F/I/RO/B/RUS 2009 · 122 min. · FSK: ab 0 Regie: Radu Mihaileanu Drehbuch: Radu Mihaileanu, Alain-Michel Blanc, Matthew Robbins Kamera: Laurent Dailland Darsteller: Alexej Guskow, Dmitri Nazarow, Mélanie Laurent, François Berléand u.a. |
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Ungeniertes Spiel mit Klischees, trotzdem komisch |
Komik, Drama, Historie, ein dunkles Familiengeheimnis und großartige Musik – wenn ein Film all das vereint, macht er aus einem Kinobesuch ein Erlebnis. Das Konzert, eine französische Produktion mit zur Hälfte russischen Schauspielern, ist weit mehr als ein Musikfilm, wie der Titel vermuten ließe. Der rumänisch-französische Regisseur Radu Mihailaenu hat mit seiner witzgeladenen Kritik an Politik, Gesellschaft und Kultur den wahrscheinlich lustigsten Film des Jahres geschaffen.
Die Geschichte dreht sich um den ehemaligen Dirigenten des berühmten Bolschoi-Theaters in Moskau, Andre? Filipov (Alexe? Guskow). 1980, während des kommunistischen Regimes, musste Andre? seinen Posten räumen, weil er sich weigerte, jüdische Musiker zu entlassen. Sein Orchester wurde mitten in Tschaikowskys »Konzert für Violine und Orchester« aufgelöst. Keiner der Musiker betrat in den folgenden 30 Jahren je wieder eine Konzertbühne. Stattdessen halten sie sich als Möbelpacker, Taxifahrer, Straßenmusiker oder als Sound-Lieferant für Pornofilme über Wasser. Einzig Andre? ist an das Bolschoi-Theater zurück gekehrt – als Putzmann. Als er eines Tages im Büro des Intendanten ein Fax findet, in welchem das Orchester kurzfristig für einen Auftritt ins Pariser Théâtre du Châtelet eingeladen wird, wittert er die einmalige Chance, das angefangene Konzert von damals zu Ende zu bringen. Er beschließt, sein altes Orchester wiederzubeleben und mit ihm anstelle des Bolschoi nach Paris zu reisen.
Radu Mihaileanu, der selbst als Sohn jüdischer Eltern 1980 vor der rumänischen Diktatur fliehen musste, verarbeitet, wie auch in anderen seiner Filme, seine persönliche Geschichte. Er übt Kritik am totalitären System der Sowjetunion, indem er dessen Autorität mit subversivem Humor und Ironie untergräbt. »Am liebsten mag ich Humor, der als Reaktion auf Leid und Schwierigkeiten entsteht«, sagt Mihaileanu. »Im Film entspringt der Humor aus einer Wunde, die Russland vor 30 Jahren zugefügt wurde, in der UdSSR unter Breschniew. Die Menschen wurden gedemütigt und niedergezwungen. Ihr Wille aufzustehen und ihre Ehre wiederzuerlangen, äußert sich auch im Humor.«
Vor allem die kommunistische Partei ist Zentrum des Spotts. In den Achtzigern war sie russische Staatsmacht, im Jahr 2009 müssen bezahlte Statisten auf ihren Versammlungen ein gekünsteltes »Hurra!« rufen. Die Figur des ehemaligen Theatermanagers Ivan Gavrilov (Valeri Barinov), der das Orchester damals auflösen ließ, steht stellvertretend für den Niedergang der Partei. Der überzeugte Kommunist wird von Andre? als Organisator seines Schwindels eingespannt. Er spricht als einziger französisch und soll wieder gut machen, was er vor 30 Jahren angerichtet hat. Ivan kommt mit, plant aber insgeheim, in Paris nichts Geringeres als die Weltherrschaft des Kommunismus anzugehen. Seine Ideale sind dermaßen utopisch, dass ihn keiner mehr ernst nimmt, aus der einstigen Autoritätsperson ist eine Witzfigur geworden. So schafft er es mit Mühe und Not, ein Essen in einem noblen Restaurant für die Gruppe zu organisieren, aber, wie bei den Parteiversammlungen, taucht kein einziger dort auf.
Das andere Thema, welches Das Konzert so komisch macht, ist das ungenierte Spiel mit uralten ethnischen Klischees. Der Regisseur stellt das russische Orchester als unzivilisierte »Barbaren« aus dem Osten dar, die in krassem Gegensatz zu den schicken, überkultivierten, leicht arroganten Franzosen stehen. Das russische Ensemble besteht aus gesellschaftlichen Außenseitern: zerstörte Existenzen und kulturelle Randgruppen. Um nach Paris zu gelangen, brauchen sie gefälschte Ausweise. Ihr Sponsor gehört zur russischen Mafia. Kaum in Paris eingetroffen geht die wilde Horde erstmal auf Sauftour. Anstatt zu den Proben zu erscheinen, suchen sie sich Jobs oder verkaufen billige chinesische Handys. Mit Lichtsetzung, Farben und Geräuschen stellt Mihaileanu den Kulturschock noch überspitzter heraus. Die Russen sind altmodisch gekleidet, laut, chaotisch, wurden oft mit der Handkamera gefilmt. Die Franzosen wirken dagegen modern, sauber, ordentlich, sind in leuchtenden, goldenen Farben inszeniert.
Wie aus all den Differenzen, aus all dem Chaos schließlich ein Konzert werden soll, bleibt bis zum Ende spannend. Die Suche nach der »absoluten Harmonie« ist ein zentrales Motiv im Film. Russen, Franzosen, Zigeuner, Juden, alt, jung, arm, reich, alte Feinde, neue Freunde – alle sind für die Dauer eines Konzerts ebenbürtig. So ist Das Konzert auch ein Plädoyer für Toleranz. Der Film vermittelt die Botschaft, dass man niemanden nach Äußerlichkeiten beurteilen sollte und dass jeder eine Chance verdient.
Mihaileanu kritisiert somit auch den Kulturbetrieb allgemein, in dem Geld, Politik und Prestige wichtiger zu sein scheinen als die Kunst. Als die Truppe am Pariser Flughafen ankommt, hält ein Franzose zunächst den gut gekleideten Mafioso mit der hübschen Blondine am Arm für den Dirigenten, nicht den ärmlich wirkenden Andre?. Viele aus dem russischen Ensemble sind Zigeuner, bunt, wild, bügeln noch auf der Bühne ihre Wäsche, werden im Théâtre du Châtelet argwöhnisch beäugt. Sie sind allerdings die einzigen, die zur Probe erscheinen und diejenigen, die auf ihre unkonventionelle Weise besser musizieren als so mancher Orchestermusiker.
Dass das Ensemble damals wie heute Tschaikowskys »Konzert für Violine und Orchester« spielt (in Wirklichkeit gespielt vom Budapester Symphonieorchester), hat einen tieferen Sinn. Bei dem Stück geht es um das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft: Nur wenn die Geige und das Orchester perfekt harmonieren, funktioniert es. So müssen sich die Musiker mit ihren gescheiterten Existenzen erst wieder in die Gesellschaft eingliedern, um erneut auf die Beine zu kommen. Die von Andre? engagierte Violinistin Anne-Marie Jaquet (Mélanie Laurent) hält den Russen vor Augen, wovon sie einst geträumt haben: sie ist eine erfolgreiche, angesehene Musikerin. Anne-Marie konfrontiert die Gruppe mit ihren Idealen sowie mit ihrer Vergangenheit, ein Neubeginn für alle Beteiligten. Die 29-Jährige steht noch in einer ganz besonderen Verbindung zu dem Orchester, erfährt aber – wie der Zuschauer – erst am Ende, welche Verbindung genau das ist.
Das Konzert kam bereits 2009 in Frankreich in die Kinos und wurde mit zwei Césars für Musik und Ton ausgezeichnet. Die 122-minütige Handlung vergeht wie im Flug und nach dem furiosen Finale ist man fast ein wenig traurig, dass der Film schon zu Ende ist. Ein Kino-Erlebnis vom Feinsten, traurig und komisch, dabei nie stumpf, sondern tiefsinnig, kritisch und spannend bis zum Schluss.
Wann gibt es das schon einmal? 112 Minuten schlimmste Dialoge, grauenvollstes Timing; aufgesetzter Humor, der immer wieder in irrwitzigen, vorhersehbaren Klamauk abgleitet; Stereotypenkloaken, in denen Juden lustig schachern, Zigeuner fröhlich musizieren und Russen todtraurig Wodka trinken? Und dann, ganz am Ende, 10 Minuten, die versöhnen, fast wieder milde stimmen, weil die Musik so gut ist und die Protagonisten endlich nicht mehr sprechen müssen, sondern musizieren dürfen?
Dabei ist der Plot von Mihaileanus Konzert fast so gut wie der von Mihaileanus gelungener filmischer KZ-Achterbahnfahrt Zug des Lebens. Da wie dort bäumt sich eine Gruppe Ausgesonderter gegen ihr Schicksal und Lebenstrauma auf. Ist das Scheitern in Mihaileanus frühem Film jedoch zumindest angedeutet, ist Tragik und Groteske aufs Feinste abgestimmt, pfeift Mihaileanus in seinem Konzert auf psychologische Raffinessen.
Die von den Kommunisten der frühen 1980er Jahren entsorgten Juden und Nichtangepassten eines Moskauer Orchesters erhalten in der jüngsten Gegenwart ihre zweite Chance und rumpeln dann auch sofort drauf los. Mit einem alten Krankenwagen werden die ehemaligen Orchestermitglieder von ihrem schwer gezeichneten Dirigenten eingesammelt. Ohne Proben, stattdessen mit betont unbeholfener List und – wie kann es anders sein – liebenswerter Tücke gelingt es ihnen, unter dem Namen ihres alten Orchesters ein Konzert in Paris zu geben und dabei nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich zu überraschen.
So weit die Partitur. Doch wie Mihaileanus deren Noten dirigiert, ist dann alles andere als überraschend – vorhersehbar ist fast jeder Gag, bemüht wird auch der dümmste Kalauer noch untergebracht, ethnisierte Stammtischsychologie wird ungestüm von tumbester politischer Systemkritik eingeholt; zum russischen Gulag fällt Mihaileanu nur weichgezeichneter, schwar-zweiss bebilderter Schnee, Kälte und ein bisschen Stacheldraht ein – ein gefährlich nah am tschechischen Märchenfilm und Bilitis-Ästhetik vorbeischrammendes Szenario, das einer kitschgeladenen Ohrfeige für die wirklichen Opfer dieses Systems gleichkommt. Und als ob Mihaileanus wirklich alles Vertrauen in seine erzählerische Kraft verloren hätte, setzt er allem auch noch die emotionale Komponente einer vermeintlich verlorenen Tochter so haarsträubend baukastenverliebt auf, dass am Ende eigentlich nur eines überrascht: Dass Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester die Kraft, die Schönheit und Grazie hat, davon unberührt zu bleiben.