Fear City – Manhattan, zwei Uhr nachts

Fear City

USA 1984 · 97 min. · FSK: ab 16
Regie: Abel Ferrara
Drehbuch:
Kamera: James Lemmo
Darsteller: Tom Berenger, Billy Dee Williams, Melanie Griffith, Jack Scalia, Rossano Brazzi u.a.
Glamouröser Sündenpfuhl
(Foto: e-m-s (DVD))

Der Boxer und der Killer

Abel Ferraras Fear City von 1984 beginnt mit einem Kame­ra­flug über das nächt­liche New York. Wir sehen die Spitze des Chrysler Buildings, bevor sich die Kamera dem Times Square nähert. Der war zu dieser Zeit noch ein Sünden­babel. Als die Kamera sich auf Straßen­höhe begibt, sehen wir die grellen Neon­re­klamen diverser Sexschuppen. Dazwi­schen geschnitten sind Aufnahmen von Strip­pe­rinnen beim Tanzen. Die auffäl­ligste ist Loretta (Melanie Griffith). In dieser von roten Lichtern geprägten Welt setzt sie sich mit einem funkelnden blauen Kleid und einer strahlend blauen Bühnen­de­ko­ra­tion ab.

Der ehemalige Profi­boxer Matti Rossi (Tom Berenger) und sein früherer Manager Nicky Parzeno (Jack Scalia) betreten den Laden. Sie betreiben zusammen die Strip­pe­rinnen-Agentur »Starlite«. Die Agentur gerät zunehmend in Bedrängnis, als ein namen­loser Killer (John Foster) mehrere der Mädchen auf dem Nach­hau­seweg atta­ckiert. Während Matti seine Ex-Freundin Loretta zu beschützen versucht, ermittelt der Polizist Al Wheeler (Billy Dee Williams) in dem Fall. Schließ­lich holt sich Matti von dem Mafioso Carmine (Rosanno Brazzi) das Okay, an dem Killer Rache auszuüben.

Mit Fear City setzt Abel Ferrara seine mit The Driller Killer (1979) und Die Frau mit der 45er Magnum (1981) begon­nenen Erkun­di­gungen der dunklen Seite New Yorks fort. Mit letzterem Film verbindet Fear City die aus mora­li­schen Gründen durch­ge­führte Mordserie. Aller­dings ist es in diesem Fall kein sich rächendes ehema­liges Opfer, sondern ein psycho­pa­thi­scher Irrer, der die Morde ausübt. Der Killer, der ein Kampf­kunst­ex­perte mit anato­mi­schen Kennt­nissen ist, befindet sich auf einem Feldzug gegen die Sünde in der Stadt, als deren Vertre­te­rinnen er die Strip­pe­rinnen ansieht.

Der Plot um diesen gestörten Killer inter­es­siert Ferrara jedoch nicht allzu sehr. Zwar zeigt der Regisseur, wie der Killer in seinem Unter­schlupf in einem leeren Loft in ein Buch mit dem Titel »Fear City« schreibt und Kampf­kunst­ü­bungen betreibt. Doch dabei bleibt der Killer eine seltsam blasse Figur. Auch seine mit wech­selnden Mord­in­stru­menten verübten Attacken auf die Strip­pe­rinnen sind keine Höhe­punkte innerhalb des Gesche­hens, sondern fast schon wie beiläufig insze­niert.

Viel mehr konzen­triert sich Ferrara darauf, das Ambiente der Welt der Strip­pe­rinnen einzu­fangen. Wir sehen nackte tanzende Damen im Club von Mike (Michael V. Gazzo). Wir erfahren, dass die bise­xu­elle Loretta mit der lesbi­schen Leila (Rae Dawn Chong) liiert ist und sehen die beiden beim Liebes­spiel. Wir sehen auch, wie Loretta, nachdem eine ihrer Kolle­ginnen vom Killer atta­ckiert wurde, rück­fällig wird und wieder regel­mäßig Kokain nimmt. Während­dessen greift Matti ebenso regel­mäßig zur Flasche. Er ist trau­ma­ti­siert. Als Boxer hatte er einen seiner Gegner totgeboxt. Immer wieder zeigt Ferrara Rück­blenden zu dem verhäng­nis­vollen Boxkampf.

Aber auch die Beziehung zwischen Loretta und Matti bleibt blass. Wir erfahren weder, was die beiden ausein­an­der­brachte noch können wir wirklich nach­voll­ziehen, weshalb sie sich jetzt wieder so sehr umein­ander kümmern. Im Zentrum der Handlung steht dahin­gegen Matts Sehnsucht nach Erlösung von seiner Schuld aus seiner Zeit als Profi­boxer. Jetzt will er seine Fähig­keiten als Boxer dazu einsetzen, den wahn­sin­nigen Killer zur Strecke zu bringen. An einer Stelle bittet er deshalb einen Priester um Vergebung von Sünden, die er noch gar nicht begangen hat.

Diese Sehnsucht nach Erlösung und nach Vergebung zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk von Abel Ferrara. Die taub­stumme Prot­ago­nistin aus Die Frau mit der 45er Magnum schlüpft auf ihrem Kreuzzug gegen die verkom­menen Vertreter des männ­li­chen Geschlechts sogar in eine Nonnen­tracht. Sie sucht vergebens nach Erlösung von dem Trauma, das sie erfahren hat. Und der abge­half­terte Cop aus Bad Lieu­tenant (1992) kriecht jammernd über den Boden einer Kirche und fleht dabei, dass Jesus ihm seine vielen Misse­taten vergeben soll. Fear City fehlt die Meis­ter­schaft dieser Werke. Aber ein sehr atmo­s­phä­ri­scher Neo-Noir ist der Film trotzdem geworden.