Deutschland 2014 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Giulio Ricciarelli Drehbuch: Elisabeth Bartel, Giulio Ricciarelli Kamera: Martin Langer, Roman Osin Darsteller: Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht, Johannes Krisch, Hansi Jochmann u.a. |
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Der erste Schritt, ins Labyrinth der Akten |
Wie von der NS-Zeit und ihren Verbrechen heute erzählen? Keineswegs »gesunkene Geschichte«, müsste man sie an die heutige Gesellschaft anbinden, zeigen, wie sich diese gebildet hat, mit all ihren Untiefen. Regisseur Giulio Riccorelli wählt diesen Weg und begibt sich in seinem Debütfilm mit seinem Protagonisten Johann Radmann, einem jungen Staatsanwalt in Frankfurt am Main (Alexander Fehling), ins »Labyrinth des Schweigens«.
Man schreibt das Jahr 1958. Es ist die Zeit der Petticoats, und auf gesellschaftlichen Einladungen lockert man erstmals die Krawatte. Der Krieg ist schon eine ganze Kindheit und Jugend lang vorbei. Jetzt geht es um die eigene Karriere, um die Frauen. Die Zukunft ist golden, so sagt es einem das Szenenbild, das Riccarelli in ein goldenes Licht tauchen lässt, versetzt von leuchtenden Farbtupfern.
Hier war der große kollektive Maler der Gesellschaft am Werk, das zeigt sich bald, um etwas zu übertünchen; die Realität darunter erweist sich als rissig und dunkel, immer noch gibt es Baulücken und Kriegsruinen. Was der Film auch durchaus metaphorisch meint, denn es offenbaren sich auch die Lücken der Erinnerung und die Ruinen von Psychen und ganzer Leben. Radmann folgt der Spurenlegung des Journalisten Thomas Gnielka (André Szymanski) zu Indizien, die auf die Benennung und Anklage der Mörder von Auschwitz führen, was als »Frankfurter Auschwitzprozesse« in die Geschichte einging. In ihnen ging es um die Mitglieder der Lagermannschaft, Blockwarte, Sanitäter, Zahnärzte oder Häftlingswärter, die sich bereits als Bäcker, Lehrer oder als andere unauffällige Existenzen in die Nachkriegsgesellschaft eingegliedert hatten. Zuvor oftmals exkulpiert als »bloß« Ausführende der Tötungsbefehle, haben sie – und dies bringen die Ermittlungen durch Radmann ans Tageslicht – bewusst die Grenze überschritten, die das Leben vom Tod trennt, und waren so ein wesentlicher, aktiver Teil der Nazi-Tötungsmaschinerie.
Das Augenmerk des Films gilt dem Krimi der Prozesswerdung. So ist die Aufklärung über die Verbrechen von Auschwitz immer gebrochen: in der Erzählung der Wege, die eingeschlagen werden, um die Täter zu finden, ihrer teils als Nacht- und Nebelaktion inszenierten Festnahmen, der ersten Verhöre, bei denen – wie zuvor auch schon bei Hannah Arendt – die Aussagen nicht zu hören sind, sondern durch Musik-Unterlegung die Todesthematik folgerichtig als emotionale Stimmung dominant wird: Es muss rational nicht mehr begreifbar gemacht werden, was sich dem Verstand ohnehin entzieht, die wenigen Andeutungen, Satzfetzen, Bildahnungen genügen tatsächlich, um zu verstehen.
Im Labyrinth des Schweigens gehört einer neuen Generation der Vergangensheitsaufarbeitung und »Deutschstunde« an, die bereits in Distanz gerückt ist und vieles darüber erzählt, wie sich die deutsche Gesellschaft neu bildete. Gerade hat Christian Petzold mit Phoenix ein sehr metaphorisches und symbolhaftes, fast Brecht'sches Lehrstück über die individuelle Verdrängung der je eigenen NS-Vergangenheit der Deutschen erzählt; Im Labyrinth des Schweigens ist, wenn auch nicht so meisterlich inszeniert, sein mit dokumentarischen Quellen »belastbares« Gegenstück, das die kollektive, in allen Ecken und Winkeln der Gesellschaft hineinreichende Vergangenheitsverdrängung benennt.
Ein Film mit einem schwierigen und wichtigen Thema, der auf ein großes Publikum zielt, mithin ebenfalls auf »die« Gesellschaft, um die es in Riccarellis Film letztendlich geht. Bei aller Achtbarkeit seiner Themenfindung, Recherche und Schauspielleistung sei dennoch angemerkt, dass die Inszenierung insgesamt brav und formelhaft bleibt. Nicht das Foto, das ein Verbrechen von Auschwitz zeigt, bekommt der Zuschauer zu sehen, sondern das medial »modernisierte« Bild, in Form einer wie von einer Filmhochschule stammenden Inszenierung eines effektvoll aufgelandenen Alptraums, der das Foto in der Psyche des Staatsanwalts zu einem »Kino der groben Geste« aufplustert. Durchaus schließt sich hier die Frage nach der Legitimität der visuellen Steigerung eines Originalfotos von Auschwitz an. Die musikalische Untermalung, die fast durchgängig den Film begleitet und uns vorgibt, wie wir uns zu fühlen haben, tut ihr Übriges in der überflüssigen Überbietungsstrategie der Inszenierung. Als hätte das Foto, als hätten die Erzählungen, als hätte der Film darüber nicht genügt.