Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2

Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2

Großbritannien/USA 2011 · 130 min. · FSK: ab 12
Regie: David Yates
Drehbuchvorlage: J.K. Rowling
Drehbuch:
Kamera: Eduardo Serra
Darsteller: Daniel Radcliffe, Rupert Grint, Emma Watson, Helena Bonham Carter, Jim Broadben u.a.
Harry Potter am Ende

Alles wird gut

Fantasy, Aufklä­rung und beider Götter­däm­me­rung: Nie wieder Harry Potter!

Nun gut, zugegeben: Nach sieben Harry-Potter-Filmen fällt einem zum Thema und zu Harry Potter und die Heilig­tümer des Todes – Teil 2 wirklich nichts mehr ein. den Filme­ma­chern aller­dings auch nicht. Nur Herum­ge­renne, letzte Schlacht, und Sieg. Aber irgendwie ist es doch ein merk­wür­diges Phänomen, das eine ganze Gene­ra­tion Erwach­sener ihren Kindern die Bücher wegnimmt, um sich daran zu ergötzen; an etwas, das am Ende in den Satz mündet: »Alles war gut«. Und sich dann gemeinsam einzu­reden, es handle sich um große Literatur. Eine kollek­tive Spinnerei, die künftigen Kultur­wis­sen­schaft­lern einigen Stoff geben wird, wenn sie dereinst den geistigen Verfall des Westens erklären müssen.

Harry Potter ist einfach zu flach, als das er irgend­etwas mehr leisten könnte, als Unter­hal­tung: Baby-Soap, verpackt als Oper. Das Lesen dieser Bücher ist mit keinerlei geistigem Aufwand verbunden und funk­tio­niert nach aller­sim­pelsten Schemata. Auch die Filme sind nicht toll. Man hätte da vieles mehr rausholen können.

Nur damit wir auch nicht miss­ver­standen werden, um hier ganz klar zu sein: Der Verfasser hat kein Problem damit, dass sich Kinder­bücher mit erwach­senen Themen beschäf­tigen. Das geschieht dauernd. Sondern damit, dass umgekehrt Erwach­sene zunehmend infantil werden, und die Kinder­li­te­ratur usur­pieren. Das ist das Problem: Unter­hal­tungs­li­te­ratur hat Welt­li­te­ratur abgelöst, wird für sie gehalten und wie sie benutzt. Die Welt­li­te­ratur dagegen gibt es nicht mehr. Zwei­fellos kann gute Jugend- und Kinder­li­te­ratur natürlich genauso gut Welt­li­te­ratur sein. Da falllen einem sofort »Alice in Wonder­land« und »Peter Pan« ein, manche Bücher, die nicht als solche konzi­piert waren, aber dann von der Erwach­senen- zu Jugend­li­te­ratur wurden: »Robinson Crusoe«, die »Leder­strumpf«-Bände, Romane von Dickens und von Twain zum Beispiel, von Jules Verne. Dass etwas bei einem Millio­nen­pu­blikum ankommt, hat umgekehrt gar nichts mit »Welt­li­te­ratur« zu tun – man denke nur an Karl May oder Agatha Christie.

Harry Potter kommt zurück! Oder war es doch Karl Theodor zu Gutten­berg? Und Sophokles lebt. Oder Wagner. Oder Euripides. Der antike Tragö­di­en­dichter schrieb ein Stück, das den Titel »Die Kinder des Herakles« trägt. Und so könnte auch die ganze Harry-Potter-Chose heißen.

»Ist das wirklich real? Oder findet alles nur in meinem Kopf statt?« – Eine gute Frage, die Harry Potter da stellt; aber auch eine gute Antwort, die er bekommt: »Natürlich findet es in Deinem Kopf statt. Aber heißt das, dass es nicht real ist?« Leider nicht.

Menschen, die sonst nie über Kinofilme schreiben, fühlen sich nun berufen, kommen auf antike Tragödien und russische Auto­ren­filmer, aufs Kata­stro­phen­kino... Mytho­manie der profes­sio­nellen Kritik. Oder sie reden in der Sprache der Gläubigen, wie jener critic.de-Autor: »Wer Harry Potter bisher noch nicht begegnet ist, wird diesem Abschluss der Saga nichts abge­winnen können ... Den Wissenden bietet er keinen gran­diosen, aber doch würdigen Abschluss der Geschichte.« Lustig, wäre es nicht traurig. Es gibt nichts Infan­ti­leres als wenn sich Erwach­sene heran­wanzen an ihre Brut, sie über­bieten wollen in den Fächern Herzig­keit und Begeis­te­rung.

Wenn zum Beispiel in der Welt ein Vater und eine Tochter gemeinsam über den neuen Harry Potter schreiben, natürlich nur begeis­ternd, dann ist es natur­gemäß der Vater, der den Kindern attes­tiert, dass »sie zu bedeu­tenden Gestal­tungen des Todes­be­wusst­seins griffen, ohne das Pubertät nicht gelingt«. Und es ist die Tochter, die altklug daher­redet, auf die »Antigone« des Sophokles kommt, weil sie in Tübingen »Inter­na­tio­nale Lite­ra­turen« studiert: »Die Radi­ka­lität der Ideen von Liebe, Tod und Gerech­tig­keit, die in Harry Potter aktua­li­siert werden, erschreckt und faszi­niert uns – uns, die wir hinein­ge­boren sind in eine Welt des Posti­dea­lismus. Die großen Theorien sind tot, und wir sind Kinder senti­men­taler, resi­gnierter Eltern. Harry Potter aber lesen wir, gerade wegen der Ideen.«

Das ist immerhin mal eine These. Jetzt wüssten wir nur noch gern, wie die junge Frau der »Entzau­be­rung der Welt« trotzen möchte und werden auf ihrer Seite stehen, wenn sie die Resi­gna­tion der Eltern durch etwas anderes ersetzen will – solange es dann aber bitte nicht gerade Harry Potter ist.

Sieben Bücher, acht Filme in zehn Jahren, 6.3 Milli­arden Dollar Umsatz bisher – mit Harry Potter und die Heilig­tümer des Todes – Teil 2.

1997 kam der erste »Harry Potter«-Band der briti­schen Autorin Joanne K. Rowling in Deutsch­land heraus: »Harry Potter und der Stein der Weisen«. Seitdem erschienen »Harry Potter und die Kammer des Schre­ckens«, »Harry Potter und der Gefangene von Askaban«, »Harry Potter und der Feuer­kelch«, »Harry Potter und der Orden des Phönix«, »Harry Potter und der Halb­blut­prinz«, »Harry Potter und die Heilig­tümer des Todes«. Der erste Band hatte 336 Seiten, der siebte 768. Immer größer, dicker, breiter, fetter.

Mit dem Erfolg dieser Bücher kam eine weltweite Renais­sance der Fantasy-Literatur: Die ganze Welt war plötzlich bevölkert von Vampiren, Werwölfen, Drachen, Engeln. Man durfte wieder... einfach sein. Und heute darf man Rowlings Bücher sogar mit Sophokles verglei­chen. Der Aufstieg der Fantasy seit den 1990er Jahren geht einher mit dem Aufstieg des Fern­se­hens als »Blöd-Maschine« (Georg Seeßlen).

Harry Potter und der Stein der Weisen kam vor zehn Jahren in die Kinos – zwei Jahre nach Matrix und kurz vor 9/11 – und hat wesent­li­chen Anteil an der Umformung des Kinos ins gegen­wär­tige »Fran­chi­sing«: Fantasy-Stoffe, die in erster Linie Kinder und Jugend­liche anspre­chen sollen; Geld, das – nicht weniger als mit Kino­karten – mit Compu­ter­spielen und Spiel­fi­guren verdient wird.

Häßlich­keits­ar­meen im Stile eines apoka­lyp­ti­schen Kriegs­films

Schon im ersten Teil des letzten Teils wurde der britische Zauber­lehr­ling zum Antifa-Kämpfer (siehe Harry Potter und der Anfang vom Ende). So geht es nun weiter – die Fans wird hier nichts mehr über­ra­schen, wie immer schon geht es in diesem Harry Potter darum, auf der Leinwand zuzu­gu­cken, wie die Ideen-Skizzen der Autorin fein säuber­lich ausgemalt werden.

Harry muss sterben lernen, wie alle guten Philo­so­phen, und wir ertragen eine Lite­ra­tur­ver­fil­mung, die als Kino enttäu­schend ist: Wie in jedem dummen X-belie­bigen Block­buster kämpfen zwei Armeen, wogt das Schicksal hin und her, und am Ende gewinnen die Guten. Das sieht schon gigan­to­ma­nisch und monu­mental aus, und ist gigan­to­ma­nisch unin­ter­es­sant.

Alles in grau­blau­fast­schwarz gemahnt an den Herr der Ringe mit seinen wüsten Häss­lich­keits­ar­meen, guten Stein­rit­tern, die in der lite­ra­ri­schen Vorlage gar nicht vorkommen, und bösen Voldemort-Männern. David Yates insze­nierte seine Abschluss­filme im Stile eines apoka­lyp­ti­schen Kriegs­films: Der durch die Hölle geht, Apoca­lypse Now.

Im Unter­schied zu diesen wird der Tod hier aller­dings als sinn­stif­tend verstanden. Er beendet die Terror­herr­schaft Volde­morts. Das ändert nichts daran, dass ganz Hogwarts am Schluss aussieht wie Berlin nach dem Ende des Zweiten Welt­kriegs. Alles hat seinen Preis, und nur wo die Gefahr groß ist, kann auch das Rettende seine Größe beweisen. Ein epischer Zusam­men­stoß von Gut und Böse, drama­tisch, emotional und roman­tisch.

Zugleich dominiert alles eine Sehnsucht nach dem Zauber­haften. Sehn­suchts­bilder, und zwar Anru­fungen des Mittel­al­ters briti­scher Färbung mit Gothic-Touch findet man hier und einen inter­es­sant-schil­lernden Schurken-Doppel­agenten, nicht gerade eine Shake­speare-Figur, aber gut: Severus Snape (Alan Rickman) enthüllt sein wahres Wesen immerhin am Ende in einer wahn­wit­zigen Montage, die nochmal bedauern lässt, dass er in allen Filmen zusammen insgesamt kaum mehr als zehn Minuten zu sehen ist.

Ansonsten wird Harry zu Herakles oder Luke Skywalker, das heißt ein messia­ni­scher Lang­weiler. Über­wie­gend sieht man hier also flache Handlung, viel Action, haufen­weise Kitsch, eindi­men­sio­nale Figuren und ein pseu­do­re­lo­giöses Spektakel. Rowling glaubt nicht an Gott, immerhin. Aber sie glaubt an Geister, an Kommu­ni­ka­tion mit Toten und ein Leben nach dem Tod. Es ist eine esote­ri­sche Welt voll unaus­ge­go­rener Gedanken.

Es ist auch eine Retrowelt, die die »Harry Potter«-Bücher in der Zauber­schule Hogwarts unserer Wirk­lich­keit gegenüber­stellen. Es gibt da allerlei Dinge, die längst aus der Mode geraten sind, wie Kutschen, Biblio­theken und Dampfloks. Was es dafür nicht gibt, ist Humor.

Seichter Trost

Lassen wir also doch einfach den Harry Potter im Dorf. Freuen wir uns an einem seichten Unter­hal­tungs­film, in den man nicht mehr hinein­in­ter­pre­tieren muss, als was er ist: Flucht und Trost in der anstren­genden Moderne, Revolte gegen die neue Unüber­sicht­lich­keit. Nicht mehr. That’s it.

Am Ende der Franchise, der Bücher wie der acht Filme, ist Harry Potter erwachsen geworden, so kann man jetzt aller­orten lesen. Mag sein. Aber was ist eigent­lich mit dem Kino geschehen? Das Kino, so glaubt man zu sehen, hat sich verzau­bern lassen, ist irgendwo am Bahnsteig 9 3/4 im Bahnhof King’s Cross abgebogen und zur Kinder­ver­an­stal­tung geworden. Und, was weitaus schlimmer ist, die Erwach­senen machen mit. Nothing is well.