The Iron Claw

USA/GB 2023 · 133 min. · FSK: ab 12
Regie: Sean Durkin
Drehbuch:
Kamera: Mátyás Erdély
Darsteller: Zac Efron, Harris Dickinson, Jeremy Allen White, Stanley Simons, Holt McCallany u.a.
Immerhin die Möglichkeit von Glück...
(Foto: Leonine)

Familie als Land

Sean Durkins großartiges Drama überzeugt als Sportfilm, Porträt einer Familie und politische Introspektive eines Landes, das sich selbst erledigt. Doch es gibt auch Hoffnung

»Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höh´res Streben
ist ein schöner Zug.«

– Bertolt Brecht, Das Lied von der Unzu­läng­lich­keit

Es liest sich wie eine der düstersten Legenden, die nun einmal auch zum ameri­ka­ni­schen Traum gehören. Der Aufstieg und Fall der berühmten Wrestler-Familie Von Erich in den 1980er Jahren. Aber schon da wird es ungenau, stimmt schon einmal gar nicht die Reihen­folge von Aufstieg und Abstieg, und beginnt diese Geschichte natürlich auch viel früher, in den 1950er Jahren mit einem ganz anderen Namen, mit Jack Adkisson, der als Profi-Wrestler unter seinem Künst­ler­namen (und Fami­li­en­namen seiner Groß­mutter mütter­li­cher­seits) Fritz Von Erich erst in seiner Heimat Texas und dann auch in Japan zum Star wurde, aber nie den Welt­meis­ter­titel erringen konnte. Das sollte immerhin seinen fünf Söhnen gelingen, so Fritz’ Plan.

Dieser Plan und dessen Umsetzung ist das Herz von Sean Durkins unge­wöhn­li­chem Biopic, das ausdrück­lich nicht nur ein »Wrestler-Drama« ist, sondern vielmehr eine klaus­tro­phobe Fami­li­en­reise in das Herz Amerikas. Denn wie schon in seinem letzten, ebenfalls über­zeu­genden Fami­li­en­por­trät The Nest – Alles zu haben ist nie genug (2020) stellt Durkin die Familie auch hier als erwei­terten Arm eine gnadenlos kapi­ta­lis­ti­sche Staats­dok­trin dar, in dem jeder mit dem anderen konkur­riert, ihn aber dennoch lieben lernen muss. So gibt Vater Fritz zwar tages­ak­tuell bekannt, welchen seiner Söhne er gerade mehr wert­schätzt, doch wissen die Söhne, dass sich das genauso tages­ak­tuell auch wieder ändern kann. Durkin entwirft hier die Binnen­per­spek­tive eines Systems, das tatsäch­lich herz­zer­reißend ist, weil sich Liebe hier auf keine wirkliche Konstante verlassen kann. Und nicht einmal die in ihrer Liebe zu Gott ruhende Mutter als beratende oder mitent­schei­dende Instanz eine Rolle spielt. Religion ist hier genauso Fluch wie der staats­tra­gende und die Familie struk­tu­rie­rende Kapi­ta­lismus, denn am Ende steht immer Gott, der über Fluch oder Segen entscheiden wird.

Obwohl Durkin eine reale Wrestler-Geschichte erzählt, also auch einen Sportfilm insze­niert, steht er ganz in der Tradition großer ameri­ka­ni­scher Sport­filme wie Scorseses Raging Bull, Rocky, Moneyball, Ali oder White Men Can’t Jump, in denen Sport immer auch Tableau für eine sich trans­for­mie­rende Gesell­schaft ist. Deshalb wird auch bei Durkin die sport­liche Seite nie zu stark gewichtet, sondern immer auch als Spiegel fami­liären und gesell­schaft­li­chen Ringens gezeigt; durch die beratende Tätigkeit des Ex-Wrestlers Chavo Guerrero dabei jedoch auch der Sport nicht anders als die mensch­li­chen Tragödien dahinter, so genau und die Choreo­gra­fien der Kämpfe derartig natu­ra­lis­tisch insze­niert und abge­bildet, dass sogar Darren Aronof­skys The Wrestler (2008) mit Mickey Rourke schon nach einer halben Stunde in Verges­sen­heit gerät.

Das liegt auch an Durkins Perspek­tive. Er fokus­siert nicht nur auf den Verfall eines Körpers und den Menschen dahinter, sondern zeigt vor allem Menschen, die ihre Körper gnadenlos instru­men­ta­li­sieren, um nicht nur Ruhm im Namen ihres Vaters, sondern darüber auch eine familiäre Balance und Harmonie zu erringen. Ein wenig erinnert das an Reinaldo Marcus Greens Fami­li­en­por­trät der Tennis­schwes­tern Venus und Serena Williams in King Richard (2021), doch bei Durkin wird noch deut­li­cher, dass wir hier einer fast schon tragi­schen Inter­na­li­sie­rung des wirt­schaft­li­chen Dogmas Amerikas zusehen.

Der Zerfall einer Familie ist bei Durkin deshalb immer auch als Zerfall eines ganzen Landes zu begreifen. Doch Durkin insze­niert dies so dezent, dass der Zuschauer erst im Abgang versteht, was er dort gesehen hat. Denn wie Michael Cimino, der ganz ähnlich gear­beitet hat, nimmt sich Durkin immer wieder Auszeiten, etwa eine große Hoch­zeits­szene, die zwar bei weitem nicht so lang wie Ciminos Hoch­zeits­szene in The Deer Hunter ist, aber die gleiche Funktion hat: über ein Fest mit all seinen ritua­li­sierten Momenten der Freude und der Zuver­sicht und eine alle Prot­ago­nisten sich einver­lei­bende, magne­ti­sche Kamera wird die Möglich­keit von Glück und die Gewiss­heit von Unglück erprobt und durch­ge­spielt, um in späteren, neu kontex­tua­li­sierten Szenen wieder aufge­nommen und zum Abschluss gebracht zu werden.

Dabei wagt Durkin sogar den vermeint­li­chen Fluch, der auf der Familie zu liegen scheint, in einer sinn­vollen Balance zu halten und unter­nimmt passend dazu einen Ausflug in die klas­si­sche Mytho­logie – in einem groß­ar­tigen, berüh­renden Moment, als am Ende die Über­que­rung des Styx, des »Wassers des Grauens«, in die Geschichte einge­bunden wird. Um im Anschluss daran sogar so etwas wie Erlösung oder zumindest Rettung aus all der Misere anzu­deuten, die ausge­rechnet aus dem Herzstück dessen erwächst, das zur Zers­törung selbst beigetragen hat, der Familie.

Dass dies nicht aufge­setzt oder über­in­sze­niert wirkt, liegt dann nicht nur an Durkins exzel­lentem Drehbuch und seiner souver­änen Insze­nie­rung, sondern auch an dem hervor­ra­genden Ensemble um Holt McCallany, Zac Efron, Lily James, Jeremy Allen White, Harris Dickinson und Stanley Simons, das um die eiserne Kralle – den Wrestler-Spezi­al­griff der Von Erichs und das viel­leicht unheim­lichste Symbol für die herr­schende Moral – einen tragi­schen Leben­stanz erspielt, der nicht nur das Herz der Von Erichs, sondern auch das der Zuschauer zerreißt. Ein wund(er)barer, unbedingt sehens­werter Film!