Hinter dem Horizont

What Dreams May Come

USA 1998 · 113 min. · FSK: ab 12
Regie: Vincent Ward
Drehbuch:
Kamera: Eduardo Serra
Darsteller: Robin Williams, Annabella Sciorra, Cuba Gooding Jr., Max von Sydow u.a.

Die blaue Blume der Romantik ist in What Dreams May Come die Blüte des Jaca­randa­baums, und sie gedeiht auf ameri­ka­ni­schem Boden. Als Leitmotiv zieht sie sich (oft nur durch ihre Farbe präsent) durch den gesamten Film – der ein Versuch ist, das Projekt der Romantik in einem heutigen, ameri­ka­ni­schen Kontext noch einmal aufleben zu lassen und tragfähig zu machen.

Das wird von Anfang an über­deut­lich betont: Die Prot­ago­nisten Chris und Annie, vom Schicksal fürein­ander bestimmte Seelen­ver­wandte, treffen sich zum ersten Mal beim Boots­fahren auf dem Genfer See – an dessen Ufer bekannt­lich (siehe Gothic und Haunted Summer) das Ehepaar Shelley und Byron jene legendäre Nacht verbracht haben, in der »Fran­ken­stein« geboren wurde. Zum zweiten Mal laufen sie sich dann kurz später hoch in den Alpen über den Weg; für die Mytho­logie der Romantik ein nicht minder zentraler Ort.
In wenigen Minuten führt uns der Film durch die Jahre dessen, was nun unver­meid­lich kommen muß: Chris und Annie heiraten, werden glücklich mitein­ander und haben zwei Kinder. Chris ist mit eben­so­viel Hingebung wie Erfolg Arzt, Annie ist (der Film bleibt deutlich) nicht nur von der deutschen Romantik stark beein­flußte Malerin – sie ist auch Restau­ra­torin von Gemälden des 19. Jahr­hun­derts: Jemand, der – in doppeltem Sinne – alte Bilder erhalten möchte.
Wiederum nur Minuten später die erste Kata­strophe: Die Kinder kommen bei einem Unfall ums Leben. Eine schwere Prüfung für Chris und Annie, die sie jedoch scheinbar gerade gemeis­tert haben, als das Schicksal erneut zuschlägt. Weil für eine von Annie orga­ni­sierte Ausstel­lung Bilder aus Deutsch­land – roman­ti­sche, versteht sich – nicht ankommen, will Chris statt­dessen welche von Annie holen und gerät dabei in einen Unfall, bei dem auch er stirbt.

Und da bleibt dann What Dreams May Come nicht bei Annie in irdischen Gefilden, sondern folgt Chris bei seiner Reise in die nächste Welt – die sich als eine Bilder­welt im wahrsten Sinne des Wortes entpuppt: eine Welt in den Gemälden von Annie.
Es ist eine Welt der geborgten Bilder (und Welt­bilder), in der so ziemlich alles noch einmal verhan­delt wird, was die (insbe­son­dere ameri­ka­ni­sche) Romantik bewegt hat: Der konstru­ierte Gegensatz von mensch­li­cher Zivi­li­sa­tion und Natur, die Kategorie des Erhabenen, die Stiftung von (natio­naler) Identität, die Ausein­an­der­set­zung mit den »Vätern« (im ameri­ka­ni­schen Kontext heißt das speziell auch Europa), die Rolle des Künstlers im Verhältnis zur Gesell­schaft, der Aufbruch zu einer neuen Ästhetik und einer neuen Entde­ckung (Erfindung?) von Inner­lich­keit und Gefühl.
Am offen­sicht­lichsten geht es bei einem Film, der zu gut drei Vierteln im Jenseits spielt, freilich um Fragen nach Tran­szen­denz – die abermals bereits die Roman­tiker mit höchst unter­schied­li­chen Ergeb­nissen (man vergleiche nur Emerson mit Melville) enorm beschäf­tigten. Es sind Fragen nach einer letzt­gül­tigen Auto­ri­sie­rung, nach einer über die Eigen­ver­ant­wor­tung hinaus­ge­henden, immer­wäh­renden Instanz, die festen Sinn stiftet.
In das Jenseits von What Dreams May Come ist aber bereits einge­schrieben, was schwierig geworden ist an dieser Suche: Es ist ein plura­lis­ti­sches, (man verzeihe das unver­meid­bare Wort) post­mo­dernes Jenseits, in dem jeder Mensch eine indi­vi­du­elle Version von Himmel oder Hölle haben kann, und in dem (Körper-)Iden­ti­täten frei wählbar sind.
Nun hat der Film aber stark in das Projekt einer eindeu­tigen Sinn­stif­tung inves­tiert und kann es sich nicht leisten, den Impli­ka­tionen seiner eigenen Vision des Jenseits allzuviel Raum zu lassen. Zwar ließen sich die Wurzeln der Post­mo­derne sehr gut genau in die Romantik verfolgen, aber der Film möchte von den selben Voraus­set­zungen eben zu ganz anderen, einheit­li­cheren und eindeu­ti­geren Schlüssen kommen. Der ange­deu­tete Plura­lismus des Jenseits in What Dreams May Come resul­tiert nicht aus Über­zeu­gung, sondern ist Konzes­sion an »political correct­ness« und takti­scher Zug, um nicht gar zu sehr als gestrig zu erscheinen.
Am deut­lichsten wird dieses Dilemma, als Annie schließ­lich Selbst­mord begeht und prompt in der Hölle landet – was den Film zu sich verquast windenden (und letzlich wenig über­zeu­genden) Erklä­rungen nötigt, warum dies nichts mit katho­li­schen Moral­vor­stel­lungen zu tun hat.

Für Chris aller­dings steht so oder so fest: Er muß seine Annie zurück­holen zu sich, und folglich begibt er sich in die Rolle von Orpheus und macht sich auf den verbo­tenen Weg in die Unterwelt.
Der Abstieg in die Hölle wird in What Dreams May Come zu einer Reise vorwärts in den Epochen: Wir finden uns – begleitet von einem Spuren­leser in Gestalt von Überpapi Freud – mitten im Moder­nismus wieder, wo dann aus den (ebenfalls leit­mo­ti­visch durch den ganzen Film hindurch präsenten) Schiffen Panzer­kreuzer und Flug­zeug­träger geworden sind und das Indi­vi­duum sich nicht mehr gegenüber der »Natur« zu verorten hat, sondern gegenüber der (urbanen) Masse. (Besonders mit einer Art Meer der Gesichter gelingen hier Regisseur Vincent Ward – der ja schon in seiner neuseelän­di­schen Heimat mit dem hinreißenden The Navigator Gespür für einfalls­reiche und kraft­volle Bilder bewies – einige der beein­dru­ckendsten Szenen in seinem an Bild­ge­walt nicht armen Werk.)

Das wirklich Enttäu­schende an What Dreams May Come ist nur, daß den – ohnehin des öfteren zur Süßlich­keit neigenden Film – bei seiner Reise im entt­schei­denden Moment vollends der Entde­ckermut verläßt und er nach dem Aufstieg aus der Hölle seine Segel setzt mit Kurs auf den sicheren, ameri­ka­ni­schen Hafen einer ‘50er Jahre-Vision von Fami­li­en­glück. Da wird What Dreams May Come dann zu einem »roman­ti­schen« Film im bastar­di­sierten Sinn des Wortes, was einer Kapi­tu­la­tion gleich­kommt vor den Fragen, die er die ganze Zeit über aufge­worfen hat – Fragen, die als Antwort heute nach wahrhaft neuen Bildern verlangt hätten. Und das wirkt dann ein bißchen so, als würden Ishmael und Captain Ahab am Ende von »Moby Dick« zu braven Binnen­schif­fern.