Deutschland 2009 · 154 min. · FSK: ab 12 Regie: Jo Baier Drehbuch: Jo Baier, Cooky Ziesche Kamera: Gernot Roll Darsteller: Julien Boisselier, Joachim Król, Roger Casamajor, Armelle Deutsch, Chloé Stefani u.a. |
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Klischeetriefende Zeitverschwendung |
Man glaubt kein Wort in dieser Verfilmung von Heinrich Manns zwei Romanen Die Jugend des Königs Henri Quatre und Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Deren Vorlage bildet jener berühmte Fürst (1553-1610) aus der Zeit der französischen Religionskriege, der als Führer der protestantischen Hugenotten und Prinz von Navarra durch einige historische Zufälle nach dem Aussterben der Linie der Valois als Henri IV. zum König der Franzosen und Begründer der Bourbonenherrschaft wurde. Dem überaus volkstümlichen Henri gelang es, während seiner Regierung den konfessionellen Bürgerkrieg einzuhegen, in fundamentalistischen Zeiten eine hochmoderne religiöse Toleranzpolitik durchzusetzen und mit dem »Edikt von Nantes« institutionell zu verankern, und in einem realpolitischen Mittelweg zwischen dem Radikalismus der Hugenotten wie dem der Katholischen Liga die Trennung von Staat und Kirche herbeizuführen. Heinrich Mann schrieb seine historischen Romane im französischen Exil in den dreißiger Jahren unter offenem Verweis auf den Faschismus seiner Gegenwart und deren Bedrohung der Demokratien. In seinem Henri Quatre schuf er das idealistische Gegenmodell eines gerechten, toleranten Herrschers, der Geist, Witz und Volkstümlichkeit verband. Zugleich ist dies auch ein sattes, opulentes Epochenportrait, ein Hohelied auf Manns Zufluchtsort Frankreich. Man könnte sich eine Verfilmung daher gut vorstellen: Dieser Stoff verbindet das Potential für publikumswirksame Unterhaltung mit einem brisanten Thema: Dem Gegensatz zwischen dem liberalen Hedonisten auf dem Königsthron und den religiösen Eiferern jeder Couleur, die von einem Gottesstaat träumen und dafür auch vor Terror und politischem Mord nicht zurückschrecken.
Um den Terror kreist denn auch ein Großteil der Handlung: Jene berüchtigte Bluthochzeit zwischen Henri und Margot, der Schwester des Valois-Königs Karl IX., die in die Bartholomäusnacht mündete. Patrice Chéreau hatte das Ereignis in La reine Margot, gleichfalls eine Verfilmung eine populären historischen Romans, 1994 in ein grandioses Historienspektakel verwandelt, ein Meisterwerk des Kostümfilms, wie des politischen Paranoiakinos. Man mag es im Zusammenhang mit diesem Film nur erwähnen, um den Abstand sichtbar zu machen, der Henri 4 von großem Kino trennt. Denn von all dem, was an La reine Margot stark war – Subtilität, Sinnlichkeit, Darstellungskunst und brennende aktuelle Bezüge – bleiben unter Jo Baiers Regie nur Hektoliter Theaterblut.
Sprunghaft und zusammenhanglos treibt von den ersten Minuten an bereits die Handlung voran, manchmal wirken die einzelnen Szenen in sich und miteinander geradezu dilettantisch zusammengeschustert – und wüsste man nicht, dass Regisseur Baier ein erfahrener und normalerweise qualitativ hochwertiger Fernsehroutinier und Bearbeiter historischer Stoffe ist – man müsste glauben, hier handle es sich um den naiven Versuch eines Anfängers, der alle Probleme des Historien-Kinos sträflich unterschätzt hat, und zudem recht geschmacksunsicher ist.
Die Handlung setzt mit ein paar Szenen aus der Kindheit ein, und ohne historische Vorkenntnisse wird man ihr bereits hier nur mit großer Mühe folgen können. Einzig ein Insert zu Beginn liefert etwas Orientierung, ansonsten bleibt man alleingelassen mit Namens- und Schlachtengewirr, ohne dass es der Film versteht, Wichtiges beiläufig zu liefern. Sie treibt weiter zur Bartholomäusnacht, hangelt sich an den bekannten, von Historikern längst widerlegten bzw. historisch
relativierten Klischees vom halb irrsinnigen Karl, vom verworfenen schwulen Süchtigen Henri III., der nymphomanen Margot und der bösen Hexe Catharina di Medici entlang – wie viel klüger war da Chéreau! – und mündet in die grundgute Herrschaft von Henri IV. und seinem Tod durch den jesuitischen Attentäter Ravaillac – der hier, historisch auch recht haltlos, als von Heinrichs eifersüchtiger zweiter Frau Maria di Medici geheuerter Meuchelmörder dargestellt
wird.
In erster Linie erzählt Baier Henris Leben als das Leben eines Wollüstlings, der immer wieder mit neuen Frauen im Bett gezeigt wird. Diesen Szenen und hier wieder den zweifellos wohlgeformten Brüsten der diversen Darstellerinnen widmet die insgesamt sehr geschmäcklerische Kamera Gernot Rolls besondere Aufmerksamkeit – da hätte manches besser ins bayerische Lederhosenkino der frühen 70er gepasst, als zu diesem Stoff.
Der Rest ist Beziehungsdrama und Familienklamotte, wobei man nie genau weiß, wie viel hier Absicht ist, und was den Machern einfach unterlief. Drehbuch und Inszenierung wirken jedenfalls wie eine Kapitulation vor dem Sujet: Kaum eine Totale, Landschaften und Bauten bleiben wie die Kostüme ohne Textur, die meisten Darsteller – Ausnahme: Hannelore Hoger, André Hennecke und Karl Markovics – chargieren und liefern ein Overacting, das dutzende Male nur noch unfreiwillig komisch wirkt.
Eine Chance ist verschenkt: Ein billig wirkender, langatmiger, in vielem hundsmiserabler Film, und eine Verschwendung von Fördergeld, wie man sie lange nicht erlebt hat. Man fragt sich im Gegenteil, wie so etwas möglich ist; wie es sein kann, dass ein offenkundig nur schlampig ausgearbeitetes, undurchdachtes Projekt mit dem bisher höchsten deutschen Spielfilm-Etat bei Förderern und Sendern offenkundig kritiklos durchgewunken wurde. Denn dass das Ergebnis, das jetzt im Kino zu sehen ist, das Ergebnis sorgfältiger Bearbeitung des Stoffes sein soll, dass ein durchdachtes filmästhetisches Konzept, Stilbewusstsein und eine Haltung dahinter stehen soll, kann und mag man nicht glauben.