Deutschland 2015 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Mara Eibl-Eibesfeldt Drehbuch: Johanna Stuttmann Kamera: Jürgen Jürges Darsteller: Ben Litwinschuh, Lutz Simon Eilert, Helena Pieske, Ludwig Trepte, Sylvie Testud u.a. |
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Am Abgrund balancieren |
»Für jedes Abenteuer hat’s zwei Enden: Hast Du Angst, wird sich’s zum Schlechten wenden, doch hast du Mut, dann ist es gut.« – So lautet eine der Weisheiten von Felix (Ludwig Trepte) – seines Zeichens in Reimen redender Gothic-Punk, Stadtstreicher, echter Graf von Gütersloh und persönlicher Beschützer von Jonas.
Jonas kann jeden Schutz gebrauchen. – Gerade weil seine Mutter den Zwölfjährigen zum Boss im Haus und zum Aufpasser über seine zwei jüngeren Geschwister ernannt hat, während sie am Wochenende im »Sonnental« gegen »die Dämonen« kämpft. Denn der neunjährige kleinere Bruder Nick hat seinerseits schwer mit ADHS zu kämpfen und die vierjährige Miechen ist das Nesthäkchen, das noch zum Kindergarten geht.
So beginnt die anfängliche Freude der drei Geschwister über die neue Freiheit immer mehr zu kippen, je länger die Mutter (Sylvie Testud) nach dem Wochenende weiterhin wegbleibt. Zwar haben die Drei ihr Zuhause mit selbst gebauten »Höhlen« in ein kleines Märchenreich verwandelt. Doch in diesem kriechen auf dem Boden immer mehr Käfer, während sich die Spinnenweben immer tiefer von der Decke herabsenken. Überall liegt Dreck, der Herd ist kaputt, das Geld bald alle und das Essen knapp ...
Ein realer Fall von kindlicher Verwahrlosung hat die Regisseurin Maria Eibl-Eibelfeldt zu ihrem Debütfilm inspiriert. Doch statt eines harschen Sozialschockers ist Im Spinnwebhaus ein eher märchenhafter Schwarz-Weiß-Film, welcher das bestürzende Geschehen aus der Perspektive der Kinder schildert. Dies hat zur Folge, dass ähnlich wie in Raum vieles, was bei nüchterner Betrachtung zutiefst beklemmend ist, abgemildert und ins Fantastische hinein transformiert wird.
Dazu, dass diese Operation insgesamt als geglückt bezeichnet werden kann, dazu trägt wesentlich bei, dass die Debütantin Eibl-Eibelfeldt mit dem Kameramann Jürgen Jürges einen alten Hasen mit an Bord der im Sinken begriffenen Spinnenweb-Arche zu nehmen vermochte. Jener hat von Fassbinder, über Wenders bis hin zu Haneke bereits mit den ganz Großen des deutschsprachigen Films zusammengearbeitet und Filme wie I In weiter Ferne, so nah (1993) und Funny Games (1997) mit seiner erstklassigen Kinematografie veredelt. Seine sorgfältig eingefangenen und mit der Zeit zunehmend kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bilder sorgen dafür, dass das gegenwärtige Heidelberg ein Stück weit in Richtung der Gefilde der Geschichten aus Grimms Märchen entrückt.
Zugleich sorgt das realistische Spiel der Französin Sylvie Testud und der drei tollen Kinderdarsteller dafür, dass das Gezeigte trotz des gewollten märchenhaften Anstrichs zugleich geerdet bleibt. Die Mutter überzeugt in allen ihren vielfältigen Facetten von Fürsorge bis hin zum Dämonenwahn. Die Kinder driften über weite Strecken scheinbar mühelos zwischen ihrer eigenen Traumwelt und Märchenlogik und den konkreten Anforderungen ihres Alltags – sei es Pfandflaschen zu sammeln, Äpfel zu klauen oder ein opulentes Geburtstagsgeschenk für die kleine Schwester zu organisieren.
Eine innerhalb der Handlung und auch für den Film an sich nicht ganz unproblematische Figur ist dahingegen der von Ludwig Trepte (Unsere Mütter, Unsere Väter, 2013) gespielte Felix, Graf von Gütersloh. Seiner Figur haftet etwas zu gewollt Symbolhaftes an, was immer wieder für leichte Irritierungen sorgt. Dies beginnt bei Felix auffälligen Spinnenweb-Tattoo, setzt sich über seine gestelzten Reime bis hin zur offensichtlichen Parallele zu den drei Geschwistern in seiner Rolle als ausgestoßenes Kind fort. Spätestens bei Felix letztem Auftritt fragt man sich, inwieweit dieser nicht bloß dazu dient, das sich zuspitzende Geschehen in einer kuschelig weichen Schwebe zu belassen.
An dieser Stelle fühlt man sich unangenehm daran erinnert, dass der deutsche Film zwar gerne schwierige Themen aufgreift, dann jedoch damit hadert, diese in aller gebotenen Konsequenz zu Ende zu erzählen. – Weniger wäre bei diesem Schluss mehr gewesen.