Looping

Deutschland 2016 · 104 min. · FSK: ab 16
Regie: Leonie Krippendorff
Drehbuch:
Kamera: Jieun Yi
Darsteller: Jella Haase, Lana Cooper, Marie-Lou Sellem, Maximilian Klas, Joachim Schönfeld u.a.
Nur Kind, ohne Kegel

Menage à trois im Zauberberg

Es wird eine schlimme Nacht für Leila, und vom ersten Augen­blick an ahnt man, dass es nicht die erste dieser Art ist, für sie. In wenigen Sekunden ist die Szenerie klar: Wir sehen die etwa 20-jährige Frau auf einem Rummel­platz, wo ihre Eltern als Schau­steller arbeitet. Mit dem Auto­scooter im Kreis zu düsen, ist nicht genug der Heraus­for­de­rung. Sie weiß nicht recht, wohin – mit diesem Abend, mit ihrem Leben. Da gibt es ein anderes Mädchen, mit dem sie knuscht, da gibt es einen Jungen, der sich heute nicht für sie inter­es­siert. Da gibt es vor allem viel zu viele Drinks.

Während­dessen streicht und stolpert Leila durch die Stadt, durch Kneipen und Rotlicht­bars. Irgend­wann lernt sie einen Fahrer kennen, der scheint sehr nett zu sein, doch dann nutzt er die Hilf­lo­sig­keit der jungen Frau aus, und verge­wal­tigt sie – am nächsten Morgen findet sie sich verstört in einer Straßen­ecke liegend.

Das alles geschieht in der ersten knappen Vier­tel­stunde: Jella Haase spielt diese Leila atem­be­rau­bend: Voller Facetten, mit großer Präzision und gemein intensiv. Eine Granate, die jederzeit explo­dieren kann. Nach allen Rich­tungen, nicht zuletzt auch sich selbst schwer verwun­dend.

Die Regis­seurin Leonie Krip­pen­dorff macht keine Umstände, sondern wirft die Zuschauer mitten hinein ins Geschehen. Und doch ist das alles, der Jahrmarkt und die Verge­wal­ti­gung, nicht die Haupt­sache dieser Geschichte, sondern nur die Expo­si­tion dieses exzel­lenten, überaus beein­dru­ckenden und unge­wöhn­li­chen Debüt­films.

Denn Leila landet jetzt nicht nur im Kran­ken­haus, sondern danach in einer psych­ia­tri­schen Klinik an der Nord­see­küste.

Dort hat sie zwei Zimmer­ge­nos­sinnen, mit denen sie sich anfreundet, anhand deren Schick­sals sie ihr eigenes abglei­chen kann. Die drei reprä­sen­tieren auch verschie­dene Erfah­rungs- und Frauen-Genera­tionen, mögliche Daseins­zu­stände der Weib­lich­keit: Ann ist über fünfzig, eine Border­line-Frau, die von Depres­sionen und Todes­ehn­sucht umgeben ist. Und Frenja ist Mitte dreißig. Sie ist wegen einer schweren Essstö­rung in der Klinik und hat zuhause Mann und Tochter. Beide werden kaum minder eindrucks­voll gespielt von Marie-Lou Sellem und Lana Cooper.

Leila bleibt dabei die Haupt­figur des Films, durch ihre Augen blickt der Film auf die Welt und die anderen Menschen. Looping, der Titel des Debüts von Leonie Krip­pen­dorff, die auch das Drehbuch geschrieben hat, bezieht sich auf den Jahr­markts-Rummel­platz, aber vor allem auf den Gemüts­zu­stand ihrer Haupt­fi­guren. So wie sie vom Leben etwas hilflos hin und her geschüt­telt werden ist die Klinik eine ruhige Gegenwelt, ein utopi­scher Ort.

Die drei Frauen werden sich zur Ersatz­fa­milie, die einander zärtlich umsorgen. Die Männer fehlen hier gar nicht, eben­so­wenig wie das Klinik­per­sonal und die Ärzte, die nur sche­men­haft am Rande in Erschei­nung treten, wie Kulissen. Diese Klinik ist eher ein zauber­haftes Märchen­schloss.

Alles hier ist provi­so­risch, frag­men­ta­risch, subjektiv – auch der Blick der Kamera, die über­zeu­gend viel mit Zeitlupen und Unschärfen arbeitet. Es ist ein Lebens­ge­fühl, das Krip­pen­dorff hier entfaltet: Das Driften, das Flanieren, das Ungefähre. Darin, in der Feier des Beiläu­figen, im Genuss des Herum­hän­gens, und in dessen humor­vollem Insze­nieren, ähnelt der Film großen Vorbil­dern wie Sofia Coppolas Lost in Trans­la­tion – von dem er sich stilis­tisch deutlich unter­scheidet. Außerdem brauchte darin eine junge Frau doch einen verständ­nis­vollen, älteren Ersatz­papa, um zu sich selbst zu finden.

Der ist in Looping über­flüssig. Um so inter­es­santer sind die Fragen, die dieser Film über die eine Menage à trois im Zauber­berg hinaus aufwirft, wenn man ihn mit anderen Werken vergleicht, in denen jüngere Frauen von heute von Frauen von heute erzählen: So wie in Nicolette Krebitz' Film Wild die Frau im Zentrum das Tier in sich entdeckt, so wie Toni Erdmann die Haupt­figur als eine Art Wirt­schaft­s­con­trol­ling-Roboter beschrieben wird, zeigt Krip­pen­dorff ihre Haupt­figur in Trance – eine Schlaf­wand­lerin durch ihr eigenes Leben.
So ist dieser Film ein Kontra­punkt zum üblichen deutschen Befind­lich­keits­kino, in dem Frauen immer nur Männer und den Hafen einer festen Beziehung, flankiert von Kind und Kegel, im Kopf haben.