Lost Highway

Frankreich 1996 · 134 min. · FSK: ab 16
Regie: David Lynch
Drehbuch: ,
Kamera: Peter Deming
Darsteller: Bill Pullman, Patricia Arquette, Robert Loggia, Robert Blake u.a.

Ein fieber­haft nervöser Mann sitzt in seinem Desi­gner­haus, in einer Vorahnung auf unheil­volle Ereig­nisse. Irgend­wann klingelt es an der Tür. Der Mann geht zur Sprech­an­lage. Er hört von unten die Worte »Dick Laurent is dead«, worauf er sich hektisch zum Fenster begibt, um zu sehen, wer an der Tür steht. Doch es ist kein Mensch zu sehen.

Diese einlei­tende Szene von Lost Highway etabliert gleich die Stimmung im ersten Teil des Films, ein ange­spanntes Warten auf die Kata­strophe, die sich ankündigt, aber noch hinaus­ge­zö­gert wird. In wunderbar streng kompo­nierten Bildern wird das Ehepaar Fred (Bill Pullman) und Renee Madison (Patricia Arquette) einge­führt. Er ist ein erfolg­rei­cher Jazz­sa­xo­pho­nist, sie wirkt wie der beste Preis, den er je errungen hat. Doch ihre Beziehung ist – so hübsch leer wie ihr Haus – Ausdruck einer sexuellen Frus­tra­tion. Fred erträgt nur schwer sein Versagen im Bett, und in wenigen Einstel­lungen erfährt man von einem poten­ti­ellen Neben­buhler, der Freds Eifer­sucht weckt. Bedroh­liche Video­auf­nahmen und ein geheim­nis­voller Mann (Robert Blake), der wie für einen Bühnen­auf­tritt als Mephisto geschminkt ist, setzen Fred auch noch zu.

David Lynch spart die Darstel­lung des Grauens zunächst noch aus, in wirren Bildern geschieht alles sehr schnell: Fred hat seine Frau umge­bracht, er wird fest­ge­nommen und zum Tode verur­teilt. Kurze Zeit später entdeckt ein Wärter auf Kontroll­gang, daß nicht mehr Fred in der Todes­zelle sitzt, sondern ein junger Bursche, der bald als der unschul­dige Auto­me­cha­niker Pete Dayton (Balthazar Getty) iden­ti­fi­ziert ist und frei­ge­lassen wird.

Im zweiten Teil des Films wird in gewöhn­li­cheren Bildern von anderen, sehr konven­tio­nellen Figuren und Orten erzählt. Es ist die Welt des Pete Dayton, der bei seinen tole­ranten »Rocker-Eltern« lebt, beim Gangster Mr. Eddie als hervor­ra­gender Mecha­niker beliebt ist und der sich in die Freundin des Gangsters verliebt. Diese Frau (Patricia Arquette in einer Doppel­rolle) ist das blonde Gegen­s­tück zur schwarz­haa­rigen Renee Madison. Natürlich fliegt die Affäre der beiden auf, und sie müssen fliehen.

Der dritte Teil des Films schildert dann die Unmög­lich­keit der Flucht – Lost Highway als ein dialek­ti­sches Prinzip mit Fred Madison als Synthese.

Lynch hat wieder gegen die Inter­pre­ta­tion gedreht. Wider­sprüche werden entgegen klas­si­schen Konven­tionen darge­stellt und konstru­iert, aber nicht aufgelöst. Sein Film ist dadurch sicher auf einige Arten zu lesen, das unter­scheidet ihn am deut­lichsten vom durch­schnitt­li­chen Unter­hal­tungs­film, aber vermut­lich kann keine Lesart nach ratio­nalen Kriterien völlig aufgehen. Nimmt man die phan­tas­ti­schen Elemente, wie die schmie­rige Mephis­to­figur, und den klischeeüber­häuften Mittel­teil wörtlich, ist der Film kaum zu ertragen. Und die Kultur­ge­schichte der Mensch­heit wäre dann um einen Teufels­pakt reicher, wobei der Faust natürlich den Kürzeren zieht.

Geht man jedoch von einigen klas­si­schen Lynch-Figuren und deren Posi­tionen in früheren Filmen aus, ergibt sich ein anderes Bild: Sailor gebrauchte in Wild at Heart den jugend­li­chen Helden­my­thos in seiner Rock'n Roll-Variante nur noch als leere Pose, um sich vor einer wilden Welt zu schützen, anstatt sie aus den Angeln zu heben. Er schei­terte selbst dabei. In Lost Highway begegnet er uns in Gestalt des Auto­me­cha­ni­kers Pete wieder. Scheinbar verzichtet Lynch jedoch in seiner Insze­nie­rung auf die Dekon­struk­tion des Mythos. Pete scheint der zu sein, der er ist: ein einfacher Junge mit der Hoffnung auf die Erfüllung seiner großen Liebe. Und um diese Erfüllung zu garan­tieren, ist er der beste Mecha­niker in der Stadt. Denn so kann er die Motoren, die in alten Träumen Freiheit und Erlösung verheißen, zum Laufen bringen. Pete wäre der erste moderne Held bei Lynch, was einem Rück­schritt gleich­käme und etwas verwun­dert.

Auffällig ist auch die erneute Verdopp­lung weib­li­cher Figuren, wie in Blue Velvet, Wild at Heart oder »Twin Peaks«. Wobei Schuld und Unschuld der Damen, dem Klischee gemäß, meist mit den Haar­farben Schwarz und Blond korre­spon­dieren. Ein Grund­motiv klingt an: der Versuch das Böse an einen benenn­baren Ort zu bannen. Ein »Ort« der auch eine Haarfarbe oder ein Mensch sein kann. Wichtig ist nur, daß dieser Ort des Bösen das klas­si­fi­zier­bare Fremde, Andere ist. Ein Ort wie der Dämon Bob in »Twin Peaks«, oder der Mephisto in Lost Highway. Fred Madison wählt das Ideal des Satans, dieser Ort zu sein, weit weg vom Selbst, so daß das Böse nicht mehr zu ihm zurück­kehren kann. Das gute Ich kann man sich dann zusam­men­fa­bu­lieren. Man kann z.B. träumen ein Auto­me­cha­niker zu sein, sich wieder in seine gerei­nigte, sprich: blond­ge­färbte, Frau zu verlieben, um mit ihr ein großes Abenteuer zu bestehen. Wobei man das Schlechte aus dem Weg räumt oder ihm auf dem Highway den Rücken kehrt. Selbst von Schuld völlig rein­ge­wa­schen. Der größte Alptraum ist dann nur der Moment des Erwachens.

Lynch erzählt wieder von dem verzwei­felten Wunsch nach Liebe, den guten und den bösen Mächten und von den Menschen die damit kämpfen – kurz: von sehr alten Mythen, von denen auch das Kino immer gut gelebt hat. Jedoch tut er dies wieder auf seine eigene Weise, indem er diese Mythen aufdeckt – als die poten­ti­ellen Visionen eines wahn­sin­nigen Mörders, dessen Sicht der extrem düstere Film einnimmt. Die jungen Helden, wie der Mecha­niker Pete, werden nur noch im Wahn geträumt, in dem sich das Böse nach der Erlösung im Guten sehnt. Der Traum oder schi­zo­phrene Wahn, in den Fred Madison flieht, ist längst (von allen) ausge­träumt.

Am Ende steht die Selbst­er­kenntnis Fred Madisons, wie weiland bei Agent Cooper, und die Tatsache, daß Lynch so mit seinen Figuren seine eigenen Mythen baut.

Der Mann sitzt in seinem Auto und rast in die Nacht, den Highway entlang.