HERRliche Zeiten

Deutschland 2018 · 110 min. · FSK: ab 16
Regie: Oskar Roehler
Drehbuch:
Kamera: Carl-Friedrich Koschnick
Darsteller: Katja Riemann, Oliver Masucci, Samuel Finzi, Lize Feryn, Yasin el Harrouk u.a.
Mehr Fremdschämen als Lachen

Kasperletheater

»Seid ihr alle da?« Sofort schallt es zurück: »Jahh! Ja! Wir sind da!« Wenn das Krokodil auftaucht, rufen 3- bis 5-jährige wild durch­ein­ander: »Pass auf! Krokodil! Hinter dir! Will dich fressen!« Kasperle guckt in die Luft, fragt ungläubig: »Wo denn?« Die Angst um die Handpuppe mit der roten Zipfel­mütze sorgt für Spannung. Wilde Kinder müssen fest­ge­halten werden. Sonst würden sie die Puppen­kiste stürmen. Sensible vergießen Tränen oder pinkeln in die Hose. Einige durch­schauen den Trick, auf dem das ganze Theater um Kasperle beruht. Sie betteln. »Können wir nach Hause? Bitte, bitte!« Liebe­volle Eltern erlösen ihre Kleinen, führen sie auf Zehen­spitzen aus dem Raum.

Wer HERRliche Zeiten anguckt, darf nicht darauf speku­lieren, dass Mutti ihn auf den Schoß nimmt. Oder dass Vati ein fettes Eis verspricht, wenn man die Vorstel­lung durchhält, ohne zu quengeln. – Dieser Film ist für Erwach­sene, dumm gelaufen.

Dabei hat HERRliche Zeiten mehr Über­ein­stim­mungen mit Kasper­le­theater, als ihm guttut. In beiden Fällen ist der Clou: Alles wird so oft wieder­holt und breit erzählt, bis jeder, aber auch wirklich jeder, es kapiert hat. Egal, ob man erst in der letzten Szene rein­ge­schli­chen ist. Oder ob man Tomaten auf den Augen hat. Und dann... tja, wird es noch mal wieder­ge­käut...

Claus Müller-Todt (Oliver Masucci) ist ein zynischer Schön­heits­chirurg, der den Hals nicht voll­kriegt. Seine Gattin, Evi Müller-Todt leidet unter einem sinn­ent­leerten Leben.
Ihre frisch­ge­ba­ckenen Sklaven, das Ehepaar Bartos (Samuel Finzi) und Lana (Lize Feryn), dagegen haben es faustdick hinter den Ohren.

Eigent­lich steckt in der simplen Grundidee durchaus das Zeug für eine schwarze Komödie über aktuelle Strö­mungen unserer Gesell­schaft. Die Qualen der Freiheit und die Vorteile von Unfrei­heit. Die Kluft zwischen Armen und Reichen. Wo bleibt in Zeiten des Turbo­ka­pi­ta­lismus die Moral?
Ebenso liegt auf der Hand, dass Klischees, Über­trei­bungen und Wieder­ho­lungen komisches Potential in sich bergen. Darum gehören sie zur Grund­aus­stat­tung jeder Komödie und Satire.

Luis Buñuel, Claude Chabrol oder die Brüder Ethan und Joel Coen erzählen seit fast 100 Jahren die alte Geschichte von Normal­bür­gern, die sich als blut­rüns­tige Monster entpuppen. Von schicken Villen, in denen sich Sünden­pfuhle verbergen. In ihren Filmen kann man schmun­zeln, sich selbst wieder erkennen, erschre­cken oder schallend lachen. Wenn einem das Lachen nicht im Hals stecken bleibt.

Warum gibt’s in HERRliche Zeiten wenig zum Lachen, dafür um so mehr zum Fremd­schämen? Obwohl der Regisseur, Oskar Roehler, ein Klischee ans nächste reiht.
Nun, wenn das Niveau über der Gürtel­linie liegen soll, benötigt eine Komödie mehr als ange­strengte Plump­heiten.
Klischees und Stan­dard­si­tua­tionen sorgen dafür, dass man einen Charakter und seine Welt durch­schaut und einordnen kann. Im Sinne von: Aha, der Skla­ven­halter steht für die fiesen Reichen dieser Welt.
Doch Oliver Masucci stellt seine Fiesheit so penetrant zur Schau, dass man ihn nicht mehr als glaub­wür­digen Charakter wahrnimmt. Nicht mal als abschre­ckendes Beispiel. – Als Beispiel geradezu aufdrängen, tut sich der ganze Film: Für eine weitere deutsche Komödie ohne Zwischen­töne, Ironie, Finger­spit­zen­ge­fühl, Timing, Ambi­va­lenz oder Empathie für ihre Figuren.

Das vorherr­schende Gefühl, das die Geschichte um ein Herren- und ein Skla­ven­paar auslöst, ist Häme. À la: Wie blöd sind die denn? Ab und zu geht einem durch den Kopf: So blöd kann man doch gar nicht sein! Abgelöst wird die Scha­den­freude durch brennende Ungeduld: Dauert der Film noch lange?

Das Drehbuch ist die Adaption eines Romans von Thor Kunkel. Es bleibt offen, ob schon der Schrift­steller Humor mit dem Vorschlag­hammer erzeugen wollte. Oder ob’s der Dreh­buch­autor, Jan Gerber, bei der Adaption verbockt hat. Sicher ist, der Regisseur hat das Ergebnis mit der Planier­raupe platt gewalzt.
In Inter­views mimt Oskar Roehler das Enfant Terrible, bzw. das unbequeme Genie. Leider reicht es nicht, wenn man auf Teufel komm raus wild sein will und unan­ge­passt. Man sollte auch etwas zu sagen haben und die formalen Mittel beherr­schen, um es auszu­drü­cken.
In den braven Fernseh-Sketchen von Loriot steckt mehr Relevanz, Subver­sion und Witz. Loriot hatte seine beste Zeit in den siebziger Jahren...

Wie ein Kind, das unter­for­dert vor der Puppen­kiste sitzt, möchte man auch als Erwach­sener vor der Kino­lein­wand rufen: »Ich hab’s kapiert!« Claus ist ein Ekelpaket. Seine Frau, Evi, leidet unter Lange­weile. Ihr Sklave, Bartos, kocht Menüs mit viel Chichi. Die Sklavin Lana ist verdammt sexy. Apropos, mit der Darstel­lung von Erotik verhält es sich ähnlich wie mit dem Humor. Weniger ist oft mehr...

Wer trotz allem durchhält bis zum Schluss, in dem könnte sich ein weiteres Gefühl breit­ma­chen, nämlich Mitleid mit den Schau­spie­lern. Besonders bei Katja Riemann und Samuel Finzi ahnt man, mit einem anderen Drehbuch und einem anderen Regisseur hätte aus der Idee eine mitreißende Komödie werden können.

Ein Sklave für den Bungalow

Müll­tren­nung, Tempo 30, und eine Regie­rungs­chefin, die alle am liebsten Mutti nennen – kein Wunder, dass die Deutschen von heute vielen Nach­bar­völ­kern suspekt sind. Aber wie sieht Deutsch­land privat aus?

Die Müller-Todts sind eine ganz normale Familie aus dem bundes­re­pu­bli­ka­ni­schen Wohl­stands­speck­gürtel: neureich, unge­bildet, kinderlos, bedingt egoman, aber mit unbedingt gutem Gewissen. Er ist Arzt, Schön­heits­chirurg, sie arbeitet theo­re­tisch ein bisschen als Garten­ar­chi­tektin und in einer Charity-Agentur, ist aber vor allem zuhause. Abends gibt’s in der gepflegten Villa bestelltes Sushi zum Essen und eine Serie auf DVD.
Eines Tages aber ändert sich das: Hausherr Müller-Todt hat sich einen Spaß erlaubt und eine Anzeige geschaltet: »Sklave gesucht!« steht darin, und gemeint sind zwar keine sexuellen Dienst­leis­tungen, dafür alle anderen.

Tatsäch­lich meldet sich bald Bartos; er ist ein Diener alter Schule und nimmt die Anzeige ganz wörtlich ernst: »Für mich drückt das Wort Sklave die Sehnsucht nach einem Arbeits­ver­hältnis aus, das nicht von Geld, sondern von Vertrauen bestimmt ist.« Bartos wird ange­stellt und über­trifft in seiner Probe­woche noch alle Erwar­tungen. Er bereitet den Müller-Todts gemeinsam mit seiner Frau ein Paradies auf Erden, Im Rundum-Sorglos mit fünf­gän­gigem Nouvelle Cuisine-Diner und First-Class-Bedienung wissen die beiden nicht recht, wie ihnen geschieht: Plötzlich leben die Müller-Todts wie die Majes­täten von Versailles. Das hat Folgen. Denn einer­seits verdirbt bedient zu werden offen­sicht­lich den Charakter.

Ande­rer­seits übernimmt der Diener bald zunehmend das Kommando im Haus. Er beginnt seine Chefs zu erziehen, ihnen Lektionen in herr­schaft­li­cher Haltung zu erteilen: »Geben Sie sich Zeit, Frau Müller-Todt. Eine herr­schaft­liche Haltung erwirbt man nicht plötzlich, man muss sie erlernen.« Oder noch weiter­ge­hend: Er erteilt ihnen sozial-philo­so­phi­sche Vorle­sungen mit seinen kruden Ansichten: »Die Menschen heut­zu­tage können weder dienen noch befehlen. Fürs Gehorchen sind sie zu groß, fürs Herrschen zu klein.«
Dass Bartos und seine für den Haus­herren verfüh­re­ri­sche Gattin darüber hinaus noch ihre ganz eigene Agenda haben, kann man früh ahnen, wenn es sich auch lange Zeit nur in Spuren­ele­menten zeigt – bevor Bartos die Katze aus dem Sack lässt und Diderot-Hegels »Herr-Knecht-Dialektik« sehr konkrete Gestalt annimmt.

Oskar Roehler (Die Unberühr­bare, Quellen des Lebens) war schon immer ein Regisseur, der seine eigene Biogra­phie und mit ihr die Abgründe des bürger­li­chen Lebens in Deutsch­land, zunächst vor allem in West­deutsch­land, später dann in der saturiert-neurei­chen Berliner Republik mit feinem Besteck seziert hat.
Auch sein neuer Film – eine sehr, sehr freie Adaption des zuletzt viel disku­tierten Romans »Subs« des neurechten Schrift­stel­lers Thor Kunkel – ist etwas, was es im deutschen Kino viel zu wenig gibt: Eine erwach­sene Komödie, die zwar schon auch gele­gent­lich mit derben Klischees, Boul­vard­theater-Klamauk und etwas billigen Scherzen aufwartet und zwar über die neuen Ernäh­rungs­wün­sche der Deutschen, poli­ti­sche Über­kor­rekt­heit und über Well­ness­moden wie »Arschu­veda«. Mit neurechtem Gedan­kengut, wie mancher­orts vorschnell unter­stellt, hat dies nichts zu tun.

Aber das Spiel mit Klischees hat durchaus tiefere Bedeutung: HERRliche Zeiten ist eine sehr geist­reiche – und übrigens mit Oliver Masucci, Katja Riemann, Samuel Finzi und vielen mehr blendend besetzte – scharf poin­tierte und gut beob­ach­tete Komödie, eine Farce über die verdrängten mons­trösen Seiten unseres Lebens: Unaus­ge­spro­chene Klas­sen­ver­hält­nisse in der vermeint­lich egalitären Gesell­schaft, verdrängte Tabus, heimliche Wünsche nach Exzess und Über­griffen, nach Amoral, die so gar nichts mit der Moral-Maske zu tun haben, die wir in der Öffent­lich­keit gern tragen, und die plumpen Vorur­teile, die sich hinter vermeint­lich berech­tigter Islam­kritik und Terror­furcht verste­cken.
Roehler insze­niert mal mit grobem Säbel, mal mit feinem Florett; der Regisseur treibt die Klischees auf die Spitze und ironi­siert in seiner wunderbar boshaften und gele­gent­lich treffend klamot­tigen Komödie auch so schöne Ideen wie die der kultu­rellen Vers­tän­di­gung.