Kubanisch Rauchen

Österreich/D 1998 · 88 min.
Regie: Stephan Wagner
Drehbuch:
Kamera: Thomas Benesch
Darsteller: Simon Licht, Thomas Morris, Eva-Maria Straka, Seymour Cassel u.a.

Eine gute Käse­krainer z.B. muß spritzen, wenn man hinein­beißt. Bernd und Erwin sind Experten, was das Verzehren von Wurscht, besonders von soge­nannten »Eitrigen«, betrifft. Nach voll­streckter Fach­sim­pelei steigen sie, wie einst Travolta und Samuel L. Jackson, aus ihrem Karren und gehen ihrem rüden Tagwerk nach. Sie sind zwar keine Profi­killer wie die Herren bei Tarantino, aber immerhin Geld­ein­treiber. Bernd aller­dings will raus aus dem Gewerbe, und sein Boß Dragan läßt ihn ziehen. So macht er mit Paul ein Anti­quitä­ten­ge­schäft auf, aller­dings verschweigt er dem Partner sein Vorleben.

Der öster­rei­chi­sche Film, der die Unauf­merk­samen nur an Sissi denken läßt, treibt alljähr­lich über­ra­schende Blüten. Nach dem Meis­ter­werk Indien, dem Bauspa­re­ralb­traum Hinter­holz 8 und dem wind­schiefen Heimat­film Die Sieb­tel­bauern gerät nun, mit wenigen Kopien und vorerst nur im Raum Berlin startend, Stephan Wagners erster Spielfilm Kubanisch Rauchen in deutsche Kinos. Wagner hatte praktisch kein Budget, ein paar Freunde, einen Haufen altes DDR-Film­ma­te­rial aus Wolfen, sowie den ameri­ka­ni­schen Star Seymour Cassel in der Rolle des Dragan zur Verfügung, um seinen kleinen Schwarz-Weiss-Film gelingen zu lassen. Dieser enthält, wie derzeit im deutsch­spra­chigen Raum üblich, ein Pulp Fiction-Zitat und eine Geschichte, die mit Klein­kri­mi­na­lität zu tun hat.

Warum funk­tio­niert sowas in Wien? Wenn deutsche Filme einen auf Milieu-Schil­de­rung machen und die Schau­spieler Halbwelt-Authen­ti­ziät vortäu­schen, dann wendet sich der Zuseher voll Stell­ver­treter-Scham ab. Doch die öster­rei­chi­sche Haupts­stadt hat genügend siffigen Flair, der Dialekt ausrei­chend virtuose Grobheit und der Schau­spieler Thomas Morris, der den Bernd spielt, ein glaub­wür­diges Straßen­ge­sicht, um das Gano­ventum am Grunde Wiens normal und alltäg­lich erscheinen zu lassen. In keiner anderen europäi­schen Stadt ist der Poli­zei­be­richt so eng mit dem Drehbuch verwandt, wie in Wien, denn die Grenze zwischen Schrul­lig­keit und Perver­sion ist hier schnell über­schritten. Weil Kubanisch Rauchen aber als Film über Geld­ein­treiber so gut funk­tio­niert, kann sich Stephan Wagner erlauben, die Schuld- und Rache-Geschichte nicht unnötig aufzu­bau­schen, sondern in aller Ruhe mit einer Love-Story zu verweben. Paul nämlich, seit langem verban­delt mit Eva, beginnt eine Affäre mit Lisa. Leider hat er sich finan­ziell von Eva abhängig gemacht, so daß er sich schlecht von ihr trennen kann. Der Film erzählt, welche der diversen Freund­schafts- und Liebes­be­zie­hungen halten und welche nicht.

Mit extra­tro­ckenen Bildern und einer Mischung aus Humor, Wohl­wollen und Mißtrauen skizziert Wagner das Leben in Öster­reich. Die Gemäch­lich­keit verwan­delt sich da unver­mit­telt in Sturheit, wenn der behäbige Schal­ter­be­amte (»Bitte zügig«) den Kunden anraunzt, und wenn Erwin, der zu Anfang noch so herzig über Kuli­na­ri­sches philo­so­phiert hat, zum leff­zenden Psycho­pa­then mutiert, wird offenbar, wie nah Charme und Wahnsinn beiein­ander liegen. Der nächste Abgrund ist nie weit entfernt. Doch damit die Mechanik des Lebens weiterhin funk­tio­nieren kann, müssen weitere Heim­lich­keiten begangen und dunkle Flecken verschwiegen werden. Bernd wird zum Mörder, um seine Freiheit zu erlangen, und Paul kehrt zurück in sichere Gefilde, also in die totale Abhän­gig­keit von Eva, die nie erfährt, wie intensiv sich Paul von ihr wegge­träumt hat.