Immenhof – Das Abenteuer eines Sommers

Deutschland 2018 · 106 min. · FSK: ab 0
Regie: Sharon von Wietersheim
Drehbuch:
Kamera: Friede Clausz
Darsteller: Valerie Huber, Wotan Wilke Möhring, Heiner Lauterbach, Laura Berlin, Rafael Gareisen u.a.
Diese Sehnsucht nach vordigitaler Ursprünglichkeit

Inzest auf der Pferdekoppel

»Spiel ich 1 2 3 4 dideld­i­deldip
Laufen 1 2 3 4 Pony­bein­chen mit
Dideld­i­deld­i­deldi
So geht meine kleine Pony­me­lodie«

– Dideldum didelda auf der Mund­har­mo­nika in Die Mädels vom Immenhof

In Pfer­de­filmen geht es inzwi­schen wie in der Pfer­de­zucht zu. Fast schon inzestuös werden Zucht­merk­male »hinge­men­delt«, die für die Renn­kar­riere erfolg­ver­spre­chend sind. Von Ostwind, Wendy bis zu Bibi & Tina haben sich deshalb in den letzten Jahren vor allem drei Plot-Stränge als besonders erfolg­reich erwiesen und werden munter variiert: die des trau­ma­ti­sierten, von allen unter­schätzten Pferdes, das es dann doch allen noch einmal zeigt; die des guten und des bösen Pfer­de­hofs, wobei letzterer nicht nur mit neoka­pi­ta­lis­ti­schen Regeln die Pferde zur Sau macht, sondern außerdem noch den guten Pferdehof aufkaufen und den Welt­markt­re­geln entspre­chend trans­for­mieren will; und die der jungen, starken Mädchen, die nicht nur Pferden gut zuzu­flüs­tern verstehen, sondern auch Männer – seien es gleich­alt­rige Trottel oder ältere Böse­wichte – am Ende erfolg­reich »zureiten«. Die Filme stehen und fallen deshalb nicht mir ihrer erzäh­le­ri­schen oder filmi­schen Finesse, sondern in ihren Nuancen, in der Qualität ihrer Pfer­de­boxen: wie gut sind die Song­ein­lagen, wie selbst­iro­nisch sind die Plots gestrickt, bei denen jeder vom anderen munter abzu­schreiben scheint und vor allem: wie gut sind die schau­spie­le­ri­schen Leis­tungen der Pfer­de­mäd­chen, für die es immer auch die Chance auf eine große Karriere außerhalb des Pfer­de­film­genres ist?

Nichts anderes gilt auch für den neuesten Ableger dieses Genres, Sharon von Wieters­heims Immenhof – Das Abenteuer eines Sommers. Unge­wöhn­lich und über­ra­schend an dieser Produk­tion ist vor allem, dass es eine Neuin­ter­pre­ta­tion bzw. ein Remake des wohl ersten deutschen Nach­kriegs­klas­si­kers des Pferde- und Heimat­films ist, Wolfgang Schleifs DIE MÄDELS VOM IMMENHOF, der 1957 versuchte, den verruchten Heimat­be­griff wieder auf neue, unschul­dige Beine zu stellen. Und der dann mit nackten Rücken­an­sichten (beim Umkleiden) und frivol-naiven Dusch­szenen (hinter einem Paravent) die Unschuld der beiden Heldinnen »Dick« und »Dalli« auch gleich wieder ein wenig neckisch hinter­fragte. Der Film war so erfolg­reich, dass zwei weitere Folgen abgedreht wurden, es in den frühen 1970ern zwei weitere Filme gab und 1994 dann noch eine Vorabend­serie, die aber nicht mehr als den Namen mit den ursprüng­li­chen Filmen teilte.

Anders ist es um den neuesten Relaunch beschaffen. Sollten Groß­el­tern mit ihren Enke­linnen (oder Uren­ke­linnen) Immenhof besuchen, werden sie viel­leicht schmerz­lich die vertrauten Spitz­namen Dick und Dalli vermissen, aber alles andere ist dann so wie vor über 60 Jahren, behutsam in die Farben unserer Gegenwart gegossen. Statt Ponys sind es Pferde, aber die Geld­sorgen bleiben die gleichen und auch in unsere pfer­di­sche Gegenwart verschlägt es einen jungen Schnösel (einen auf allen sozialen Medien präsenter »Influ­encer«) aus der Großstadt nach Immenhof (Moritz Bäcker­ling), der dort wie die drei Schwes­tern Lou (Leia Holtwick), Charly (Laura Berlin) und Emmie (Ella Päffgen) ein gründ­li­ches Coming-of-Age erlebt.

Wie in allen anderen Pfer­de­filmen der letzten Jahre sind auch in Immenhof Frauen und Mädchen eman­zi­pierte Menschen, die wissen, was sie wollen, und die auch keine Scheu haben, sich, wenn es denn sein muss, dem perso­ni­fi­zierten Bösen und Alpha-Männchen (Heiner Lauter­bach) entge­gen­zu­stellen. Ihr Heimat­be­griff ist zwar auf das beängs­ti­gende Minimum ihrer Körper­lich­keit und eines gut funk­tio­nie­renden Wirt­schafts­be­triebes geschrumpft, gleich­zeitig spricht aus jeder Pore ihres Land­le­bens die Sehnsucht nach vordi­gi­taler Ursprüng­lich­keit. Und auch von ihrer Part­ner­wahl gibt es eigent­lich nur Gutes zu berichten: zwar nicht immer souverän, aber am Ende dann doch aus dem Bauch heraus konse­quent und kompro­misslos werden hier die Entschei­dungen gefällt, ohne dass dabei die wirt­schaft­li­chen Schat­ten­seiten des Lebens aus den Augen verloren werden. Der Bechdel-Test wird hier tatsäch­lich mehr als über­durch­schnitt­lich erfolg­reich bestanden.

Und auch schau­spie­le­risch ist das völlig über­zeu­gend, die Dialoge stimmen und es gibt ein ausge­wo­genes Verhältnis von Humor und Spannung, Pferd und Mensch, Nähe und Distanz. Und am Ende die viel­leicht schönste Erkenntnis von allen – dass das Muttern­ar­rativ der Pfer­de­film­ge­schichten unserer Gegenwart gar nicht unserer Gegenwart entspringt, sondern einem 60 Jahre alten Film des deutschen Heimat- und Wirt­schafts­wun­ders.