USA 2014 · 125 min. · FSK: ab 6 Regie: Rob Marshall Drehbuch: James Lapine Kamera: Dion Beebe Darsteller: Anna Kendrick, Daniel Huttlestone, James Corden, Emily Blunt, Meryl Streep u.a. |
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Rapunzel im Rotkäppchenwald |
»Und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.« So oder ähnlich lautet eine bekannte Märchen-Schlussformel, die dem Leser das Gefühl gibt, dass alle Wünsche erfüllt seien und die Protagonisten fortan keine Sorgen mehr hätten. Eine behagliche Versicherung, die in der Musical-Verfilmung Into the Woods nun einer kritisch-augenzwinkernden Prüfung unterzogen wird. Basierend auf dem gleichnamigen Broadway-Stück, das 1987 seine Uraufführung feierte, lässt Chicago-Regisseur Rob Marshall den Zuschauer gleich in mehrere populäre Geschichten eintauchen, konfrontiert ihn mit den Schwarz-Weiß-Mustern der Märchenwelt, führt die Klassiker und ihre Protagonisten aber nie vollends ad absurdum. Vielmehr wechselt die dynamisch inszenierte Disney-Produktion beständig zwischen Hommage und ironischer Dekonstruktion.
Musical-Muffel dürften schon gleich zu Beginn auf eine harte Probe gestellt werden, da der Film die mehr als fünfzehnminütige Vorstellung der wichtigsten Figuren allein über Gesangsnummern bewerkstelligt. Schwungvoll springen wir von einem Schauplatz zum nächsten und erhalten aus den häufig doppelbödigen Liedtexten erste Hinweise auf das Innenleben der Handlungsträger. Besonderes Augenmerk legen die Macher auf ein junges Bäckerspaar (Emily Blunt und James Corden), das sich sehnlichst Nachwuchs wünscht, allerdings unter einem Familienbann steht, den eine geheimnisvolle Hexe (Meryl Streep mit einigen imposant-komischen Auftritten) nach vielen Jahren brechen will, sofern die Eheleute ihr innerhalb eines bestimmten Zeitraums vier magische Gegenstände besorgen können. Nur kurze Zeit später durchstreifen der Bäcker und seine Frau den finsteren Wald, wo sie das Gesuchte zu finden hoffen.
Verzahnt wird dieser originäre Strang mit den bereits existierenden Erzählungen von Aschenputtel, Rapunzel, Rotkäppchen und dem kleinen Jack (aus »Jack and the Beanstalk«, im Deutschen als »Hans und die Bohnenranke« bekannt), weshalb sich ein recht spielerisches Mashup ergibt, das zentrale Stationen der einzelnen Geschichten aufgreift, die Handlungen aber auch ausschmückt und abwandelt. Der titelgebende Wald entpuppt sich dabei mehr und mehr als ein Ort, an dem sich das Unbewusste manifestiert. An dem sich die Figuren ihren tiefsten Ängsten stellen müssen und ihren größten Sehnsüchten nachjagen. Alle Protagonisten denken zunächst nur an sich, wollen ihre eigenen Wünsche verwirklichen, werden irgendwann jedoch mit den manchmal bitteren Konsequenzen ihrer »Taten« konfrontiert. Der Zweck heiligt nicht immer jedes Mittel, und die Frage der Schuld fällt mintunter äußerst komplex aus, wie eine Handvoll Protagonisten in einer der eindrücklichsten Passagen des Films erkennen muss.
Das beständige Spiel mit uralten Märchengewissheiten, mit Rollenmustern und Darstellungsformen nimmt bisweilen sogar derart ungewöhnliche Formen an, dass Into the Woods auf jüngere Zuschauer durchaus verstörend wirken könnte. Am offensichtlichsten wird dies wohl in den Momenten, in denen Hollywoods Berufssexzentriker Johnny Depp den bösen Wolf als schmierigen Lustmolch mit pädophilen Vorlieben (man achte auf seine Textzeilen!) verkörpert. Irritierende Brüche wie dieser verleihen dem bewusst überdrehten Treiben eine erstaunliche Unberechenbarkeit, machen den Betrachter aber auch darauf aufmerksam, dass die Einzelteile der anspielungsreichen Musical-Adaption besser sind als das filmische Gesamtgebilde.
Den großen Erzählbogen nämlich arbeiten Regie und Drehbuch eher schlampig aus, da sie im zweiten Teil zu sehr in Richtung Spektakel-Dramaturgie schielen und die zahlreichen Charaktere etwas stiefmütterlich behandeln. Erkenntnisse werden nun einfach lieblos herbeigezaubert, und ausgerechnet eine interessante Frauenfigur fällt ganz abrupt aus der Handlung heraus. Entwicklungen, die dann doch ein wenig enttäuschend sind. Immerhin geben Marshall und Co. dem Betrachter deutlich zu verstehen, dass sie ihr Werk als hintersinnigen Kommentar auf den manchmal sehr schematischen Märchenkosmos im Besonderen und das Geschichtenerzählen im Allgemeinen verstanden wissen wollen.