In the Cut

Australien/USA/GB 2003 · 118 min. · FSK: ab 16
Regie: Jane Campion
Drehbuch: ,
Kamera: Dion Beebe
Darsteller: Meg Ryan, Mark Ruffalo, Jennifer Jason Leigh, Nick Damici u.a.
Gestörte Gefühlswelt: Meg Ryan als Frannie

Im Schatten der Kinogeschichte

Die Beur­tei­lung eines Films ist schon eine diffizile Sache.
Einer­seits sollte man einen Film voll­kommen für sich selbst sprechen lassen und weder der Verweis auf die dahinter stehende wahre Bege­ben­heit noch die zugrun­de­lie­gende Roman­vor­lage oder die Entste­hungs­ge­schichte machen einen Film per se schlechter oder besser.

Ande­rer­seits ist die voll­kommen objektive Betrach­tung eines Films praktisch unmöglich, denn selbst wenn man sich allen Infos darüber verwei­gert, vergleicht man ihn doch unwei­ger­lich mit Filmen, die man bereits gesehen hat, die einem im Gedächtnis geblieben sind, die einen besonders beein­druckt haben.

Obwohl fast alle neuen Filme nur Varia­tionen von bekannten Geschichten, Genres und Stilen sind und sie sich theo­re­tisch der Konkur­renz der großen Klassiker stellen müssen, gibt es doch erstaun­lich oft inter­es­sante und spannende Werke, auch wenn darin zum tausendsten Mal der Gute den Böse jagt und zum milli­onsten Mal ein Junge ein Mädchen trifft.
Wie das eigene filmische Gedächtnis dabei unser Urteil beein­flußt, bleibt undurch­sichtig. Mal gewinnt ein Film dadurch (etwa bei Remi­nis­zenzen und Anspie­lungen), mal läßt es einen voll­kommen kalt und manchmal vermiest uns die Erin­ne­rung auch einen Film­be­such. Wäre man in diesem Fall ohne das Vorwissen besser bedient gewesen?

Jane Campions In The Cut ist ein an sich guter Film, der mich vor 15 Jahren zu Lobes­hymnen hinge­rissen hätte, dem ich heute – vor allem wegen der Erin­ne­rung an andere Filme – »nur« noch das Prädikat sehens- bzw. diskus­si­ons­wert verleihen kann.
In Campions Film geht es um die Lite­ra­tur­leh­rerin Frannie, die im hekti­schen New York mehr Leiden­schaft für Worte und Poesie als für Menschen übrig hat und deren Bekann­ten­kreis aus ihrer »liebes­süch­tigen« Halb­schwester, einem neuro­ti­schen Exfreund und einem jugend­li­chen Schüler mit einer Vorliebe für Massen­mörder besteht.

Als sie in eine Serie grausamer Frau­en­morde verwi­ckelt wird, entspinnt sich zwischen ihr und dem ermit­telnden Detective Malloy eine abgrün­dige Beziehung, die mit schlichtem Sex beginnt, über emotio­nelle Kämpfe führt und schließ­lich damit endet, dass Frannie ihren Liebhaber als den Frau­en­mörder im Verdacht hat.

Massen­mör­der­filme gibt es viele, deshalb gibt Jane Campion ihrem Film einen neuen Dreh, indem sie der (gestörten) Gefühls­welt der Prot­ago­nistin Frannie eine zentrale Rolle zuteilt und darauf vertraut, dass sich der serial killer-»who done it« und das Großstadt-Bezie­hungs­drama gegen­seitig zusätz­liche Spannung verleihen.

Verpackt hat Jane Campion all das in stre­cken­weise berückend schöne Bilder, mit viel visuellem Geschick und Sinn für Atmo­s­phäre. Mut zur Offenheit beweist sie bei der Darstel­lung von Sex und Gewalt und die Grund­stim­mung von In The Cut streift immer wieder das Obsessive, Dunkle, Abgrün­dige.

Technisch ist der Film fehler­frei (bis auf den diskus­si­ons­wür­digen Einsatz eines Unschär­fe­ef­fekts) und auch schau­spie­le­risch gibt es nichts zu bemäkeln (beklagen kann man dagegen die dümmliche Aufge­regt­heit der Medien über Meg Ryans unge­wohnte Rolle; die selbe blöde Aufge­regt­heit, die IMMER eintritt, wenn ein Holly­wood­star mal nicht seine typischen Rollen spielt).

Grund genug also, sich den Film, der einen sicher nicht kalt läßt, anzusehen. Wo liegt also das Problem?
Das Problem liegt in der Kenntnis von einem halben Dutzend Filmen, die einen zu mächtigen Schatten über In The Cut werfen.

Filme wie Sieben, Blue Steel, Summer Of Sam aber auch Das Schweigen der Lämmer, Sea Of Love bis hin zu Hitch­cocks Suspicion und Werken von Abel Ferrara und fran­zö­si­schen Filme­ma­cherInnen wie Catherine Breillat, nehmen In The Cut zum Teil eins zu eins voraus, was an sich noch nicht schlimm wäre, denn wie bereits gesagt:
Auch wenn jeder Film schlußend­lich die Last der gesamte Kino­ge­schichte auf seinen Schultern trägt, wird doch nicht täglich das Kino neu erfunden. Behaupten kann sich ein Film dann aber nur, wenn er die bekannten Versatz­stücke zu etwas Eigenem (nicht unbedingt Neuem) zusam­men­setzt. An der Zusam­men­set­zung dieser Teile scheitert In The Cut.

Viel­leicht liegt es daran, dass Jane Campion versucht zu viel zusam­men­zu­pa­cken. Das zuviel bezieht sich dabei nicht auf die unter­schied­li­chen Stile und Genres, die Campion einsetzt, sondern auf eine inhalt­liche Über­frach­tung, wie sie etwa an der Figur der Frannie erkennbar wird. Aus ihrem Leben werden so viele Aspekte ange­spro­chen (Arbeit, Poesie, Slang, Emotionen, Familie, Bezie­hungen, Sex, Ängste, und, und, und), dass sich nur schwer ein kompaktes Bild ergibt. Wenn dann auch noch die mögliche Beziehung zu einem Massen­mörder darauf gesetzt wird, zersplit­tert der Film in einzelne Stränge, die eben keinen geschlos­senen Film, sondern ein bisschen Sieben, ein bisschen Blue Steel, ein bisschen Summer Of Sam usw. ergeben. Das ergibt wohl­ge­merkt immer noch einen inter­es­santen Film, aber keinen, der sich wirklich heraus­hebt.

Bleibt die eingangs gestellte Frage, ob mir In The Cut ohne die Kenntnis der vorge­nannten Filme besser gefallen hätte?
Möglich wäre es, aber gerade bei einem Film wie In The Cut ist es eine zwei­schnei­dige Sache, sich alle filmische Vorkenntnis weg zu wünschen. Campions Film ist auch ein sehr arti­fi­zi­elles Werk, das voll und ganz in der Kunstform Kino verankert ist und somit in ästhe­ti­schen und narra­tiven Punkten durch entspre­chendes Film­wissen oft noch zusätz­lich gewinnt.

Es ist also keine leichte Aufgabe für einen Regisseur, seinen Film in der Film­ge­schichte richtig zu posi­tio­nieren. Fest steht, dass es zum Glück immer wieder Filme gibt, bei denen dies gelingt und die uns deshalb – allen bekannten Vorgaben zum Trotz – über­ra­schen und fesseln. Das sind dann die wirklich guten Filme.