Deutschland 2017 · 99 min. · FSK: - Regie: Peter Heller Drehbuch: Peter Heller, Paul Krehan Kamera: Klaus Lautenbacher, Thomas Willke Schnitt: Wolfgang Grimmeisen |
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Sigi Daibers Geist schwebt über dem Maxim |
Um das Maxim-Kino in München gab es in den letzten fünf Jahren viel Aufregung. Ob Mieterhöhung durch einen angeblich renditeversessenen Vermieter, der an der schlechten Lage an der Feinstaub-Allee die beste Marge herausholen wollte, ob feindliche Übernahme durch interessierte Kollegen, die die Immobilie besichtigten, den Renovierungsaufwand schätzten und einige Ideen hatten, die wieder begraben wurden, ob Initiativen zur Rettung des alten Maxims, die vor allem aus dem Stadtteil kamen: immer war es struggle for life, Kampf um das bedrohte Kino. Sigi Daiber war der knurrige Kinobetreiber, der sein Kino durch diese Zeit navigierte, und am Ende nur noch eins wollte: es unter keinen Umständen verlieren.
Früher war alles einmal anders gewesen. Besser. Nicht immer musste Sigi Daiber, den alle nur »Sigi« nannten – Besucher, Kollegen, die Nachbarschaft – um sein Kino bangen. Man rannte ihm die Bude ein.
Trotzdem wurde es im Lauf der Zeit still und stiller ums Kino. Es liefen kaum noch Filme, die Digitalisierung tat dem Kino nicht gut. Die Technik wurde schlecht, die Zuschauer blieben aus, die Existenz war bedroht. Sigi ging die Puste aus. Dann aber wurde das Kino wie Phoenix aus der Asche wiedergeboren. Vier Freunde, keine etablierten Kinobetreiber, übernahmen in respektabler Eigeninitiative das Kino und verwandelten es in ein lichtvolles, modernes Schmuckstück. Sogar die »Feinstaub«-Allee schien jetzt als Attribut der Landstraße, an der das Kino liegt, passé. Weggezaubert durch neuen Glanz.
Der Münchner Filmemacher Peter Heller hat dem Maxim-Kino nun ein gebührendes filmisches Denkmal gesetzt. Maxim leben – Ein altes Kino erzählt heißt sein Dokumentarfilm, in dem er aus in nahezu dreißig Jahren geführten Interviews, Film- und Fotomaterial die Zeit des Maxim auferstehen lässt – und damit den Spirit, der das Kino zu alten Zeiten so legendär gemacht hat. Peter Heller ist wie andere Münchner Filmemacher seiner Generation mit dem Maxim geradezu verwachsen. Es war »ihr« Kino, das Kino der Filmemacher, in denen die eigenen Filme zu sehen waren, allesamt engagierte und nicht formatierbare, also fürs TV unauswertbare Werke. Als Zeitzeuge ist Peter Heller so auch in die Geschichte des Kinos involviert, und tritt neben seinen Kollegen, Kinobetreiber Sigi Daiber und der späteren Gründerin des Dokumentarfilmfests Gudrun Geyer selbst auch in Interviews auf, die über Jahre geführt wurden. Maxim leben ist eine eindrucksvolle Chronik, bei der man den Eindruck hat, als habe Peter Heller immer schon die Kamera wie einen Notizstift dabei gehabt, um die Zeit festzuhalten.
Die Kinogeschichte verbindet er mit den im Kino gezeigten Filmen, Veranstaltungen, Diskussionen, die abgehalten wurden. Dazu hat Peter Heller auch das Neuhausener Viertel eingefangen. Es pulsierte an jeder Ecke, es war politisch, der Geist von ‘68 war hier bis in die Nullerjahre lebendig. Das letzte Kino Neuhausens, das Maxim, war Schule des Sehens und Diskutierens, oft ging es hoch her. Der »Aufbruch der dritten Welt« und die Visionen einer »Theologie der Befreiung« wurden hier diskutiert und die Möglichkeiten anti-kolonialistischer Afrika-Darstellung im Film – für Peter Heller ein Initiationsmoment für sein eigenes Filmschaffen. Mit einem beneidenswerten Überhang an Utopien und Idealismen steht in Maxim leben eine hoffnungsmachende Vergangenheit wieder auf, die nur einen Makel hat: vergangen zu sein.
Ganz ohne Nostalgie, sehr organisch, erzählt Peter Heller vom langsamen Vergehen der politischen Zeit. Bilder, die ein immer leereres Kino zeigen, sind unmittelbare Anschauung, viel Verständnis kommt auf dafür, warum dies so passierte. Dabei spart Peter Heller auch die kritischen Untertöne nicht aus und macht plausibel, weshalb »der Sigi« an der Utopie eines anderen Kinos unbedingt festhalten wollte. Er war nie ein »normaler« Kinobetreiber, unabhängig von seinem katastrophalen Geschäftssinn. Für ihn war das Kino Teil einer gesamtpolitischen Bewegung, die beim Zeigen von Filmen begann und aus dem Kino in die Welt hinausgetragen wurde. »Filme sind Werkzeuge« hieß es immer, das Kino der Ort einer »Gegenkultur auf 16mm«.
Nicht nur die Friedensbewegung verlor ihren unmittelbaren Gegner respektive Ansprechpartner. Auch die Gegenkultur verlief sukzessive ins Leere. Das Kino konnte daher nur unter vollkommen neuem Vorzeichen seine Türen wiedereröffnen. Der Geist des Kinos aber wurde erhalten. Es wird wieder als Stadtteilkino geführt, man arbeitet mit den Cafés und Läden um die Ecke zusammen, fährt die Programme mit dem Fahrrad aus, eine Art »Slow Cinema«, das Anne Harder und ihr Team praktizieren. Dies sollte durchaus im Sinne Sigi Daibers sein, auch wenn er das niemals zugeben würde. Maxim leben gelingt das Bravourstück, Vergangenheit und Gegenwart weniger als Bruch denn als Kontinuum begreifbar zu machen.