Frankreich 2024 · 95 min. · FSK: ab 6 Regie: Ivan Calbérac Drehbuch: Ivan Calbérac Kamera: Laurent Aknin Darsteller: André Dussollier, Sabine Azéma, Thierry Lhermitte, Joséphine de Meaux, Sébastien Chassagne u.a. |
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Eine elegante Erzählung über den Umgang mit all den Unvollkommenheiten und Enttäuschungen... | ||
(Foto: Neue Visionen) |
»Du hast den Verstand verloren!« – »Nein! Ich habe mein Gesicht verloren.«
– Filmauszug»Je reviens te chercher
Je savais que tu m'attendais
Je savais que l’on ne pourrait
...
Tous les deux, on s'est fait la guerre
Tous les deux, on s'est pillés, volés, ruinés
Qui a gagné, qui a perdu? On n'en sait rien, on ne sait plus
On se retrouve les mains nues
Mais après la guerre, il nous reste à faire La paix«
– Gilbert Bécaud
Scheidung nach 50 Jahren? Da wird es langsam Zeit, könnte man spontan denken. Oder auch genauso: Jetzt macht es eh keinen Sinn mehr!
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Wir lernen zunächst so ein 50 Jahre altes Paar kennen: Annie und François. Ein genauso altes Bild von Präsident Charles de Gaulle hängt an der Wand und auch sonst ist François ein konservativer Mensch. Er war Offizier der französischen Armee, ist autoritär und kommandiert auch in seiner Familie im Offizierston. Nur seine Frau Annie erträgt seine Launen und seine altmodischen Prinzipien.
Aber eines Tages... Da räumt François den Dachboden auf. Das hätte er mal besser gelassen. Denn beim Ausmisten findet François einen Karton mit alten Briefen. Er liest darin, laut für uns Zuschauer:
»Liebste Annie, es ist schrecklich, dich in den Armen eines anderen zu wissen. Ich denke die ganze Zeit an unsere letzte Nacht, an dein explodierendes Venusdreieck.«
Als er herausfindet, dass seine Frau ihn vor vierzig Jahren mal betrogen hat, sieht François zunächst nur einen Ausweg: Er will die Scheidung einreichen.
Dann regt er sich auf, wie Louis de Funès zu seinen besten Zeiten, und greift zu pathetischen Begriffen: Das Ehebett sei »besudelt« worden, »die heilige Ehe« »verraten«. Seine Frau liest derweil und wohl nicht zum ersten Mal Flauberts »Madame Bovary«, was in Frankreich jeder versteht, in Deutschland niemand. Und hätte eine deutsche Figur je Fontanes »Effi Briest« in der Hand, würden ihr es die Schlaumeier vom öffentlich subventionierten Drehbuchberatungssyndikat aus der Hand schlagen, weil so ein Verweis »zu intellektuell« und »elitär« ist. Als ob das ein Vorwurf und kein Lob wäre.
Dann will François »nachdenken«. Dieses Nachdenken ist gar nicht so einfach, denn – und hier wird der Film zwischendurch zur albernen Slapstick-Klamotte Laurel & Hardy, das Schrankbett, in das er sich gelegt hat, klappt mit einem lauten Krach ein.
Immerhin hat das einen heilsamen Effekt, denn statt sich scheiden zu lassen, will François nun nach Nizza, um dort Annies Ex-Liebhaber zur Rede stellen. So geht es los.
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Nostalgische intelligente Komödien, die am besten auch noch Anspielungen auf die Filmgeschichte enthalten – so etwas kommt in Frankreich alle zwei Wochen ins Kino. Zuletzt erst konnte man bei den Filmfestspielen von Cannes erleben, wie Chiara Mastroianni in die Rolle ihres Vaters Marcello schlüpfte und kostümiert wie dieser in Ginger und Fred von Fellini.
In Deutschland
muss man auf Vergleichbares ein ganzes Jahr warten. Aber jetzt kommt so eine leichte Sommerkomödie auch ins deutsche Kino – genau richtig zum Ferienbeginn.
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Seit Mitte der 1980er Jahre gehörten Sabine Azéma und André Dussollier zu den legendären Paaren des französischen Kinos. Vor zehn Jahren hatten sie ihren letzten Auftritt bei ihrem Stammregisseur Alain Resnais. Jetzt sind sie endlich(?) wieder vereint, in Liebesbriefe aus Nizza, der im Original bezeichnenderweise ganz anders heißt: »N'avoue jamais«, also: »Gestehe nie!«
Und der in den USA ebenso bezeichnend »Riviera Revenge« betitelt ist, also »Rache
an der Côte d’Azur«. Obwohl die Komödie von Regisseur Ivan Calbérac nicht ganz so feinsinnig ist wie die sieben Filme, die sie gemeinsam mit Resnais gedreht haben, ist der Film sehr schönes, rundum angenehmes Kino. Geschmackvoll und intelligent. An der Oberfläche einer fröhlichen Komödie, die nicht allzu viel Rücksicht auf die karikierten Figuren der Alten nimmt, verbirgt sich eine elegante Erzählung über den Umgang mit all den Unvollkommenheiten und Enttäuschungen, die das
Leben nach 50 Jahren Ehe so mit sich bringt.