Große Freiheit

Österreich/Deutschland 2021 · 116 min. · FSK: ab 16
Regie: Sebastian Meise
Drehbuch: ,
Kamera: Crystel Fournier
Darsteller: Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke, Thomas Prenn, Ulrich Faßnacht u.a.
Ein Hauch von Zärtlichkeit
(Foto: Piffl Medien)

Liebe im Abseits

Sebastians Meises Große Freiheit funktioniert als bedrückendes Zeitdokument, das gleichzeitig verdeutlicht, dass man auch in tiefster Finsternis noch Licht in einem anderen Menschen finden kann

Nach dem Krieg ging es bergauf? Für Homo­se­xu­elle war der gesell­schaft­liche Platz für über zwanzig Jahre weiterhin ganz unten. Der öster­rei­chi­sche Regisseur Sebastian Meise stellt zehn Jahre nach seinem Spiel­film­debüt Still­leben (2011) über einen unter­drückt lebenden pädo­philen Vater in Große Freiheit das verdeckte Leben Homo­se­xu­eller mit dunklen Bildern dar – lässt aber auch Platz für Sonnen­strahlen, die hin und wieder durch das Gitter scheinen.

Dieses Kapitel aus der Geschichte der BRD ist heute fast aus den Köpfen verschwunden. Nichts­des­to­trotz ist man scho­ckiert, wenn man es wieder aufschlägt. Noch bis 1969 wurden Homo­se­xu­elle in Deutsch­land mit dem Para­grafen 175 straf­recht­lich verfolgt, konnten sogar mit Gefängnis bestraft werden. So ergeht es auch Hans Hoffmann (Franz Rogowski), der als »Wieder­ho­lungs­täter« bereits zum dritten Mal in den Knast gesteckt wird. Dies ist aller­dings auch der Ort, an dem er das erste Mal auf Viktor (Georg Friedrich) trifft, der in seinem Leben von nun an eine wichtige Rolle spielen wird.

Sebastian Meise erzählt mit seinem zweiten Spielfilm eine Geschichte, wie sie sich damals unzählige Male zuge­tragen haben kann. Dabei verzichtet er bewusst auf melo­dra­ma­ti­sche Elemente. Eine queere Love Story kann man hier genauso wenig erwarten wie eine Jean-Genet-Fantasie. Trotzdem ist sein Film hautnah an den Figuren und erzeugt seine Emotio­na­lität gerade aus dem weit­ge­henden Fehlen von Licht­bli­cken.

Meise erzählt diese Geschichte auf drei Zeit­ebenen, von denen die früheste ins Jahr 1945 zurück­reicht. Von der »Befreiung« Deutsch­lands hat Hans nicht gerade viel. Vom Konzen­tra­ti­ons­lager geht es direkt hinter die Gitter der jungen Bundes­re­pu­blik. Viktor lernt er hier als Zellen­ge­nossen kennen, der jedoch gleich klarmacht, wie sehr es ihm wider­strebt, mit einem solchen »Perversen« auf engstem Raum leben zu müssen. Als er jedoch dessen KZ-Täto­wie­rung entdeckt, kommt doch Mitleid für den schweig­samen jungen Mann in ihm auf und er bietet an, die schad­hafte Nummer zu über­ste­chen. Nach der ersten persön­li­chen Annähe­rung kommt es so auch zum direkten Körper­kon­takt. Diese Szenen der Intimität, die im Film immer wieder die brutale Tristesse unter­bre­chen, insze­niert Sebastian Meise aus nächster Nähe. Wie unter einem Mikroskop richtet sich so die ganze Aufmerk­sam­keit auf die Körper­lich­keit der Figuren. Ein Hauch von Erotik und Zärt­lich­keit kommt so immer wieder zum Tragen, ist jedoch nie ganz zu fassen. Den gesamten Film durch wird es nicht klar, wie Hans und Viktor nun eigent­lich zuein­an­der­stehen. Die Grenze zwischen Freund­schaft und Liebe verschiebt sich milli­me­ter­weise in beide Rich­tungen, eine klare Aussage lässt sich nur schwer treffen. Zumal die einzige wirklich sexuelle Handlung lediglich das Ergebnis eines Tausch­ge­schäfts ist.

In den Fünf­zi­ger­jahren begegnen sich die beiden wieder. Hans ist gemeinsam mit seinem Partner Oskar (Thomas Prenn) einge­lie­fert worden, der wirklich wie ein Schatten zwischen ihm und Viktor zu schweben scheint. Die Geschichte endet jedoch tragisch, was die Leidens­ge­nossen aber nur noch stärker zusam­men­schweißt. Hier muss man sagen, dass die verbotene Liebe zwischen Hans und Oskar ein gewisses Holpern in die Geschichte bringt. Überhaupt ist das Straffen der Story über mehrere Dekaden viel­leicht ein gutes Mittel, um die histo­ri­schen Zustände zu verdeut­li­chen, ihre Konti­nuität geht dadurch aber ein Stück weit verloren. Das ist so weit jedoch der einzige Schnitzer, den man Große Freiheit anrechnen kann.

Die dritte Zeitebene, welche auch die Rahmen­hand­lung darstellt, spielt schließ­lich im Jahr der Frei­las­sung. Hans hat sich bereits mit den zeit­weisen Gefäng­nis­auf­ent­halten abge­funden, selbst die Dunkel­haft ist im Grunde keine große Sache mehr. Viktor hingegen steht vor seiner dritten Anhörung, die ihm den vorzei­tigen Weg in die Freiheit ebnen könnte. Während der langen Zeit hat er aller­dings nicht nur im Täto­wieren eine will­kom­mene Abwechs­lung gefunden, sondern auch im Heroin. Während der emotio­nalen Zuspit­zung der Handlung tut sich auch eine ganz grund­le­gende Frage auf: Können die zwei gebro­chenen Männer überhaupt mit der Freiheit umgehen, die sie da draußen erwartet? Sind sie nicht auf ewig gezeich­nete Charak­tere, die das Leben nie voll ausschöpfen können? Im Fall von Hans hat sich die gesell­schaft­liche Ächtung auch nicht mit dem Verschwinden des Para­grafen 175 erledigt, Viktor hingegen kennt das Post-Nazi-Deutsch­land höchstens aus der Zeitung. Und außerdem, was fängt man nun mit dem lebens­wich­tigen Band an, das hinter Gittern geknüpft wurde? Große Freiheit funk­tio­niert als bedrü­ckendes Zeit­do­ku­ment, das gleich­zeitig verdeut­licht, dass man auch in tiefster Fins­ternis noch Licht in einem anderen Menschen finden kann. Und außerdem als beein­dru­ckendes Schau­spieler-Kino mit zwei hervor­ra­genden Haupt­dar­stel­lern.