Es

It

USA 2017 · 135 min. · FSK: ab 16
Regie: Andrés Muschietti
Drehbuch: , ,
Kamera: Chung-hoon Chung
Darsteller: Bill Skarsgård, Finn Wolfhard, Jaeden Lieberher, Owen Teague u.a.
Das beste King-Jugenddrama seit Stand by Me

Du sollst dir kein Bild machen

Stephen King ist gerade 70 Jahre alt geworden. Die Bücher des US-Best­seller-Autors gehören zu den am häufigsten gelesenen und zu den meist verfilmten überhaupt. Vielen gilt der back­stein­dicke Roman „Es“ von 1986 als Kings größtes Meis­ter­werk. Da verwun­dert es ein wenig, dass der Horror­klas­siker erst jetzt in Form von Andy Muschiettis ES den Weg auf die große Leinwand gefunden hat. Zwar gab es 1990 bereits den TV-Zwei­teiler STEPHEN KINGS ES. Doch der besaß trotz unleug­barer Qualitäten längst nicht das Kaliber von David Lynchs im selben Jahr gestar­teter TV-Revo­lu­tion TWIN PEAKS.

Einer der Gründe dafür, dass es rund 30 Jahre gedauert hat „Es“ ins Kino zu bringen, dürfte darin liegen, dass der Roman selbst für Kings Verhält­nisse verdammt lang ist. In der aktuellen unge­kürzten Neuüber­set­zung hat das Buch über 1500 Seiten. Damit ist es fast doppelt so dick, wie die deutsche Erst­aus­gabe, die auch ich vor 30 Jahren verschlungen hatte. Eine filmische Adaption von „Es“ wird auch dadurch erschwert, dass die Handlung im Buch parallel auf zwei verschie­denen Zeit­ebenen abläuft. Dies wurde in dem über dreis­tün­digen TV-Zwei­teiler noch über­nommen, wobei dort nur der in der Kindheit der Prot­ago­nisten spielende Hand­lungs­strang komplett überzeugt.

Die erste gute Entschei­dung beim jetzigen Kinofilm lag darin, die Geschichte auf diese eine Hand­lungs­ebene zu beschränken. Somit wurde es möglich die überlange Story auf kino­t­aug­liche zwei­ein­viertel Stunden einzu­dampfen. Der zweite smarte Kniff besteht in der Verlegung dieser Hand­lungs­ebene von den 1950ern in die 1980er-Jahre. Das ist zum einen die Zeit, in der viele heutige Zuschauer einst selbst im Alter der Prot­ago­nisten das Buch gelesen hatten. Und da das Grauen im Buch nach 27 Jahren zurück­kehren wird, würde die bereits ange­kün­digte filmische Fort­set­zung in der aktuellen Gegenwart spielen.

Zugleich kann der jetzige ES sehr gut für sich alleine stehen. Der größte Reiz des Films liegt in der hervor­ra­gend einge­fan­genen Atmo­s­phäre der Welt der sieben puber­tären Prot­ago­nisten, die sich selbst „Klub der Verlierer“ nennen. Tatsäch­lich überzeugt der Horror­film ES als das beste auf einem King-Roman basie­rende Jugend­drama seit dem Film Stand by Me, der bereits im Jahr des Erschei­nens des Romans Es in die Kinos kam. Alle sechs Jungen und das Mädchen Beverly (Sophia Lillis aus A Midsummer Night’s Dream) in Es haben klar erkenn­bare Eigen­heiten und ganz persön­liche Traumata und wirken zugleich wie typische Durch­schnitts­ver­treter ihrer Alters­gruppe.

Ebenfalls ideal ist das Setting des Films in dem neueng­li­schen Ort Bangore, der sowohl im Buch wie im Film Derry heißt. Die Klein­stadt in Maine ist der Wohnort Stephen Kings, dessen düstere Geschichten einst sein Buch inspi­riert hatten. Derry ist zugleich eine absolute Bilder­buch­aus­gabe eines länd­li­chen Amerikas, das in ES exakt dem vermeint­li­chen Idyll aus dem Buch entspricht. Der Ort wird im Film einge­führt als ein zwischen lieb­li­chen grünen Hügeln einge­bet­teter pitto­reskes Städtchen, dessen Zentrum aus hübschen alten Back­stein­ge­bäuden besteht. Doch schon kurz darauf zeigt sich, dass unten in der Kana­li­sa­tion der Stadt ein namen­loses Grauen haust, das kleinen Kindern gerne den Arm abbeißt, bevor es diese ganz in sein düsteres Reich hinab­zieht.

Die Grundidee dieses Szenario erinnert an David Lynchs ebenfalls 1986 erschie­nenen Psycho-Noir Blue Velvet. Lynchs Film beginnt mit einer absurd-beun­ru­hi­genden Szene, in der ein beleibter älterer Herr mit dem Garten­schlauch seinen säuber­lich gestutzten Vorgar­ten­rasen sprengt und plötzlich einen Herz­an­fall bekommt. Während das Herrchen weiterhin den Garten­schlauch haltend zuckend am Boden liegt, erfreut sich dessen Hündchen an dem wild empor­sprit­zenden Wasser. Von dort blendet die Kamera hinunter in das Grün des Rasens und offenbart, dass sich im Dickicht der Halme eine Horde bedroh­lich knackender Käfer tummelt.

Sowohl David Lynch als auch Stephen King finden in diesen vers­tö­renden Geschichten zu eindring­li­chen Metaphern für in der scheinbar idyl­li­schen ameri­ka­ni­schen Klein­stadt verbor­gene dunkle Umtriebe. Aber während bei Lynch die eigent­li­chen Einwohner tatsäch­lich allesamt sanfte und freund­liche Menschen sind, die lediglich das Pech haben von einer Gruppe dege­ne­rierter Subjekte »verstört« zu werden, entstammt in Es das Grauen im Unter­grund sehr deutlich den Abgründen der eigenen Psyche. Andy Muschietti (Mama) arbeitet in Es sehr gut heraus, dass der Kampf der jungen Prot­ago­nisten mit diesem verdrängten „Es“ die Konfron­ta­tion mit ihren eigenen Ängsten ist.

Dabei finden Muschietti und seine drei Dreh­buch­au­toren im Film zum Teil sogar deutlich tref­fen­dere Bilder für diese ganz persön­li­chen Ängste, als Stephen King in seinem Roman. Während der Autor in „Es“ häufiger tief in die Motten­kiste der Horror­stan­dards griff, wird Beverly in ES mit der wohl frap­pie­rendsten Mani­fes­ta­tion der von psycho­ti­schen Eltern geschürten Ängste eines weib­li­chen Teenagers vor seiner eigenen Sexua­lität seit Brian De Palmas King-Verfil­mung Carrie (1976) konfron­tiert. Darüber hinaus sind diese indi­vi­du­ellen Traumata der Prot­ago­nisten sowohl im Roman wie im jetzigen Film zugleich ein Spiegel der Leichen im Keller der (ameri­ka­ni­schen) Gesell­schaft. Von Mobbing, über Rassismus bis hin zum ange­deu­teten Kindes­miss­brauch ist da alles mit dabei.

Doch obwohl Andy Muschietti in Es sehr Vieles sehr richtig macht, ist der Horror im Film insgesamt etwas weniger über­zeu­gend als im Buch. Während sich das Grauen im Roman über erste verhal­tene Vorzei­chen ganz allmäh­lich bis zum turbu­lenten Finale steigert, haut Muschietti gleich kräftig mit dem Hammer auf den Tisch. Deshalb wirkt Vieles später Kommende nur noch wie eine Variation des bereits Gesehenen. Selbst der grandios den Killer­clown Pennywise gebende Bill Skarsgård nutzt sich mit jedem neuen Auftritt ein Stückchen mehr ab. Und obwohl auch in Es deutlich wird, dass Pennywise nur eine von poten­ziell unendlich vielen möglichen Erschei­nungs­formen einer bösen, unab­lässig seine Gestalt wandelnden, Entität ist, wird im Film niemals im selben Maß, wie im Buch spürbar, wie diese dunkle Kraft den gesamten Unter­grund Derrys besetzt hat.

Dieser letzte Aspekt verweist auf den eigent­li­chen Haupt­grund, weshalb „Es“ nicht nur aufgrund des schieren Umfangs des Buchs letzt­end­lich kaum adäquat filmisch umzu­setzen ist. Ähnlich, wie das uner­gründ­liche kosmische Grauen bei H. P. Lovecraft ist auch „Es“ eine dunkle Kraft, die niemals voll­kommen bildlich erfasst werden kann. Während beim Lesen dieser Romane im Kopf eine grobe Idee dieses Grauens entsteht, wider­setzt sich dieser namenlose Schrecken jeder konkreten Fixierung in Bildform.