Südkorea 2006 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Park Chan-wook Drehbuch: Park Chan-wook, Jeong Seo-gyeong Kamera: Jeong Jeong-hun Darsteller: Lim Soo-jung, Jung Ji-hoon, Choi Hie-jin, Lee Yong-nyeo u.a. |
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Wahnsinn im Irrenhaus |
Der Koreaner Park Chan-wook ist einer der größten Virtuosen und überhaupt der spannendsten Regisseure des Gegenwartskinos. Er gehört zu den ganz wenigen aktiven Filmemachern, von denen man womöglich wirklich Revolutionäres, zumindest aber echte Innovationen erhoffen kann. Das belegt auch sein neuestes Werk, das vor einem knappen Jahr im Berlinale-Wettbewerb lief, und dort den Alfred-Bauer-Preis bekam – obwohl der Film im cinematographischen Kosmos des gefeierten Autors der »Rachetrilogie« (Sympathy for Mr. Vengeance, Oldboy, Lady Vengeance), wohl auf mittlere Sicht nur den Status eines Neben-Werks einnehmen dürfte. In jedem Fall kann man vermuten, dass I’m a Cyborg But That’s OK auch eingefleischtere Fans von Park und dem koreanischen Gegenwartskino überraschen wird.
»Amelie im Irrenhaus«, oder »Einer flog über das Kuckucksnest in Südkorea« – das mag jetzt etwas allgemein klingen, aber solche Schlagworte charakterisieren den Film trotzdem ganz gut: Yeong-gun (Lim Su-jeong) (Byeong-ok Kim) hat einen ganz schönen Sprung in der Schüssel. Sie hört Stimmen und hält sich für einen Cyborg-Roboter, also eine Chimäre aus Mensch und Maschine. Das wäre womöglich noch nicht weiter schlimm, würde sie nicht in der Logik des Wahnsinns
gelegentlich ihre Energiereserven »aufladen«, indem sie Batterien herunterschluckt oder lutscht, oder ihre Hand in eine Steckdose hält. Zugleich verweigert sie menschliche Nahrung, – logischerweise sozusagen, denn dann begänne sie ja »von innen zu rosten«.
Eines Morgens wacht Yeong-gun demzufolge in einer Nervenheilanstalt auf, und an diesem Ort freundlicher Obhut und gedämpfter Farben wird der Film von nun an spielen. Statt mit ihrem Arzt redet sie auch dort lieber
mit den umherstehenden Maschinen, und füllt ihre Gedächtnislücken mit frisch erdachten phantastischen Geschichten. In der folgenden Zeit lernt Yeong-gun – und wir Zuschauer mit ihr – dann auch die anderen Insassen des Irrenhauses kennen, darunter ein Mädchen, dass sich für eine Schweizer Jodlerin hält, einen Paranoiker, und den Kleptomanen Il-sun (der von Asia-Pop-Idol Rain, im echten Leben Jeong Ji-hun gespielt wird). Die beiden verlieben sich ineinander, was in der
Folge zu der charmanten Erzähl-Variante führt, dass der Kleptomane Yeong-guns Phantasien »stehlen« will.
Hinter der auf den ersten Blick komplexen Ausgangssituation stehen also eigentlich gar nicht so unalltägliche Geschichten: Die Heldin leidet unter einer Essstörung und einem Identitätsproblem. Ganz und gar ungewöhnlich ist aber die Machart: Der besondere Charme und die visuelle Faszination dieses Films liegen nämlich darin, dass Park Chan-wook den sozialen Kosmos des Irrenhauses und auch den Rest der Welt aus der Innensicht der Kranken, vor allem Yeong-guns zeigt – was sie phantasieren und sich ausdenken, wird also im Film in Bilder verwandelt. Das bedeutet, dann, das Yeong-gun zum Beispiel tatsächlich wie ein Kampfroboter aus ihren Fingern ballern kann und einmal das gesamte Anstaltspersonal umnietet – mit nicht sehr gewalttätigen Folgen allerdings, denn es geschieht ja »nur« in ihrer Einbildung. Visuell aber gilt für den Zuschauer: What you see is, what you get.
Das Ergebnis ist ein furioses Feuerwerk im besten Stil ostasiatischer Popkultur: schrillbunt, überbordend, lärmend, inklusive einiger Splatter-Effekte, grandiosem Nonsense. Es passt auch gut in die überbordenden Bilder und überraschenden Geschichten der koreanischen Filmlandschaft der letzten Jahre: So virtuos und poetisch, wie Jang Sun-woos Ressurection of the Little Match Girl, so traurig und elegisch wie Kim Ji-woons A Bittersweet
Life, die beide unerklärlicherweise in Deutschland bisher keinen Verleih gefunden haben.
Und nebenbei schildern Rückblicke aus ihrer Kindheit, wie es bei Yeong-gun zuhause zuging und präsentieren die Genealogie ihrer Krankheit – bereits ihre Großmutter litt nämlich unter einer ähnlichen schweren Persönlichkeitsstörung. Mit der Zeit fasst man immer mehr Anteilnahme für die junge Frau, ihre besondere Empfindungsfähigkeit und Menschlichkeit, die sie zum »Engel«
der Anstalt werden lässt.
»Amelie im Irrenhaus«, oder »Einer flog über das Kuckucksnest in Südkorea« – von Park Chan-wook hätte man so eine Mischung aus Komödie und realistischem, anrührend menschlichem Krankheitsdrama nicht unbedingt erwartet – ein bisschen ist der Effekt so, als würde Clint Eastwood jetzt plötzlich eine Romantic Comedy präsentieren. Aber kein Regisseur ist gezwungen, sich von Außen auf ein Image festlegen zu lassen. Und blickt man genauer hin, entdeckt man die versteckten Gemeinsamkeiten mit Park früheren Filmen: Wieder geht es um Institutionen der Gesellschaft und ihre Insassen, um Unangepasstheit und ihre Folgen. Statt des Militärs, der Schule oder eines Gefängnisses steht nun eben eine psychiatrische Klinik im Zentrum, und damit auch das Thema alltäglicher – möglicherweise gerechtfertigter, oder eben moralisch fragwürdiger – Repression durch gesellschaftliche Zwangssysteme und der klassische Konflikt zwischen Freiheitsdrang und Konformismus. Und wieder inszeniert dieser Regisseur mit leichtester Hand visuell wie akustisch perfektes Kino.