch: J.H. Wyman Kamera: Dariusz Wolski Darsteller: Brad Pitt, Julia Roberts, James Gandolfini u.a. |
Für Hollywood ist Mexiko immer das Andere. Im Gegensatz zum vertrauten Europa, im Unterschied auch zum ganz Fremden und faszinierend bis unangenehm Exotischen Asiens, ist das Leinwand-Mexiko so wie man selbst, nur ganz anders. Zugleich Utopie und Hölle des amerikanischen Lebens findet sich dort wieder; die andere Kolonie der Europäer ist auch so etwas wie eine zweite Möglichkeit des eigenen Daseins, vor der man erschrocken zurückweicht, um sich gleich darauf eigentümlich berührt wieder hinzuwenden – wie vor einem verzerrten Spiegelbild, einem verlorenen Zwillingsbruder. So wird jede Kino-Reise nach Mexiko zum Trip ins ganz Eigene, zur psychologischen Achterbahnfahrt, die Urängste und Verdrängtes, heimliche Begierden und wahre Lügen zutage fördert, und damit ganz nahe dran ist am Kino selbst, jener Denk-Maschine des kollektiven Unbewußten.
Wie viele Mexiko-Darstellungen im US-Kino ist auch The Mexican ein Film über die Grenze zwischen beiden Ländern, und wieder werden beide Seiten gegeneinander gespiegelt. Hier ist Julia Roberts, als Geisel genommen von einem Killer mit dem sie zwischen Las Vegas und Tijuana übers Land fährt, dort ihr Geliebter Brad Pitt, der sich selbst in Geiselhaft hält, denn dies soll sein letzter Auftrag werden für die Gangster vom Grenzland. Natürlich geht alles schief, bevor
es gut wird. »The Mexican« ist der MacGuffin, und das ist nicht nur deshalb ein guter Scherz, weil dieses ganze Land selbst vielleicht nur ein einziger MacGuffin ist fürs US-Kino. Sondern auch weil sich um die edle Pistole die diesen Namen trägt, so viele Legenden, so viele widersprüchliche Erzählungen ranken, dass man die Wirklichkeit kaum noch erkennt vor lauter Interpretation.
»The Mexican« ist also der Name für viele Geschichten und so enthält der Film auch ganz nebenbei eine
kleine Lektion in Textentzifferung, lehrt, dass alles Interpretation und Perspektive ist, und das man darum der Rhetorik nicht trauen darf, ohne die das Kino doch nicht auskommt, den Gesten der Überwältigung nicht, die es praktiziert, und in die wir uns so gern verlieren. Denn irgendwann wird die Waffe natürlich losgehen, auch hier bricht Regisseur Gore Verbinski nicht mit den Gesetzen des Kinos.
Aber vielleicht bleibt in dieser gut funktionierenden Komödie mit
Screwball-Elementen der Name doch das Wichtigere, denn wenn alle einer Waffe hinterherjagen, dann jagen sie eben tatsächlich auch der Macht hinterher, die sie verleiht und dadurch zugleich dem Fluch, der auf ihr lastet. So verheddern sich diese Amerikaner hier eher in ihren Vorstellungen von der Wirklichkeit und deren Mythen, als in ihr selbst, und die mächtigste Metapher, also das größte Hindernis bleibt Mexiko.
Trauen sollte man daher auch dem Killer nicht, denn wenn er auch
charmant ist und wir ihn darum lieben, und wenn er auch schwul ist, und er uns darum perfekt ins eigene gewohnte Schema der Interpretation zu passen scheint, so ist das trotzdem nicht einfach gut so, bleibt er doch einer, der irgendwann den Weg aller irdischen Killer zu gehen hat.
Brad Pitt muss auch seinen Weg gehen, doch lange Zeit stolpert er ihn eher. Ein merkwürdig passiver Kinoheld, ein Loser, nahe an den naiven Romanfiguren früherer Jahrhunderte, der wie ein Hans im Glück von Gelegenheit zu Gelegenheit stolpert, kein Spanisch kann, und darum von allen hereingelegt wird, erst alles verliert, um doch alles noch zu gewinnen. Zum ersten Mal erinnert Brad Pitt da fast ein wenig an Jack Lemmon, dem in seinen Komödienrollen manchmal Ähnliches geschah, und der nur etwas ernster und darum zorniger war, wo sich Pitts Figur allzuschnell ins Schicksal zu ergeben scheint. Doch das hat anderes mit ihm vor, und so muss er zunächst noch seine Pflicht als Held erfüllen, die Bösen zur Strecke bringen, um dadurch die Frau zu gewinnen, die ihm schon von Anfang an gehört. Auch Julia Roberts hat man selten so beschwingt und unhysterisch gesehen. Sie gibt die verwöhnte Prinzessin, aber eine, die nur verlangt, was ihr wirklich zusteht. Mexiko als Märchenland, als Land auch der Befreiung zweier Schauspieler von sich selbst.
Insgesamt bleibt der Schauplatz bei alldem eher unscharf. Letztlich sind es wieder die alten Scherze, erscheint Mexiko das Land der irgendwie Verrückten, die schnell mit der Knarre oder dem Messer bei der Hand sind, die Autos klauen, und wo alles verwahrlost und dreckig aussieht. »Was ist nur los mit Euch allen?« fragt auch Brad Pitt, und wenn er diese Frage aller Fragen stellt, will er das stellvertretend für uns tun, werden also auch wir spätestens da zu Mexiko-Reisenden, die alles vor allem pittoresk finden, und ein wenig bedrohlich. Auch diesmal, nur eben in Komödienform, fungiert Mexiko somit als das Land des geheimnisvoll Unverständlichen, des Staat gewordenen bösen Horrortrips. Ein Name eben. Nur das Mannbarkeitsritual will nicht recht funktionieren. Der Junge bleibt ein Junge.