Deutschland 2024 · 122 min. · FSK: ab 6 Regie: Jan-Ole Gerster Drehbuch: Jan-Ole Gerster, Blaž Kutin, Lawrie Doran Kamera: Juan Sarmiento G. Darsteller: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing, Dylan Torrell, Bruna Cusí u.a. |
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Gruppenbild mit mysteriöser Dame... | ||
(Foto: Leonine) |
Wer sich noch an Jan-Ole Gersters wunderbar zärtliches Flanieren durch Berlin in Oh Boy (2012) erinnert, dürfte schon durch Gersters großartige Lara (2019) über ein falsches Leben über Gersters Vielseitigkeit überrascht gewesen sein. Zwar erzählt auch Gersters neuer Film Islands die Geschichte eines »falschen« Lebens, doch unter gänzlich anderen, aber dann doch vertrauten Vorsätzen. Oder vielleicht noch etwas anders: man hat das Gefühl, Gersters von Tom Schilling gespielten Helden in Oh Boy nun viele Jahre später zu erleben, nicht mehr in Berlin, sondern nun auf Fuerteventura und mit einem Blick auf die Welt und das eigene Leben, wie ihn Corinna Harfouch beim Blick auf ihr Leben in Lara inne hatte.
Gersters neuer unheldenhafter Held ist Tom (Sam Riley), der als Tennislehrer auf Fuerteventura arbeitet und trotz eines Lebens, das wie ein ewiger Urlaub klingt, am Ende ist. Er trinkt sich regelmäßig ins Koma und ist auch als Tennislehrer nur als Schatten seiner selbst auf dem Tennisplatz anwesend. Und er ist einsam, mehr noch als er erfährt, dass ein befreundetes marokkanisches Ehepaar, das Kamelreiten für Touristen anbietet, nun genug verdient hat und in die Heimat zurückkehren wird, ohne ihre Kamele, vor allem aber ein Kamel, das ziellos über die Insel wandert.
Dieses Kamel ist zweifellos Toms Totemtier, das ihm seinen eigenen, nur allzu gut verdrängten Zustand immer wieder offenbart, wenn es seine Wege kreuzt. Doch es gibt nicht nur einsame Kamele, die plötzlich Toms Wege kreuzen, denn fast schon wie Toms Namensvetter in Der talentierte Mr. Ripley sieht sich Tom vagen Schatten aus seiner Vergangenheit gegenüber und einem möglichen Verbrechen, aus dem er sich ähnlich elegant und gleichermaßen angezogen zu entfernen versucht wie Patricia Highsmith’ so oft in Filmen auftauchender Held Tom Ripley. Doch anders als dieser, der ja ein Täter aus Überzeugung ist, ist Gersters Tom ein Opfer aus Überzeugung. Er lässt sich treiben, er lässt sich von der mysteriösen Anne (Stacy Martin) instrumentalisieren, ohne dass er es merkt, ohne dass auch der Zuschauer sofort merkt, welches Spiel hier eigentlich gespielt wird.
Denn nicht nur das Tennisspiel ist hier ein Spiel, auch das Spiel mit den Genres. Denn ist Islands in dem einen Moment noch klassischer Film Noir, wandelt er im nächsten schon auf den Spuren des Erotikthrillers und ist dann wieder Tennis- und Sportfilm, der über den Sport von der Gesellschaft erzählt, so wie kürzlich auch zwei weitere großartige Tennisfilme, Luca Guadagninos Challengers und Leonardo Van Dijls Julie bleibt still.
Aber wie andere deutsche Filmemacher der letzten Zeit, wie Frédéric Jaeger in seinem Abschlussfilm an der UdK Berlin, All We Ever Wanted oder Aaron Arens Langfilmdebüt Sonnenplätze, verwandelt auch Gerster den großen Sehnsuchtsort so vieler Deutscher, die kanarischen Inseln, in eine therapeutische Leerstelle, in der die Protagonisten zu etwas Neuem reifen und nicht nur der Sehnsuchtsort, sondern auch der bis dahin gültige Lebenstraum gnadenlos dekonstruiert werden.
Diese Kombination funktioniert auch in Gersters Islands hervorragend und wird durch Gersters Spiel mit den Genres subtil und subversiv unterfüttert, so dass am Ende der Zuschauer selbst entscheiden kann, welche Art von Film er sehen möchte.