Der junge Karl Marx

Le jeune Karl Marx

F/D/B 2016 · 118 min. · FSK: ab 6
Regie: Raoul Peck
Drehbuch: ,
Kamera: Kolja Brandt
Darsteller: August Diehl, Stefan Konarske, Vicky Krieps, Olivier Gourmet, Michael Brandner u.a.
Marx & Engels, cool und verwegen

Der Hipster aus Trier

»Die Geschichte aller bishe­rigen Gesell­schaft ist die Geschichte von Klas­sen­kämpfen – die Bour­geoisie und das Prole­ta­riat...«

Wie von einem Horror-Film entlehnt, so klingt die Musik. Die gezückten Klingen schwirren im Morgen­nebel, bereit, den Feind zu enthaupten. Doch die Sätze, die man hier hört, sie stammen aus dem »Kommu­nis­ti­schen Manifest«, und ihr Autor ist natürlich kein anderer als Karl Marx, der Philosoph und Begründer aller modernen Kapi­ta­lis­mus­kritik.

Marx macht mobil – und tatsäch­lich schrieb Karl Marx, ein glän­zender Formu­lierer, auch nur über Gespenster (»das Gespenst des Kommu­nismus«), über Vampire und Untote – mit ihnen verglich er einen verfau­lenden Spät­ka­pi­ta­lismus, der aber auch 170 Jahre nach dem Kommu­nis­ti­schen Manifest noch nicht sterben kann und weiter untot vor sich hinwest.
Auch in diesem neuen Film ist Marx kein Superheld. Die Monster, gegen die er kämpft, sind die Zombies des Kapi­ta­lismus und die Krake des Mehrwerts, der gerade jene ernährt, die nichts produ­zieren.
Egal was man von ihm politisch halten mag: Als Kritiker und Analy­tiker seiner Zeit war Karl Marx ein Genie. 1818 im zu Preußen gehö­renden Trier geboren, war Marx auch eine histo­ri­sche Figur, die heute extrem zeitgemäß wirkt: Flücht­ling und poli­ti­scher Emigrant, ein Staa­ten­loser und welt­of­fener Kosmo­polit, der einen Großteil seines Lebens in Paris und London verbrachte. Marx war Histo­riker, Ökonom, Soziologe, Jour­na­list, revo­lu­ti­onärer Sozialist. Er war kein Kommunist, kein Ideologe, kein Fanatiker sondern ein kühler Analyst, beflügelt von der Leiden­schaft für eine gerech­tere Welt.

So zeigt ihn auch Regisseur Raoul Peck, der aus Haiti stammt, einst an der Berliner DFFB Filmregie studierte und 1996/97 Kultur­mi­nister in seiner Heimat war. Peck konzen­triert sich auf den jungen Marx, und die Jahre, in denen er zum Grün­der­vater der Arbei­ter­be­we­gung wurde. Er schildert den Beginn der Freund­schaft mit Friedrich Engels, die zu einer lebens­langen Arbeits­ge­mein­schaft führte und ihrer gemein­samen Abfassung des »Kommu­nis­ti­schen Manifests«.

Das ist somit ein jugend­li­cher, in Idea­lismus getränkter Film geworden – nicht alters­weise, nicht abgeklärt oder pädago­gisch-didak­tisch, auch kein Doku­men­tar­film im modischen »Reenact­ment«-Stil, in dem erwiesene Fakten mit Schau­spie­lern meist eher schlecht als recht und immer sehr hölzern nach­ge­stellt werden – dies ist vielmehr ein frischer Blick auf den Stoff, nicht für Altkom­mu­nisten, sondern für ein jugend­li­ches Publikum. Neugierig muss es aber schon sein – und da liegt das Dilemma.

Denn der Film will Marx und Engels gerecht werden, zugleich alles auch mund­ge­recht für die Kiddies der Occupy-Gene­ra­tion erzählen. Als ein Coming-of-Age-Movie über das Erwach­sen­werden, über Freund­schaft, Rivalität, erste Liebe und darüber, wie einer seinen Lebensweg findet. Geht das? Im Anliegen erinnert Der junge Karl Marx an Goethe! (mit Ausru­fe­zei­chen von Philip Stölzl) und an den viel viel besseren Die geliebten Schwes­tern über Friedrich Schiller von Dominik Graf.
Ein irgendwie cooler Typ mit Hips­ter­bart und manchmal schrillen Parolen, dann wieder mora­li­sie­rendem Genörgel. Mora­lismus, wo Marx Politik setzte. Dann sind da noch die Nerv­ba­cken von der anderen Gang – aber Marx und Engels haben die besseren Sprüche und kriegen auch die besseren Frauen.

Peck versucht eine Engfüh­rung von Privatem und Poli­ti­schem, die mitunter erstaun­lich gut funk­tio­niert, dann leider auch wieder gar nicht. Im Jahr 1844 ist der 26-jährige Marx (von August Diehl trotz ange­klebtem Bart ein bisschen zu glatt und zu charis­ma­tisch verkör­pert), mit seiner Frau Jenny bereits verhei­ratet, aber das Leben im Pariser Exil ist arm. Eines Abends wird Marx Friedrich Engels vorge­stellt, der Sohn eines Fabrik­be­sit­zers – ein viel charis­ma­ti­scherer, welt­ge­wandter Typ, ein geschmack­voller Dandy. Beim Bier­trinken beginnt die ungleiche Männ­er­freund­schaft – nun arbeiten sie zusammen.

Dies ist in ihren besten Momenten eine aben­teu­er­liche Geschichte voller Spannung: Für die sorgen Zensur, Razzien, Verhaf­tungen, Macht­kämpfe unter den Linken vor allem mit den Anar­chisten und erneutes Exil – es ist auch anständig recher­chiert, gestützt auf direkte Quellen wie die Briefe der Haupt­fi­guren.

Der junge Karl Marx ist also ein Film fürs breite Publikum, aufwendig insze­niert, mehr an Unter­hal­tung inter­es­siert, als an genauerer Analyse. Funk­tio­niert dies aber dann wenigs­tens als der richtige Einstieg für Neulinge, bevor man viel­leicht mal Marx' Bücher lesen will? Schön wärs.

Marx macht mobil – Raoul Pecks Film bremst aber immer wieder ab ins Gefällige. Er ist nie ein revo­lu­ti­onärer Film, sondern bieder und refor­mis­tisch. Man wüsste gern, ob einer wie Raoul Peck, der mit seinem Doku­men­tar­film I Am Not Your Negro gerade ein eini­ger­maßen radikales Werk über Rassismus gedreht hat, mit diesem Film allen Ernstes glücklich ist – gäbe es die Hölle für Agnos­tiker und Feuer­ba­chianer, müsste Peck fürchten, dort Marx in die Augen zu sehen. Würde er das gern? I doubt it.

Die Film­för­derer aller Länder haben zu diesem Werk viele Millionen Euro zusam­men­ge­tragen – ein bisschen obszön ange­sichts des Themas, oder nicht? Aber so geht Kapi­ta­lismus, klar: Auch Marx ist eine Ware geworden, mit der die Konzerne handeln. In einem Jahr wäre Marx 200 Jahre alt geworden, da feiern diese Konzerne das Jubiläum mit neuen Büchern und Filmen wie diesem, Filmen, die ihnen nicht gefähr­lich werden.

Viel­leicht sollten wir, um den Marxismus zu beflügeln, doch besser wieder Godard ins Kino bringen. Aber das guckt sich in Deutsch­land keiner an.