Das Leben ist ein Chanson

On connaît la chanson

Frankreich/CH/GB 1997 · 120 min. · FSK: ab 6
Regie: Alain Resnais
Drehbuch: ,
Kamera: Renato Berta
Darsteller: Sabine Azéma, André Dussollier, Pierre Arditi, Agnès Jaoui u.a.

»Herrlich verrückt«

Alain Resnais insze­niert ein Musi­kan­ten­stadl für ältere Franzosen

Jeder hat schon einmal irgendwo gesungen. In der Badewanne oder unter der Dusche zumindest. Und solange man da unter sich bleibt, geht das auch völlig in Ordnung, denn man weiß ja: Schlager sind wieder in, und nur böse Menschen kennen keine Lieder. Wenn aber alle plötzlich mitten auf der Straße zu singen und zu tanzen beginnen, dann sind wir entweder verse­hent­lich in die Dreh­ar­beiten zum Musi­kan­ten­stadl geraten, oder ins Kino.
Musicals kennt man hier­zu­lande nur aus dem Fernsehen. »Des Broadways liebstes Kind« hieß das vor zwanzig Jahren, als das ZDF allsonn­täg­lich die Fred Astaire-Filme aus den Vier­zi­gern wieder­holte, oder auch mal Spät­blüten wie Hallo, Dolly zeigte zur Freude all derje­nigen, die sich dabei an die eigene Jugend erinnert fühlten, und die man damals noch nicht aus ihrem Fern­seh­sessel vertreiben wollte, um einer Über­al­te­rung des Abend­pro­gramms vorzu­beugen. Doch seit zwanzig Jahren ist mangels Nachschub Sende­pause. Musicals fürs Kino machte höchstes noch einmal Woody Allen, der sowieso alles darf, was bei anderen zum pein­li­chen Ausrut­scher geraten würde. Und jetzt eben Alain Resnais.

Freilich, so ein richtiges Musical ist Das Leben ist ein Chanson auch nicht. Denn hier singt niemand selbst, vielmehr wechseln die Schau­spieler ständig zwischen Dialogen und Play­back­ein­lagen, bei denen man Schlager und Chansons aus 70 Jahren fran­zö­si­scher Musik­ge­schichte hören kann. Keiner fehlt, Edith Piaf und Maurice Chevalier nicht, und nicht Charles Aznavour, und noch nicht einmal Alain Delon, der tatsäch­lich auch mal Chansons gesungen hat. Dieses Konzept ist nicht nur extrem maniriert, sondern überdies so fran­zö­sisch wie eine große Portion Gänsestopf­leber. Um sich den – nicht nur durch gewisse histo­ri­sche Brüche bedingten – Abstand zu deutschen Verhält­nissen klar­zu­ma­chen, stelle man sich nur einmal einen deutschen Film vor, in dem Wim Wenders Regie führte, und Gudrun Landgrebe mit Mario Adorf zu Liedern von Hans Albers, den Comedian Harmo­nists, Harald Juhnke, und Guildo Horn die Lippen bewegt.
Aber während in Deutsch­land das Leben eine Baustelle ist, ist es in Frank­reich halt ein Chanson. Wo der Deutsche zweifelt und ständig an-, um- oder aufbaut, da ißt der links­rhei­ni­sche Nachbar selbst­zu­frieden sein Baguette mit Ziegen­käse und singt ein Lied. Klar, daß es dem Regisseur vermut­lich um eine Art Verfrem­dungs­technik ging, um einen Bruch mit Gefühls­se­lig­keit durch ironische Effekte. Expe­ri­men­tell darf man Resnais' Verfahren trotzdem erst nennen, wenn man besoffen ist. Doof oder albern trifft die Sache schon besser, denn was am Anfang so »herrlich verrückt« erscheinen möchte und tatsäch­lich für ein, zwei lustige Effekte sorgt – etwa wenn ein depres­siver Liebhaber Gilbert Bécauds »Nathalie« schmet­tert –, nutzt sich als Stil­prinzip schnell ab.
Denn was bringt’s? Die Lieder sind witzig für die, die sich da gut auskennen, also für ältere Franzosen, und daher über­rascht es kaum, zu erfahren, das Das Leben ist ein Chanson zum kommer­ziell erfolg­reichsten Film wurde, den der 75jährige Alain Resnais je gedreht hat, weit vor seinen frühen Erfolgen Hiroshima, mon amour und Letztes Jahr in Marienbad. Für alle anderen, die nicht bei jedem zweiten Song wissend ihrem Nachbarn zuzwin­kern (was im dunklen Kinosaal sowieso zum Problem wird), ist der Film schlicht lang­weilig. Die Handlung kennt man: Vier Männer werben um zwei Frauen, mit den üblichen Verwick­lungen und über­ra­schenden Wendungen. Ein solches Spiel von Liebe und Zufall hat man schon oft und viel besser von Eric Rohmer und André Téchiné gesehen.

Am Ende treffen – auch sehr fran­zö­sisch – alle Prot­ago­nisten, die man vorher einzeln erlebte, auf einem großen Fest zusammen, und die Konflikte spitzen sich zu bis zur Entschei­dung. All das könnte noch halbwegs erträg­lich sein, wenn es nicht durch die albernen Musik­ein­lagen etwas unsäglich Heiteres bekäme, eine falsche Versön­lich­keit, die den Betrachter mit dem bekannten süßlichen Trost entläßt: »Heiter die Kunst und ernst das Leben«. Schon Adorno meinte einmal zu diesem geheimen Motto bürger­li­cher Kunster­fah­rung, was man ebensogut über Das Leben ist ein Chanson sagen könnte: »Besser wärs umgekehrt.«