USA 2012 · 111 min. · FSK: ab 12 Regie: Steven Soderbergh Drehbuch: Reid Carolin Kamera: Peter Andrews Darsteller: Channing Tatum, Alex Pettyfer, Matthew McConaughey, Cody Horn, Olivia Munn u.a. |
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Da haben wir's: Alles andere als spektakulär |
Vor ein paar Wochen stoße ich auf einer Litfasssäule erstmalig auf das Plakat zu Magic Mike und ignoriere es so gut als möglich. Offensichtlich kommen wieder irgendwelche männlichen Stripper in die Stadt, nichts könnte mir mehr egal sein.
Wenig später sehe ich das Plakat im Ankündigungsbereich meines bevorzugten Fremdsprachenkinos, wundere mich kurz und schließe ohne genauere Betrachtung, dass meine ursprüngliche Annahme falsch war und in diesem
Kino nach Liveübertragungen von weltweiten Opern- und Theateraufführungen nun auch Shows aus Las Vegas gezeigt werden.
Ein paar Tage darauf läuft in eben diesem Kino ein Trailer zu Magic Mike, jetzt wird selbst mir klar, dass es sich dabei tatsächlich um einen Spielfilm handelt. Ich betrachte den Trailer und fühle mich an das fürchterliche »Jersey Shore« erinnert. Gerade in dem Moment, in dem ich den Film innerlich als uninteressanten Unsinn abtun will,
nehme ich als allerletzte Information »Regie Steven Soderbergh« wahr. Es folgen einige Sekunden kognitiver Dissonanz, mit der zentralen Frage, wie das bisher zu Magic Mike wahr- und angenommene mit diesem herausragenden Regisseur zu vereinbaren ist.
Das unangenehme Gefühl der Dissonanz klingt aber schnell ab und weicht der gespannten Erwartung. Schließlich ist Soderbergh einer der geschicktesten und intelligentesten Akteure im Filmgeschäft, einer der mit Genres, Stilen und Sujets spielt, der ihre Regeln durchleuchtet, durchschaut und sie dann geschickt unterläuft, umbaut oder auf die Spitze treibt, einer der großen Kommerz ebenso kann wie kleinen Arthouse, einer der kein Problem damit hat, sich zwischen solchen Amplituden zu bewegen, einer der (wie Lars von Trier, siehe hierzu den Artikel zu der Retrospektive im Filmmuseum) das Hindernis bzw. die Herausforderung als wichtiges künstlerisches Prinzip verstanden hat.
Gerade wegen Soderberghs unberechenbarer Vielseitigkeit geht für mich nach dem Trailer das Rätselraten weiter. Was erwartet mich bei einem Soderbergh-Film über männliche Stripper?
Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit kann ich schlüpfrigen Quatsch wie Striptease oder Showgirls ausschließen. Auch eine amerikanische Neuauflage von Ganz oder gar nicht wird es wohl nicht werden.
Meine Vermutung geht eher in die Richtung Boogie Nights, also ein realistischer Einblick in das nach außen glitzernde Erotikgeschäft, das innen gar nicht so toll ist, das auch brutal sein kann, das Menschen kaputt macht und entwürdigt.
Oder es wird ein Film
wie The Wrestler, also die Schilderung einer sonderbaren Subkultur, von der wir immer nur die schimmernde Oberfläche wahrnehmen. Darunter steckt aber ein komplexes System, ein eigene Kultur mit eigenen Zeichen und Regeln, geprägt von harter Arbeit und dem steten Kampf gegen das Altern und Versagen.
Oder doch eher eine American Gigolo-Variante, also das Bild eines Mannes, der vordergründig den tollen, omnipotenten Hengst gibt, der in Wirklichkeit aber einsam, beziehungsgestört, gefühlsarm ist?
Nach dem Trailer scheint auch ein Anti-»Jersey Shore« möglich, eine gallige Abrechnung mit dem Trend der realistisch-exhibitionistisch-voyeuristischen Unterhaltung unserer Zeit.
Entsprechend gespannt schaue ich mir schließlich Magic Mike an und werde schon wieder überrascht, weil keine meiner Erwartungen wirklich zutrifft.
Vielmehr verläuft der Film (bei diese Handlung!) erstaunlich unspektakulär. Mike und Adam lernen sich kennen, Mike ist Stripper, er führt Adam ins Geschäft ein, sie werden Freunde, Mike verliebt sich in Adams Schwester, Mike versucht sich ein anderes Geschäft aufzubauen, es wird viel getanzt, viel geredet, es
gibt Probleme, deren Folgen sind mäßig dramatisch.
Ich verlasse den Film und schon wieder setzt sich die Dissonanz in meinem Kopf fest. Einerseits wurde ich zwei Stunden bestens unterhalten, habe mich keine Sekunde gelangweilt, habe auch nicht das Gefühl, nur oberflächlich bespasst worden zu sein (was auch OK wäre). Andererseits sehe ich nicht, was der Film überhaupt will, was seine besonderen Qualitäten sind. Er bietet keine wirklich tiefgründigen Charakterbilder, er offenbart nichts, er klagt nichts an, er zeigt keine nachhaltigen Probleme, keine schmerzhaften Schattenseiten, keine dramatischen Konflikte, keine Lebenslügen und zerstörten Träume. Er glorifiziert auch nichts, verklärt nichts, schafft keine Helden und erzählt keine »wenn man wirklich will kann man alles schaffen«-Geschichte.
Wie ich in Gedanken so die Liste der Dinge durchgehe, die Magic Mike nicht ist oder was er nicht macht, wird mir klar, dass gerade darin seine Stärke liegt: Er erfüllt all die möglichen Erwartungen und üblichen Standards: nicht.
Da zeigt sich wieder Soderbergh, der clevere Spieler. Er führt einen laufend in geradezu prototypische Szenen, deren Fort- bzw. Ausgang man aus hundertfacher Erfahrung zu kennen glaubt, um dann das, was man erwartet, nicht zu tun.
Und weil Soderbergh eben auch ein geschickter Wanderer zwischen den Welten ist, werden hier die Standards des oberflächlichen Kommerzes gleichermaßen verweigert wie die des anspruchsvoll kritischen Kunstfilms. So wird etwa aus dem orientierungslosen Totalverweigerer Adam durch die Kraft des Tanzes nicht wunderbarerweise das emotionell gefestigte, wertvolle Mitglied der Gesellschaft, er endet aber (nach einem kurzen Höhenflug) auch nicht als cracksüchtiger Stricher.
Teil dieser ge- bzw. verstörten Erwartungshaltung ist die (von Soderbergh sicher ganz bewusst gewählte) Diskrepanz zwischen dem unspektakulären Erzählstil und dem ausdrücklich spektakulären Sujet der Stripper von Tampa Bay. Würde derselbe Film in Oregon spielen und von männlichen Reinigungskräften oder Gefängniswärtern handeln, hätte man einen eindeutigen, leicht zuordenbaren Arthousefilm, bei dem es nicht schwer fiele, seine Qualitäten zu erkennen.
Bei Magic Mike ist das nicht ganz so einfach. Hier muss man erst einmal festgefahrene Sehweisen überwinden und sich nachhaltig verstören lassen, um zu verstehen, dass hinter einer grellen Fassade ein sehr ruhiger, sehr guter Film steckt.