Deutschland 2020 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Pia Strietmann Drehbuch: Bernd Lange Darsteller: Jörg Hartmann, Miroslav Nemec, Udo Wachtveitl, Emma Preisendanz, Beniamino Brogi u.a. |
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Mehr Schwanengesang als mafiöses Familienepos – Emma Preisendanz und Beniamino Brogi in Pia Strietmanns In der Familie (2) | ||
(Foto: Hagen Keller / BR / WDR) |
Anlässlich des 50-jährigen Tatort-Jubiläums gibt es eigentlich keine bessere Idee, als auf einen Berg zu steigen und sich zu verausgaben und zu zeigen, was man mit 50 Jahren noch drauf hat, statt wie der letzte Spießer im Kreis von Freunden und Familie in einem gutbürgerlichen Restaurant zu feiern.
Die Tatort-Doppelfolge zum Jubiläum zeigt, dass auch beides geht, dass man zwei Seelen durchaus in einer Brust vereinbaren kann. Damit wird sie einer langen Tatort-Geschichte gerecht, die nicht nur inhaltlich zwischen Eskapismus, bissigem Humor und immer wieder auch bitterer Gesellschaftskritik und blasser Fernsehästhetik pendelte. Denn die Doppelfolge geht nicht nur das Risiko ein, zwei Regisseuren die Verantwortung zu übergeben, sondern auch inhaltlich einen starken Bruch zu wagen.
Sahen wir im ersten Teil unter der Regie von Altmeister Dominik Graf, der hier all seine Erfahrungen und Stärken aus Kino und Serie ausspielte, ein fast schon klassisches Melodram, in dem eine funktionierende Familie in straffen 90 Minuten zu einem dysfunktionalen Therapie- und Polizeifall wird, schnürt Pia Strietmann (die im Frühjahr den Unklare Lage-»Tatort« über München im Ausnahmezustand inszeniert hatte) der fast schon schwülen südamerikanischen Soap-Opera-Inszenierung, die Graf durch die bizarre Gegensätzlichkeit der so unterschiedlichen Ermittlerteams aus Dortmund und München noch einmal verstärkte, fast vollständig die Luft ab. Der Witz ist weg, denn nun geht es um Politik und Korruption, um eine reiche Stadt, die ihre dreckigen Seiten zeigt. Ein verlorenes Heimspiel. Die fast schon ikonische BVB-Kaffee-Tasse aus dem ersten Teil taucht nur noch einmal auf und schafft damit auch die große schließende Klammer, fügt beide Folgen am Ende wieder zu einem Ganzen zusammen.
Doch was davor passiert, ist weitaus weniger Ermittler-Ballett und Familien-Tanz in den Abgrund als Täter-Introspektive. Wir befinden uns jetzt in München, dass Drehbuchautor Bernd Lange (der auch für den ersten Teil zuständig war) auf die „Mafia-Skandale“ der letzten Jahre dezidiert abgeklopft und fast schon hyperrealistisch in seine ’Ndrangheta- und Familien-Geschichte integriert hat. Vater (Beniamino Brogi) und Tochter (Emma Preisendanz) stehen zwar immer noch im Zentrum einer Tragödie, die sich zunehmend an antike Vorbilder anlehnt, doch setzt Strietmann nun einen weiteren Fokus auf die familiäre und gesellschaftliche Strukturierung des ’Ndrangheta-;Mannes vor Ort (Paolo Sassanelli), der zwecks Geldwäsche ein „aktives“ Leben in der Stadtplanung und Kommunalpolitik der Landeshauptstadt führt. Dieses Leben ist dementsprechend bürgerlich aufbereitet, mit einer fast schon zwanghaften Sehnsucht nach Normalität, die etwas zu plakativ inszeniert wird, dann aber auch durch Rückfälle in eine früh sozialisierte Grausamkeit zwar realistisch gebrochen wird, angesichts der Sendezeit und eines FSK von 12 allerdings stark ausgebremst erscheint.
In ihrer explizit düsteren Exegese dieser Verhältnisse hält sich Strietmann eher an große Vorbilder wie Martin Scorseses Goodfellas als an Coppolas Pate, geht es mehr um einen Schwanengesang als ein mafiöses Familienepos. Und ähnlich wie bei Scorsese (und im antiken Drama), sind die polizeilichen Ermittler aus München und Dortmund Statisten, werden zu einem Chor degradiert, der hilflos dabei zusehen muss, wie sich die Traumatisierung der 16-jährige Sofia – dicht und überzeugend von Emma Preisendanz verkörpert – immer neue Bahnen bricht.
Diese düstere Umklammerung des Schicksals mit ihren wiederholten (Tat-) Orten und familiären Verschränkungen auf mehren Ebenen wird konsequent bis zum Ende durchgespielt, ein Ende, in dem die Hoffnung dann nicht mehr als eine leere, ausgetrunkene BVB-Tasse und: ein weites Feld ist.
Aber da sind wir dann schon wieder bei Fontane und jeder weiß ja, wie dessen Geschichten und vor allem die eine um die arme Effie am Ende ausgeht.
In der Familie (2) ist bis zum 04.06.2021 in der ARD-Mediathek abrufbar.