Hannah – Ein buddhistischer Weg zur Freiheit

Hannah: Buddhism's Untold Journey

Großbritannien 2014 · 94 min. · FSK: ab 12
Regie: Marta György-Kessler, Adam Penny
Drehbuch: ,
Kamera: Guy Nisbett
Schnitt: Simon Barker, Hamish Lyons
Ole und Hannah (Nydahl) waren die Pioniere für die buddistische Bewegung im Westen.

Highsein mit Höhenflug

In unserer heutigen stress­ge­plagten Welt, die im uner­bitt­li­chen Takt der neoli­be­ralen Wirt­schafts­ord­nung schlägt, ist es kein Wunder, dass unser Bedürfnis nach Entschleu­ni­gung und spiri­tu­ellem Ausgleich steigt. Mindes­tens jeder zweite Kräu­tertee und Bade­zu­satz wirbt mit entspre­chenden Verheißungen. Und selbst die allzeit sprung­be­reiten Leis­tungs­träger unserer Gesell­schaft nehmen immer öfter an einem von der Firmen­lei­tung finan­zierten Acht­sam­keits­trai­ning teil.

Man kann sich fast nicht mehr vorstellen, dass dies alles auf den Frei­heits­drang einer beträcht­li­chen Zahl durch­ge­knallter Hippies zurück­geht. Da uns 2018 exakt ein halbes Jahr­hun­dert von den berühmt-berüch­tigten 1968ern trennt, ist dies ein guter Zeitpunkt zurück­zu­bli­cken und einige der damaligen Prot­ago­nisten genauer unter die Lupe zu nehmen. Dies tut jetzt auch der doku­men­ta­ri­sche Hannah – Ein buddhis­ti­scher Weg zur Freiheit. Die Filme­ma­cher Marta György-Kessler und Adam Penny folgen darin der Spur der beiden dänischen Studenten Ole und Hannah Nydahl, die sich 1968 frisch verhei­ratet im Zeichen der Bewusst­seins­er­wei­te­rung von Kopen­hagen nach Kathmandu aufmachten und von dort aus den tibe­ti­schen Buddhismus in die west­li­chen Welt zurück­brachten.

In Kathmandu lernen die Nydahls 1969 bei einer zweiten Reise den 16. Karmapa – das Oberhaupt der Karma Kagyü Linie des Tibe­ti­schen Buddhismus – kennen und werden dessen erste wichtige westliche Schüler. Nach drei Jahren inten­siver Ausbil­dung schickt der Karmapa Hannah und Ole vom hohen Himalaja ins kleine Dänemark zurück, um den Buddhismus im Westen zu verbreiten. Heute gibt es in der ganzen Welt schon fast 700 Zentren des Diamantweg-Buddhismus, was auf die fleißige Verbrei­tung der Lehre durch die ersten west­li­chen Schüler zurück­zu­führen ist. So weit, so bekannt.

Aber war da nicht noch was?

Nun, laut Wikipedia – aber dies kommt im Film nicht vor – hatten die beiden Dänen in der Anfangs­phase ihrer spiri­tu­ellen Suche noch ein Neben­ge­schäft mit bewusst­seins­er­wei­ternden Substanzen betrieben und wurden deshalb 1970 wegen Drogen­schmug­gels fest­ge­nommen. Schade, dass diese kleinen und auch zeit­geis­tigen Details in Hannah fehlen – das Gesamt­bilds hätte dies schön berei­chern können.

Regis­seurin Marta György-Kessler, die mit Hannah ihren ersten Film vorlegt, ist selbst Diamantweg-Buddhismus-Prak­ti­zie­rende und eine Nydahl-Vertraute. Viel­leicht, um das Image der reli­giösen Lehre nicht zu beschä­digen, begnügt sich der Film an solchen Stellen lieber mit ein paar Andeu­tungen zu frühen Drogen­ex­pe­ri­menten, die die ernst­hafte Suche nach Bewusst­seins­er­wei­te­rung einlei­teten. Heraus­ge­kommen ist ein hand­werk­lich einwand­freier, emotional mitreißender und auch als Zeit­do­ku­ment inter­es­santer Film – der jedoch immer wieder das Gefühl aufkommen lässt, hier sei die äußerst inter­es­sante Lebens­ge­schichte von Hannah und Ole zu sehr geglättet worden.

Hannah – Ein buddhis­ti­scher Weg zur Freiheit nimmt auch filmisch betrachtet den unstei­nigen Weg. Alte Archiv­auf­nahmen, einzelne nach­ge­stellte Szenen und die im Doku­men­tar­film beliebten »talking heads« zeigen grund­so­lides Handwerk, das sich filmische Expe­ri­mente wie das Erwähnen der Drogen­ex­pe­ri­mente untersagt. Allemal technisch versiert sind der flüssige Schnitt und das gezielte Akzente setzende Sound­de­sign, eher gefällig hingegen das Inein­an­der­blenden des verblassten Archiv­ma­te­rials und der passend farb­entsät­tigten neueren Aufnahmen. Ein bisschen Inspi­ra­tion hätte hier gut getan. Auf inhalt­li­cher Ebene sei anzu­merken, dass ausschließ­lich treue Wegbe­gleiter der beiden west­li­chen buddhis­ti­schen Pioniere zu Worte kommen.

Das uner­müd­liche Enga­ge­ment von Hannah, das als eine mögliche Mitur­sache für ihren recht früh­zei­tigen Tod genannt wird, ist der einzige heraus­ge­ho­bene Kritik­punkt des Biopics – eigent­lich aber versteckt sich hier natürlich ein bewun­derndes Kompli­ment.

Mit Szenen, die eine erste buddhis­ti­sche Versamm­lung unter der strengen Aufsicht durch staat­liche Sicher­heits­kräfte in Polen zeigt, verleihen Hannah – Ein buddhis­ti­scher Weg zur Freiheit – oft spannende Seiten, und trotz aller vorge­brachten Kritik ist daraus ein insgesamt durchaus sympa­thi­scher Film geworden.

+ + +

Nachtrag:

Der Buddhismus, der in diesem Film »erstmalig in den Westen verbreitet wird« – also die Karma-Kagyü-Linie des Tibe­ti­schen Buddhismus – ist eine der vier großen Schulen der Kagyü-Schule, die wiederum eine der vier Haupt­schulen des Tibe­ti­schen Buddhismus darstellt und zu welcher beispiels­weise der Dalai Lama nicht gehört. Jener wohl berühm­teste Buddhist der Welt zählt zur Gelug-Schule des Tibe­ti­schen Buddhismus. Doch da der Dalai Lama als ein Vertreter der soge­nannten Rime-Bewegung selbst nicht so viel von dieser Sektie­rerei hält, weihte er höchst­per­sön­lich 1973 das erste von Ole Nydahl in Kopen­hagen gegrün­dete Medi­ta­ti­ons­zen­trum ein. Schade, dass auch dies im Film nicht erwähnt wird. Auch dies gehört zu den »Klei­nig­keiten«, deren Auslas­sung leider eher gezielt als zufällig erscheint.

Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass der Buddhismus selbst­ver­s­tänd­lich auch noch in Ländern wie China und Japan existiert – und dass die von dort stam­menden Schulen teilweise schon wesent­lich länger und weiter im Westen verbreitet sind, als der auch als »Ole-Nydahl-Buddhismus« bekannte Diamantweg-Buddhismus. So geht die erst­ma­lige Verbrei­tung des Buddhismus in Deutsch­land nicht auf den abge­bro­chenen Dokto­randen Ole Nydahl, sondern auf den deutschen Philo­so­phen Arthur Scho­pen­hauer zurück. Dieser schrieb: »Buddha, Eckhard und ich lehren im Wesent­li­chen das Selbe, Eckhard in den Fessel seiner christ­li­chen Mytho­logie. Im Buddhaismus liegen dieselben Gedanken, unver­küm­mert durch solche Mytho­logie, daher einfach und klar, soweit eine Religion klar seyn kann.«

Scho­pen­hauer bezog sich aller­dings nicht auf irgend­einen Buddhismus tibe­ti­scher Prägung, sondern auf den aus Japan stam­menden Zen-Buddhismus. Während auch jener mitt­ler­weile im Westen allgemein sehr bekannt ist, ist heute in Japan die den Nichiren-Buddhismus prak­ti­zie­rende Soka Gakkai die größte Glau­bens­ge­mein­schaft des Landes – und zudem ebenfalls in über 190 Ländern auf der ganzen Welt anzu­treffen. Diese wenigen Beispiele zeigen sehr deutlich, dass Hannah und Ole Nydahl in Wirk­lich­keit nicht erstmalig »den« Buddhismus im Westen verbreitet haben, sondern lediglich den Diamantweg-Buddhismus – was selbst­ver­s­tänd­lich ebenfalls eine bemer­kens­werte Leistung darstellt.