USA 2014 · ca. 340 min. Regie: Matthew Barney Drehbuch: Matthew Barney Musik: Jonathan Bepler Kamera: Peter Strietmann Schnitt: Katie Mcquerrey |
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Ein im Stil des Alten Ägypten wiedergeborenes Auto Filmstill, Foto Hugo Glendinning © Matthew Barney, Courtesy Gladstone Gallery, New York und Brüssel |
Sie ist nicht so einfach, die Sache mit der Wiedergeburt und der Unsterblichkeit, bei Matthew Barney heißt es, dafür durch den Fäkalienfluss schwimmen oder sich durch die Gedärme einer toten Kuh wühlen. Ja, es ist alles ein bisschen wahnsinnig, was man da gesehen hat, bei der Europapremiere des Opern-Filmes River of Fundament des amerikanischen Künstlers Matthew Barney. Der Wahnsinn, das Unbewusste, das ES, die eigene Wiedergeburt… – wie auch immer man es nennen mag, es schleicht sich aus der Dachstube, vom Stuhl und Tisch des Schriftstellers und Künstlers in das eigene Unbewusste. Aber stopp, man muss sich schon fragen, ob man das will, das Eintauchen in diesen Strom aus antiken Mythen und selbst kreierten Ritualen, Obszönitäten und Literaturzitaten, einer vergoldeten Scheißwurst und wiederauferstandenen Autos. Ein Tick Ironie kann dabei sehr helfen – damit kann Barney persönlich übrigens überhaupt nichts anfangen, für ihn ist das alles sehr, sehr ernst.
Matthew Barney: River of Fundament ist ein sogenannter Opern-Film. Der amerikanische Komponist Jonathan Bepler, der auch schon an Barneys Cremaster-Serie mitgearbeitet hat, hat wesentlich zum Film beigetragen und zeichnet in den Ausstellungskatalogen als Co-Autor. Außerdem hat der Film wahrlich wagneranische Ausmaße mit einer Länge von über fünf Stunden. Nicht zu vergleichen also mit der normierten und optimiert-dramaturgischen Kinofilmlänge, hier braucht man Sitzfleisch. Auch bevorzugt Barney für die Aufführung das schummrige Opernlicht, Raum und Nachbarn lassen sich so – anders als im schwarzen Kinoraum – permanent mitgucken.
Ausgangspunkt für den Film und die gleichnamige Ausstellung, die derzeit im Münchner Haus der Kunst zu sehen ist, ist der Roman »Ancient Evenings« (»Frühe Nächte«, 1983) von Norman Mailer, der es seinem Freund Barney in die Hand gedrückt hat, wahrscheinlich wohl wissend, dass es ganz nach dessen Geschmack geraten ist. Barney tauchte für sieben Jahre in das Werk ein – dabei findet er es gar nicht mal so gut, wie die meisten Literaturkritiker übrigens auch. Aber Barney steht auf Widersprüche und Widerstände, er lässt sich gerne begrenzen und herausfordern. Am Schönsten sieht man das in seiner Zeichen-Serie »Drawing Restraint« (1988-2005), in der er seinen Körper begrenzte, ihn beispielsweise fesselte und er, so gefesselt, Zeichnungen anfertigte. Mailers Roman handelt von einem Edelmann im alten Ägypten, der zwischen 1290-1100 v. Chr. drei Mal stirbt und zwei Mal wiedergeboren wird. Die dritte Wiederauferstehung schließlich misslingt, er bleibt er stecken.
Der Film – ein Hybrid zwischen Kino, Oper und Performance-Kunst, fiktionalem und dokumentarischem Film –, spielt in drei Städten, die sich an drei Flüsse befinden. »Hauptpersonen« sind drei Autos und ihre jeweilige Reinkarnation, das Wort »Reinkarnation« kann hier gerne durch das Wort »Recycling« ersetzt werden. In Los Angeles am River Rouge wird ein Chrysler Crown Imperial 1967 zerstört, der am Detroit River als 1979 Pontiac Firebird TransAm wiedergeboren wird und in fünf Hochöfen zu einer massiven, 25 Tonnen schweren, ägyptischen Hieroglyphe eingeschmolzen wird, bis er schließlich in New York am East River als Ford Crown Victoria wieder aufersteht. Zusammengehalten werden diese Episoden, alles Live-Performances vor Publikum, durch einen fiktionalen Leichenschmaus in Norman Mailers Wohnung. Auf diesem wiederum erscheint ein recht vermodert aussehender Norman Mailer, der seinerseits drei Mal aufersteht. Gerahmt wird das alles von einem Haus in einem Wald und einem Jäger, der an einem glasklaren Fluss einen Schuss abgibt: Ist das Ernest Hemingway, als Schriftsteller-Übervater?
In River of Fundament existiert Twilight-Stimmung, wie man sie von Fotografien von Gregory Crewdson oder aus Filmen von David Lynch kennt, wo Ohren in Vorgärten liege und sich unter gestutzten Geranien Gewürm windet. Das Unbewusste lauert überall, nur meist personifiziert es sich nicht so einfach wie in Barneys Film, wo alles manchmal schon ein wenig lächerlich, wie schlecht verkleidet, ja clownesk herüberkommt. Ein ähnliches Gefühl beschleicht einen bei den verschiedenen Automodellen: Was kann man mit sterbenden und wieder auferstehenden Autos anfangen? Nützliche Dinge aus Stahl, als unsere neuen Götter? Vielleicht wird ein Chrysler in fünfzig Jahren tatsächlich ganz anders gelesen, vielleicht sind Autos dann so weit vergangen, dass sie nicht mehr als rein funktionale, seelenlose Dinge gesehen werden, sondern … als was? Belebte Materie? Detroit, die Motor-City, der Ort zwischen West- und Ostküste der USA, kann in diesem Sinne als eine Art modernes Industriedenkmal und damit als Symbol der prädigitalen Welt gesehen werden. Hier trifft ein ganz eigener amerikanischer Mythos auf den antiken Mythos des Alten Ägypten. Apropos, das Alte Ägypten, wer kann damit heutzutage noch was anfangen? Bedeutet die Verwendung von Isis und Osiris eine schon lange überfällige Wiederbelebung der Mythen, oder ist es allein Barneys verschrobenes Individualinteresse, auf das man sich einlassen muss? Neben Lynch kann man auch an Lars von Trier denken, an seinen Antichrist, in dem ein Reh ein nur halb-geborenes Kalb hinter sich her schleifend, kryptische Dinge in den Wald flüstert. Bei Barney ist es eine tote Kuh mit herausgeschnittenen Kalb, die dem Protagonisten als Pforte zum neuen Leben dient. Abseits dieser beiden Heroen des sublimen Hollywood-Wahnsinns erinnern die Autos aber auch unweigerlich an die Transformers. Gut, das waren sprechende Alien-Roboter-Autos, trotzdem hat man mit ihnen mehr mitgelitten als mit dem Chrysler-Gott. Um eine Emotionalität à la Hollywood ist es Barney natürlich auch nicht gelegen – obwohl immerhin zwei Hollywood-Größen mitspielen, Maggie Gyllenhaal als Hathfertiti, das Medium für Mailers Wiedergeburt, und Paul Giamatti, der den Pharao beim Leichenschmaus gibt – dafür bleibt trotz der Allgegenwart wärmender Scheiße doch alles recht unterkühlt und mit Bedeutung belastet.
Auf der einen Seite wird also mit Zitaten um sich geschmissen und kombiniert, was das Zeug hält, auf der anderen werden kleine Industriekunstdenkmäler geschaffen – vielleicht wird es Barney damit tatsächlich gelingen, unsterblich zu werden, sollte das mit der Wiedergeburt nicht klappen.
An folgenden Terminen ist River of Fundament noch mal im Haus der Kunst in München zu sehen:
Samstag, 26.04.14 / 17 Uhr
Sonntag, 27.04.14 / 12 Uhr
Samstag, 31.05.14 / 17 Uhr
Sonntag, 01.06.14 / 12 Uhr
Dauer des Films: ca. 6 Stunden inkl. zwei Pausen à 20 Minuten.
Tickets 20 € / inkl. Ausstellungsbesuch am selben Tag, erhältlich auf www.hausderkunst.de und an der Kasse im Haus der Kunst.