Magic Mike's Last Dance

USA 2022 · 112 min. · FSK: ab 12
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch:
Kamera: Peter James
Darsteller: Channing Tatum, Salma Hayek, Ayub Khan Din, Jemelia George, Juliette Motamed u.a.
Körpertherapie und Katharsis
(Foto: Warner Bros.)

Alles oder nichts

Steven Soderberghs dritter Teil seines erfolgreichen Franchise ist ein charmantes Stripper-Sozialmärchen ohne Ecken und Kanten. Schade.

Man sollte nicht allzu wütend sein über diese Zeiten der großen Comebacks alter Fran­chises, sind sie doch für die alten Kino­gänger ein Jung­brunnen wie die Konzerte abge­half­terter Schlager-, Pop- und Rockstars. Forever young auf allen Kanälen, und natürlich erst recht im Kinokanal. Sei es Bad Boys for Life, Rambo: Last Blood, Termi­nator: Dark Fate, Fast & Furious 9 und Top Gun: Maverick, die letzten Monate waren voll davon. Und nun auch Steven Soder­bergh, dessen Portfolio – von Sex, Lies, and Videotape (1989), Erin Brock­ovich (2000), die Ocean-Trilogie (2001-18) und No Sudden Move (1921) – sicher­lich eines der komple­xesten der unab­hän­gigen, ameri­ka­ni­schen Filme­ma­cher ist. Wie komplex, zeigt sich viel­leicht am besten an Soder­berghs Magic Mike aus dem Jahr 2012, mit Channing Tatum in der Haupt­rolle, in dem Tatums eigene Erfah­rungen als Stripper und die Sexarbeit von Unter­schicht­män­nern über­ra­schend tragi­ko­misch darge­stellt wurden. Der Film war so erfolg­reich, dass 2015 der flaue Magic Mike XXL folgte, mit Soder­bergh hinter der Kamera und im Schnei­de­raum, aber Gregory Jacobs als Regisseur. Die magere Story spielte jedoch immer noch genug Geld ein, um nun, gut zehn Jahre nach dem ersten Teil, ein finales Install­ment zu wagen, das wie alle Teile zuvor von Reid Carolin geschrieben wurde und bei dem auch Soder­bergh wieder Regie führte.

Das Ergebnis über­rascht vor allem zu Anfang. Denn Soder­bergh und Carolin stellen Mike, wie immer von Channing Tatum verkör­pert, als Opfer der Corona-Krise dar. Als desil­lu­sio­nierter Aushilfs-Barkeeper muss er sich auf den Partys der Reichen ein Auskommen verdienen, eine Partnerin oder gar Familie gibt es nicht. Er scheint also dort zu stehen, wo er schon 2012 stand. An einem sozialen Abgrund, der noch einmal prekärer ist, weil Mike alt geworden ist und auch nicht mehr als Stripper und »Sex-Toy« arbeiten will. Aber dann kommt natürlich doch alles anders und wir befinden uns in guter Gesell­schaft vergleich­barer Sozi­al­mär­chen, wie etwa den im vergan­genen Jahr gestar­teten fran­zö­si­schen Filmen Tenor oder Haute Couture, in denen die Versöh­nung von prekären sozialen Verhält­nissen und Ober­schicht so gut gelingt, dass es schon fast einem Manifest gleicht.

Auch Mike hat also Glück. Denn er trifft auf die in Trennung lebende Millionärs­gattin Maxandra Mendoza (Salma Hayek Pinault), die Mike einen letzten Tanz abringt und daraufhin derartig »austhe­ra­piert« ist, dass sie ihr Leben verändern will und das von Mike gleich mit und ihn kurzer­hand nach London verführt, wo Mike an einem der legen­dären West-End-Theater – das ihr selbst­ver­ständ­lich gehört – als Regisseur eine Show kreieren soll, die jenseits der üblichen West-End-Moral eine ähnliche Katharsis erzeugen soll, wie sie es selbst mit Mike erlebt hat.

Soder­bergh kümmert sich auf dieser England-Reise nicht um sonder­lich großen Fein­schliff. Touris­ti­sche Stereo­typen Londons werden munter, ja fast schon aufdring­lich bedient, und dass auch Reichtum sexy und kreativ sein kann, gibt es gratis mit dazu. Von der seit dem Brexit einbre­chenden Wirt­schaft und den Auswir­kungen auf die Gesell­schaft Englands sehen wir dezidiert nichts, es geht hier wie im Märchen nur um die reiche Prin­zessin, die den Müller­bur­schen zum Mann haben möchte, entgegen aller Unkenrufe.

Auch von Mikes Abgründen erfahren wir – ausge­nommen die Anfangs­szene und einen Videocall mit seinen Kumpels aus alten Zeiten – rein gar nichts. Das ist umso bedau­er­li­cher, als es seit dem ersten Magic Mike weitaus diffe­ren­zier­tere, aufre­gen­dere filmische Explo­ra­tionen gab, die mit subtilem Humor und anar­chi­scher, düsterer Wucht das Leben von männ­li­chen Sexar­bei­tern geschil­dert haben, von denen sich Soder­bergh hätte inspi­rieren lassen können. Ich denke da vor allem an den erst im letzten Jahr erschie­nenen Red Rocket von Sean Baker, dessen großar­tiger Haupt­dar­steller Simon Rex ja so wie Channing Tatum ebenfalls einschlä­gige Erfah­rungen gesammelt hatte, bevor er ins bildungs­bür­ger­liche Film­seg­ment migrierte.

Doch ganz unrecht ist Soder­berghs Film natürlich auch nicht, dürfen sich über eine fulmi­nante Choreo­grafie und wirklich tolle Tänzer bislang gehemmte Frauen hier doch endlich selbst ermäch­tigen und dem intel­lek­tu­ellen Dünkel gleich auch noch eins auswi­schen, jeden­falls solang sie über 16 Jahre alt sind. Für alle anderen heißt es erstaun­li­cher­weise: Weggucken. Das ist wohl nicht einmal als Witz gemeint, aber egal, denn Soder­berghs Abgesang auf das Leben von Mike ist ja auch ansonsten eine Heimkehr in alte Zeiten, kehrt Soder­bergh mit diesem männ­li­chen Stripper-Film doch in das Land zurück, in dem damals mit Peter Cattaneos The Full Monty (dt. Ganz oder gar nicht, 1997) alles begonnen hatte: mit tanzenden, nackten Männern, die einfach nur ihrem sozialen Elend entkommen wollten, in einem England, dem es damals ähnlich dreckig ging wie dem England von heute.