Klandestin

Deutschland 2024 · 124 min. · FSK: ab 12
Regie: Angelina Maccarone
Drehbuch:
Kamera: Florian Foest
Darsteller: Habib Adda, Banafshe Hourmazdi, Barbara Sukowa, Lambert Wilson, Katharina Schüttler u.a.
Klandestin
Nicht alles ist so, wie es oft scheint...
(Foto: farbfilm / Filmwelt)

Iron Lady Reloaded

Angelina Maccarones kluger Film erzählt spannend und multiperspektivisch über die Ambivalenzen von Migration und Politik in Deutschland. Ein Film zur rechten Zeit

Wer sich noch an die noch gar nicht so lange zurück­lie­gende Bundes­tags­wahl erinnert, dürfte sich auch daran erinnern, wie mutwillig und völlig verzerrt die Migra­ti­ons­de­batte dabei instru­men­ta­li­siert wurde, um dann in Talk Shows aller Sender ebenso dämlich zerredet zu werden, fast so, als ob es kein Forschungs­ma­te­rial zu diesem Thema gebe, wie etwas Hein de Haas' völlig entwaff­nender globaler Rund­um­blick Migration – 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt.

Wer mehr über die Ambi­va­lenzen der deutschen Migra­tions-Debatte erfahren möchte sollte jedoch nur das Buch von Hein de Haas lesen, sondern unbedingt auch Angelina Macca­rones Klan­destin sehen. Denn Maccarone, die als Tochter eines italie­ni­schen Gärtners und einer berufs­tä­tigen deutschen Mutter zwei­spra­chig in Pulheim aufwuchs, für Poli­zeiruf 110 und Tatort Regie geführt hat und als Profes­sorin für Spiel- und Doku­men­tar­film an der Film­uni­ver­sität Babels­berg Konrad Wolf arbeitet, zeigt in ihrem Film genau das, worüber Haas schreibt. Sie erklärt über ein spannend und komplex gestricktes Narrativ, dass beim Thema Migration nicht alles so ist, wie es oft scheint.

Multi­per­spek­ti­visch erzählt sie nicht nur von Malik (Habib Adda), der in Marokko lebt, aber dort nicht genug verdient, um seine Familie zu unter­s­tützen. Er will nach Deutsch­land und schafft das auch mit Hilfe seines väter­li­chen »Mentors« Richard (Lambert Wilson), der als Künstler in Marokko lebt und eine Ausstel­lung in Berlin plant. Richard bringt Malik bei seiner alten Freundin Mathilda (Barbara Sukowa) unter, einer konser­va­tiven Poli­ti­kerin. Auch deshalb darf natürlich niemand erfahren, dass Mathilda einen illegalen Einwan­derer bei sich aufge­nommen hat. Sie instru­men­ta­li­siert ihre Assis­tentin Amina, die selbst gebürtige Marok­ka­nerin ist, aber inzwi­schen völlig assi­mi­liert ist und selbst eine poli­ti­sche Karriere anstrebt, dafür zu sorgen, dass Malik die eng gesteckten Grenzen seines Umfelds nicht verlässt.

Was wie ein klas­si­scher Polit­thriller klingt, ist aller­dings viel mehr. Denn Maccarone lässt sich nicht nur Zeit, ihre Charak­tere zu entwi­ckeln und dabei auf die Doppel­bö­dig­keit zu fokus­sieren, die nun einmal jedem Menschen, sieht man nur genau hin, eigen ist, sondern entwi­ckelt über einen vermeint­lich isla­mis­ti­schen Anschlag auch eine kluge poli­ti­sche Ebene, die deutlich macht, dass so wie auf der persön­li­chen Ebene auch auf der poli­ti­schen und radi­ka­li­sierten Ebene die Wahr­heiten mindes­tens fluide sind, also selbst eine konser­va­tive Poli­ti­kerin mal ein Leben gelebt hat, das alles andere als konser­vativ war, und dass ein nach außen isla­mis­tisch wirkender Anschlag alles andere als isla­mis­tisch sein kann.

Maccarone verz­wir­belt geschickt alle Ebenen, die in unserer gegen­wär­tigen Migra­ti­ons­de­batte eine Rolle spielen. Sie unter­füt­tert sowohl die Opfer- als auch die Täter­rollen mit alltags­re­le­vanten Momenten und erklärt fast nebenbei, wie Menschen zu dem werden, was sie viel­leicht nie sein wollten. Vor allem die über­ra­gend von Barbara Sukowa verkör­perte Poli­ti­kerin ist ein im Kino nur selten einge­setzter Charakter, für den sich Maccarone die Zeit genommen hat, die er braucht, denn zwei­fels­ohne ist es ein Charakter, der auch auf die inter­na­tio­nale Politik anwendbar ist und mit sicherem Pinsel­strich Lord Actons Worte – »Power tends to corrupt; absolute power corrupts abso­lutely« – anschau­lich in eine Lebens­linie verwan­delt.

Das mag nach einem Film klingen, der alles will und viel­leicht zu viel will. Doch Macc­ca­rone gelingt es tatsäch­lich, dass ihre Geschichte dabei nur wenig verliert. Denn auch die Leer­stellen sind pointiert gesetzt, werden durch intensive Blicke ange­deutet und konse­quent und klug nicht auser­zählt und in doppel­bö­dige und doppel­mo­ra­li­sche Bilder gegossen. Das wirkt zeitweise wie ein Schach­spiel, das aus seiner schwarz-weißen Polarität subtile Spannung und Grau­zo­nen­ana­lyse entwi­ckelt. Barbara Sukowa, die mit ihrem Herz aus Stein Euro­pa­po­litik mit Privat­po­litik furios amal­ga­miert, ist dabei fast so ambi­va­lent angelegt wie die von Anne Ratte-Polle verkö­perte Marion Bach in İlker Çataks Es gilt das gespro­chene Wort, ein Film, der eine ganz ähnliche Geschichte erzählt, wenn auch ohne Macca­rones souveräne Einbin­dung von poli­ti­schem Alltag.

Es sind Filme wie diese, von denen es in Deutsch­land viel zu wenige gibt, von denen es unbedingt mehr braucht, um den so ermüdend und dümmlich repro­du­zierten Stereo­typen über Migration und Migra­ti­ons­po­litik endlich auch künst­le­risch etwas entge­gen­zu­setzen und eine neue Realität zu etablieren.