Deutschland 2010 · 86 min. · FSK: ab 12 Regie: Thomas Arslan Drehbuch: Thomas Arslan Kamera: Reinhold Vorschneider Schnitt: Bettina Blickwede Darsteller: Mišel Maticevic, Karoline Eichhorn, Uwe Bohm, Peter Kurth u.a. |
||
Trojan – Profi in prekärer Lebenslage |
Es ist eine uralte Geschichte: Einer kommt nach Jahren aus dem Gefängnis, und wartet erst gar nicht, dass die Vergangenheit ihn einholt, er geht gleich selbst zu ihr. Mit der Illusion des Neuanfangs und ihren trügerischen Hoffnungen hält sich der Berliner Regisseur Thomas Arslan gar nicht erst lange auf. Sein Held, der in der ersten Einstellung, mit einem Blick, den man dann noch nicht recht deuten kann, auf die Stadt schaut, ist einer jener Typen, die man in Amerika »No Nonsense« nennt: Sie reden wenig, aber wenn, dann sollte man gut zuhören, und besser nicht widersprechen. Die Stadt, das ist anfangs ein regennasses, neonerleuchtetes, verkehrsreiches Berlin in der Abenddämmerung. Später dann eine trockene, düster-graue Metropole der Hotelzimmer und Malls, der Hinterhöfe und kleinen Werkstätten, der Autokreuzungen und der latenten Depression. Die Gegend ist das alte Westberlin, die Architektur die aus den 60ern und zwar jener Teil, den man schon damals nicht sehr schön fand. Heruntergekommen ist hier vieles, nicht nur die billigen Hotels, nicht nur die kleinen Schieber, bei denen man Werkzeug für jeden Zweck kaufen kann, Waffen natürlich auch, nicht nur die Polizisten, die ihre eigenen Geschäfte machen, und sich Ziele suchen, um dort ihren Frust abzureagieren, sondern überhaupt das ganze Leben.
Mitten in alldem steht Trojan, so heißt Arslans Held, der wortkarge Ex-Häftling, und wenn man nachschaut, was dieser merkwürdige Name bedeutet, dann stößt man auf einen mythischen Krieger der Slawen, auf einen Eishockeyspieler und auf einen Fußballer. Trojan also – ein Schweiger, eiskalt auch, aber kein Engel – versucht erst gar nicht, neu anzufangen, er war im Knast, hat andere gedeckt, und fordert nun seinen Anteil. Und doch scheint er von Anfang an zu spüren, dass es in dieser Welt keine Belohnungen gibt, dass der Typus von Professionalität, mit der er es hier zu tun hat, Fairness nicht kennt. Und als Zuschauer ahnt man, dass es sich bei seinem letzten »Job« wohl auch schon um so eine Verzweiflungstat gehandelt haben muss, dass Trojan auch hier schon wusste, dass er sich mit Leuten eingelassen hat, auf die kein Verlass ist, und er eigentlich nur darauf hoffen kann, dass er irgendwie durchkommt. Es ist die große Inszenierungskunst des Regisseurs, dass er nichts von alldem wirklich aussprechen muss, sondern man alles weiß, weil man es sehen und mitdenken kann, dass er in ein paar Skizzen und wenigen Film-Minuten seinen Figuren einen Charakter, eine Vergangenheit und keine Zukunft gibt.
Mit all dem schreibt sich Arslan ein in ein Kino, das aus Amerika stammt, und in Frankreich aufgegriffen wurde: Das Gangsterkino des späteren Film Noir, nicht mehr so schön funkelnd in hochästhetischen Licht-Schatten-Spielen, sondern gradliniger, klarer, reduzierter. No Nonsense eben. An die Figuren Jean-Pierre Melvilles und Michael Manns kann man hier denken, wenn man die Eleganz sieht, die Misel Maticevic – der jetzt gerade auch als Mafiaboss in Dominik Grafs ARD-Serie Im Angesicht des Verbrechens zu sehen ist – als Trojan ausstrahlt, wenn man seinem Blick folgt, mit dem er die Stadt und die Menschen anschaut. Aber dann ähnelt alles doch mehr noch Don Siegel und Sam Peckinpah, den trockenen Realisten des späten Hollywood, in deren Filmen man immer wieder Männern von erschütternder Professionalität begegnet, bei denen jeder Handgriff sitzt, jede Bewegung ihren Grund hat, und man dann nie weiß, ob man sie dafür lieben soll, oder sich vor ihnen fürchten muss, ob man es hier mit Künstlern eigener Art zu tun hat, oder mit Verzweifelten, die nur eben diese Routine noch vor dem Zusammenbruch und dem Abgrund bewahrt.
Dass sich Trojan nahe am Abgrund bewegt, das wird schon ganz zu Beginn klar, in der Bedrohung, die in der Luft liegt, der Einsamkeit, die sich um ihn herum verbreitet. Denn dieser Gangster ist keiner, dem seine Arbeit Spaß macht oder gar Lust bereitet, er tut einfach das, was er am besten kann, und im Vergleich zu anderen Kino-Gangstern ist Trojan gewiss eher deren proletarische Variante, ein Schwerarbeiter, aber immerhin nicht am Fließband, sondern auf eigene Rechnung.
Arslan orchestriert wie schon in seinen früheren Filmen Der schöne Tag (2001) und Ferien (2007) die Stimmungslagen in diesem Thriller perfekt, ihm gelingt ein Psychogramm der Einsamkeit, das auf Psychologie ganz verzichtet. Am schönsten ist der Film aber da, wo er ganz cool Männern bei der Arbeit zusieht, in diesem Fall der Planung, Ausführung und den Nachwirkungen eines kleinen schmutzigen Raubüberfalls, den Dingen, wie sie plötzlich dynamisch werden, und sich mit unaufhaltsamer Gesetzmäßigkeit entwickeln, wie eins ganz beiläufig, aber zwingend das andere ergibt, und hinter der Schönheit des Mechanischen doch immer der Abgrund sichtbar bleibt.
Das alles ist für deutsche Verhältnisse sehr ungewöhnlich, und unterscheidet sich auch trotz mancher Ähnlichkeiten von anderen Ansätzen, mit denen deutsche Regisseure jetzt endlich beginnen, Genrestoffe der Gemütlichkeit des Fernsehens zu entwinden, und auf die große Leinwand zu bringen, wo sie hingehören. Lange ist im deutschen Kino nicht mehr so straight erzählt worden. Und viel zu selten, gelingt es so wie hier, in einer kleinen Geschichte, in Nebenfiguren, die so kurz wie präzis auftauchen (und von wunderbaren Darstellern wie Peter Kurth und Uwe Bohm gespielt werden), auch das Große, Ganze aufscheinen zu lassen: Keiner kann hier irgendwem trauen, insofern ist dies ein hochaktueller Film, und natürlich auch eine Weise, vom modernen Kapitalismus zu erzählen, von Amoral und Kälte, von neuen Kommunikationsstrukturen und davon, was von den Profis übrig bleibt, wenn man nicht mehr mit Produkten und Können handelt, sondern mit Geld.
Trojan ist ein Profi in prekärer Lebenslage. Was er kann, das nutzt ihm nicht wirklich etwas, aber wenn er mal einen Fehler macht, das zeigt sich gegen Ende, dann wird es gleich lebensgefährlich. Insofern hat Trojan auch etwas von einem gejagten Wild, einem wunderschönen seltenen Tier, einer Spezies, deren Zeit abgelaufen ist. Die Tage, die kommen werden, werden nicht besser, das ist klar, aber auch hier gegen Ende zeigt sich noch einmal Arslans große Kunst: Zunächst in einem wunderschönen friedlichen Augenblick, den er Trojan gönnt. Und dann darin, dass er es schafft, seiner Geschichte eine unerwartete letzte Wendung zu geben. Denn gerade wenn die Zukunft nichts zu bieten hat, zählt die Gegenwart um so mehr.