Australien/USA 2013 · 142 min. · FSK: ab 12 Regie: Baz Luhrmann Drehbuchvorlage: F. Scott Fitzgerald Drehbuch: Baz Luhrmann, Craig Pearce Kamera: Simon Duggan Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Isla Fisher, Jason Clarke, Carey Mulligan, Joel Edgerton u.a. |
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Großes, emotionales Schauspielerkino |
Ein Mann reitet, von hinten gefilmt, in der Mitte einer barocken Parkanlage, auf eine schlossartige Villa zu und schlägt in vollem Galopp einen Ball mit seinem Poloschläger ins Weite. Dann springt er vom Pferd und stürmt in das Haus, wo ihn zwei Diener schon erwarten und alle Türen vor ihm aufreißen. Eine fließende, stürmende Bewegung aus einem Guss, welche diesen Mann und seine manische Vitalität in weniger als einer Minute perfekt charakterisieren. Es ist Tom Buchanan, ein schwerreicher Snob und Schürzenjäger, der Gegenspieler des eigentlichen Protagonisten Gatsby. Diese Szene ist nur eine von zahllosen kleinen Meisterpartikeln, die den Film zu einem funkelnden, prickelnden ästhetischen Hochgenuss machen. Zu einem unglaublich ausgefeilt-verspielten und andererseits wuchtigen Bild- und Gefühlshammer von Baz Luhrmann.
Aus der Sicht Nick Carraways, eines kleinen New Yorker Börsen-Brokers in den noch wirtschaftlich hoffnungsvollen 20er-Jahren, der eigentlich Schriftsteller sein will, wird die tragische Geschichte Jay Gatsbys erzählt – die Geschichte eines Mannes, der, aus kleinsten Verhältnissen stammend, einem grandiosen Selbstentwurf hinterherjagt, um alles Glück der Welt einzufangen. Der unscheinbare, naive Carraway (perfekt verkörpert von Tobey Maguire mit seinem staunenden Kinderblick) stolpert arglos in dieses große Drama, weil er zufällig neben der Schlossvilla Gatsbys wohnt und zufällig ein Cousin von Daisy Buchanan, der Frau, die dieser zurückerobern will, ist. Carraways Blick auf Gatsby ist bewundernd, ja hingerissen, und so gibt er die Hauptperspektive vor, die aus dem unbedeutenden sozialen Aufsteiger mit den omnipotenten Traumphantasien den „großen“ Gatsby macht. In einem psychiatrischen Sanatorium schreibt er auf Anregung des Arztes die Biographie dieses Mannes.
Der titelgebende Protagonist wird erst relativ spät eingeführt. Dramaturgisch geschickt wird die Spannung aufgebaut – wir sehen ihn am Fenster, wir sehen ihn von hinten am Bootssteg – bis er auf einer seiner opulenten Partyorgien endlich mit einem breiten Lächeln erscheint und Carraway in seinen Bann zieht. Leonardo DiCaprio darf hier die Rolle weiterspielen, die er beim Untergang der Titanic so überzeugend verkörperte: der mittellose Träumer, der mit seiner grenzenlosen romantischen Phantasie die Frau seines Herzens erobert. Sein inzwischen etwas reiferes, immer noch glattes, schönes Gesicht ist die ideale Projektionsfläche dafür und passt damit auch gut zur Romanvorlage, vielleicht sogar besser als der tiefsinnigere, geheimnisvollere Robert Redford der bisher bekanntesten Verfilmung. Denn Gatsby ist letztlich ein skrupelloser, über Leichen gehender, amoralischer Neureicher, der alle Beziehungen und Geschäfte seinen glanzvollen Zielen unterordnet. So ist er die Verkörperung des amerikanischen Self-made man, des Aufsteigers, mit einem großen Unterschied: er ist eben auch ein grandioser Romantiker.
Die Frau seiner Träume, Daisy Buchanan, wird gespielt von der wunderbaren Carey Mulligan, die in die 20er-Jahre-Welt mit ihren Hüten und feinen Stoffen eintaucht, als wäre es ihre Zeit. Sie muss bei Baz Luhrmann (im Gegensatz zum Roman – Verzeihung Scott) keine oberflächliche Pute spielen, sondern darf eine intelligente, ambivalente, schöne Frau darstellen, die zwischen zwei Männern hin und hergerissen ist – einerseits überwältigt von Gatsbys monumentalem Liebeswerben und am Ende doch irritiert und zweifelnd, wer dieser Mann eigentlich ist, der ihr sicheres langweiliges Leben so durcheinanderwirbelt und ins unberechenbare Chaos zu ziehen droht. Daisy lässt sich zwar auch von Gatsbys Reichtum und seinem neureichen Lebensstil (riesige Partys, Golfen im Meer) beeindrucken, aber vor allem verliebt sie sich in seine Liebe zu ihr, in sein Idealbild von ihr, was sie meilenweit heraushebt aus ihrem faden und routinierten Eheleben und sie an ihre frischen Jugendträume anknüpfen lässt. The power of love.
Tom Buchanan verkörpert die alte Reichtumsgesellschaft, die in ihrem selbstverständlichen, Generationen übergreifenden Snobismus bedroht ist, überholt zu werden von den Gewinnern der Börse und der Kriminalität. Buchanan (Joel Edgerton) bietet mit seiner macho-primitiven Männlichkeit einen starken Widerpart zu der eher jungenhaften Eleganz Gatsbys. So wird aus dem gesellschaftlichen Kampf zwischen Aufsteiger und Establishment auch ein Kampf zweier unterschiedlicher Männertypen um eine Frau. Witzig ist, wie sich Buchanan gegen den rollenden Zeitgeist stemmt und dagegen verwahrt, nur als „der Polospieler“ bezeichnet zu werden, was seinem gesellschaftlichen Selbstverständnis natürlich nicht entspricht. Er verfügt aber, bei aller Lächerlichkeit und Liederlichkeit, in der er gezeigt wird, über genügend Machtinstinkt, um Gatsby als Gegner zu erkennen und mit allen Waffen, die er zur Verfügung hat, zu bekämpfen und zur Strecke zu bringen.
Der Film – und das ist seine wirklich außergewöhnliche und nicht hoch genug zu bewertende Leistung – blättert in fast jeder noch so kurzen Szene Folien auf, die auf dahinter liegende Geschichten, Symbole und Themen verweisen, die es auch wert gewesen wären, zu erzählen und anzuschauen. Ein Beispiel: Auf der wilden Autofahrt nach New York überholen Gatsby und Daisy eine Luxuskarosse, in der – in Zeitlupe gefilmt – eine kleine Party stattzufinden scheint, allerdings in Umkehrung der alten Slavenhaltergesellschaft eine Party von Schwarzen, gefahren von einem alten weißen Chauffeur. In einem Augenblick eingefangen: ein Spot auf die sich verändernden Gesellschaftsverhältnisse. Die atemberaubende Geschwindigkeit der Kamerafahrten und Einstellungswechsel vermittelt dem Zuschauer hier nicht, wie in so vielen Actionfilmen üblich, nur Rasanz, sondern entwirft ein Kaleidoskop einer brodelnden, ins Tempo und den Luxus verliebten, aber auch ökonomisch und ethnisch tief gespaltenen Gesellschaft der Moderne. Rasende Autofahrten, aus dem Himmel fallende Stadtansichten, verrückt und überschäumend choreographierte Tanz- und Partyorgien wechseln mit kurzen Bildern von industrieller Tristesse, Armut und Fron, oder von einem surreal auf einem Dach postierten schwarzen Jazztrompeter. Überhaupt die Musik: in einem faszinierenden Crossover aller Stilrichtungen von Gershwin bis Rap und Popballade verbindet Craig Armstrong in traumhafter Sicherheit die Bilder zu einem rauschhaften Gesamtkunstwerk. Und doch schafft es Baz Luhrmann im zweiten Teil des Films sich von der überbordenden Fülle an Themen und Tänzen zu verabschieden und sich ganz und gar auf den Showdown der großen Gefühle zu konzentrieren. Mit ruhigen Bildern erzählt und von emotionalen Songs untermalt nimmt die Tragödie ihren Lauf. Im Herzstück des Dramas, der Wiederbegegnung von Daisy und Jay, können Mulligan und DiCaprio alle Gefühle der neu berauschten Liebe und der Hoffnung auf ein gemeinsames Lebensglück überzeugend ausspielen, bevor die Liebenden die Realität unbarmherzig einholt, sich der unterdrückte Zorn und die Ungeduld Gatsbys destruktiv Bahn brechen und sich die Warnung Carraways, man könne die Vergangenheit nicht wiederholen, bewahrheitet.
Trotz aller filmischen Einfälle, rauschhafter Bilder, wogender Musik, opulenter Kostüme und künstlicher Tableaus behält Luhrmann den Kern seiner zeitlosen Geschichte, die überwältigende Sehnsucht eines jungen Mannes nach Glück und Liebe, stets im Auge und ermöglicht dem Ensemble großes, emotionales Schauspielerkino.