Grigris' Glück

Grigris

Tschad/Frankreich 2013 · 95 min.
Regie: Mahamat-Saleh Haroun
Drehbuch:
Kamera: Antoine Héberlé
Darsteller: Souleymane Démé, Anaïs Monory, Cyril Guei, Marius Yelolo, Hadjé Fatimé N'Goua u.a.
Verführerischer Seventies-Look

Der Tänzer und die Hure

In dem zentral­afri­ka­ni­schen Tschad leben achtzig Prozent der Bevöl­ke­rung in bitterster Armut. Auf dem Human Deve­lop­ment Index der UNO liegt der Tschad unter 187 Staaten an 184. Stelle. Amnesty Inter­na­tional berichtet von Kinder­sol­daten, Kinder­ar­beit und Kinder­handel, Über­griffe auf Menschen mit abwei­chender sexueller Orien­tie­rung, Verge­wal­ti­gung von Frauen, Angriffe durch bewaff­nete Banden, Einschüch­te­rung von Jour­na­listen, Folterung poli­ti­scher Gegner, Verschlep­pung und Ermordung von Zivi­listen und Mitar­bei­tern humaner Hilfs­or­ga­ni­sa­tionen. – Ein Paradies sieht sicher­lich anders aus.

Die Haupt­stadt N'Djarmena besitzt in etwa so viele Einwohner wie Köln. Auf Wikipedia steht der lapidare Satz: »Die Sehens­wür­dig­keiten der Stadt sind das Museum und die Altstadt.« Hier steht auch das einzige kommer­zi­elle Kino des Landes. Profes­sio­nelle Schau­spieler gibt es im Tschad bisher keine. So verwun­dert es nicht, dass Mahamat-Saleh Haroun, der bekann­teste Filme­ma­cher aus dem Tschad – dessen Filme auch in diesem Land spielen – seit langer Zeit in Paris wohnt.

Bereits die letzten beiden Spiel­filme von Mahamat-Saleh Haroun waren bei uns im Kino zu sehen. Jetzt kommt nach Trocken­zeit (2006) und Ein Mann der schreit (2010) auch sein neuer Film Grigris' Glück in die deutschen Licht­spiel­häuser. Im Gegensatz zu den beiden vorher­ge­henden ruhigen Dramen ist Grigris recht schwung­voll und mit Genre­ele­menten ange­rei­chert. Der Schwung kommt besonders dann in den Film hinein, wenn der bei Tag stark lahmende Grigris (Souley­mane Démé) bei Nacht vom Krüppel zum besten Tänzer von N'Djarmenas mutiert.

Allein mitzu­er­leben, wie der schlak­sige Typ mit dem zu langen Ober­körper und dem lahmenden Bein die wildesten Tanz­ein­lagen aufs Parkett legt, macht den Film bereits sehens­wert. Diese Szenen bringen einen Hauch von Saturday Night Fever in eine Welt, deren extreme Armut ansonsten in jedes Bild des Films einge­schrieben ist. Bei Tag arbeitet Grigris im Foto­studio seines Stief­va­ters. Als er dort eines Tages Bewer­bungs­fotos für die schöne Mimi machen soll, muss Grigris zuerst draußen einen knat­ternden Generator anschmeißen, damit er in seinem Studio die Beleuch­tung anmachen kann. Mimi (Anaïs Monory) ist eine Hure und wäre gerne ein Modell oder gar eine Schau­spie­lerin.

Grigris kann wenigs­tens bei Nacht machen, was er wirklich mag. Aber als sein Stief­vater erkrankt und die Mutter die hohen Kran­ken­haus­rech­nungen nicht mehr zahlen kann, droht auch sein beschei­denes Glück zusam­men­zu­bre­chen. Um das Geld für den Stief­vater, den Grigris wie seinen eigenen Vater liebt, zusam­men­zu­be­kommen, lässt Grigris sich mit einer Bande von Benzin­schmugg­lern ein. Dabei geht von Anfang an Einiges schief. Zugleich kommen Grigris und Mimi sich näher. Es ist jedoch unklar, ob die Frau, die sich bisher von Männern mit Geld hat aushalten lassen, zu einem Wandel ihres Lebens bereit ist.

Grigris' Glück ist ein Film, der sich – ähnlich wie sein hinkender, schlak­siger Prot­ago­nist – nicht sofort mit großen Gesten dem Zuschauer aufdrängt, dessen Charme man sich auf die Dauer jedoch nur schwer entziehen kann. Mahamat-Saleh Haroun gelingt es, in seinem neuesten Werk eine Reihe schein­barer Gegen­sätze äußerst fein austa­riert zusam­men­zu­bringen. Der Film ist zunächst eine eher gemäch­liche Sozi­al­studie aus dem Herzen Afrikas, wie sie ein europäi­sches Arthouse-Publikum bei solch einer Produk­tion wahr­schein­lich erwartet. Bereits die nächt­li­chen Tanz­szenen zeigen jedoch, dass die Menschen hier sich trotz ihrer Armut nicht ihre ganze Lebens­freude nehmen lassen.

Im weiteren Verlauf der Handlung ziehen die Geschwin­dig­keit und die Spannung des Films fast unmerk­lich, aber unauf­hör­lich an. Aus einem Drama wird ein Thriller. Zu einem Genrefilm passt auch, dass die Charak­tere nicht sehr vertieft werden, sondern eher Typen bleiben. Mimi erscheint fast als klas­si­sche verruchte Femme fatale und Grigris als der gute Kerl, der sich nur mit den falschen Leuten einlässt. Ganz so einfach ist die Sache aber doch nicht. Es gibt inmitten der klischee­haft wirkenden Geschichte immer wieder leichte Brüche. Die Tatsache, dass die Darsteller von Grigris und Mimi in diesem Film zum ersten Mal vor der Kamera stehen, verstärkt zudem den realis­ti­schen Gesamt­ein­druck des Films, während die Geschichte sich zugleich immer mehr in ein Märchen verwan­delt.

Das Ganze gipfelt in einer Szene von großer Bruta­lität und Poesie. Alles erscheint richtig und falsch zugleich. Aber unter den hier herr­schenden Bedin­gungen ein zucker­süßes Happy End zu erwarten, wäre wohl doch ein wenig naiv. Mahamat-Saleh Haroun zeigt sich als ein Virtuose inmitten der Beschrän­kung, als ein Lein­wand­poet, der mit geringen Mitteln bezau­bernd Schönes schaffen kann. – Als Mimi sich die von Grigris gemachten Fotos anguckt, ruft sie voller Erstauen und Freude aus, dass sie darauf ja richtig schön aussehe. Als sie Grigris fragt, wie er das gemacht habe – man erinnere sich an dieser Stelle an den knat­ternden Generator – lächelt der mit einer Mischung aus Verle­gen­heit und heim­li­chen Stolz. – Man meint hier auch Mahamat-Saleh Haroun lächeln zu sehen.