Glück ist was für Weicheier

Deutschland 2018 · 96 min. · FSK: ab 12
Regie: Anca Miruna Lazarescu
Drehbuch:
Kamera: Christian Stangassinger
Darsteller: Ella Frey, Emilia Bernsdorf, Tim Dieck, Martin Wuttke, Antonia Fulss u.a.
Intime Kamera, zärtliche Empathie

Abschied vom Ich und Wir

Filme über Sterben und Tod verankern sich viel­leicht auch deshalb so gut im Gedächtnis, weil sie an einem der größten Tabus unserer west­li­chen Gesell­schaft rütteln – dem Aner­kennen unserer eigenen Sterb­lich­keit. Gleich­zeitig zeigen die dabei entste­henden Gefühle und Einsichten auch, wie komplex Sterben und der Umgang damit sein kann. Allein schon Filme über das Sterben junger Menschen wie Starke Mädchen weinen nicht, Das Schicksal ist ein mieser Verräter oder The Broken Circle eröffnen nicht nur völlig über­ra­schende Diskurse, sondern weichen auch die ansonsten deutlich abge­steckten Grenzen zwischen Kinder-, Jugend- und Erwach­se­nen­film auf.

Auch Anca Miruna Lăză­rescus nach Die Reise mit Vater (2016) zweiter Film Glück ist was für Weicheier gehört zu diesen Filmen, denen man sich nicht nur erwach­sene Zuschauer wünscht, sondern auch ein jugend­li­ches Publikum. Denn Lăzărescu wählt für ihre Geschichte die Perspek­tive der 12-jährige Jessica (Ella Frey), ein Mädchen, das nicht nur sprich­wört­lich zwischen Leben und Tod steht. Zum einen hat sie ihren Vater Stefan (Martin Wuttke) an ihrer Seite, der nicht nur als Bade­meister arbeitet, sondern auch ehren­amt­lich als Seel­sorger auf einer Pallia­tiv­sta­tion arbeitet, um damit den Tod seiner Frau, Jessicas Mutter, aufzu­ar­beiten. Zum anderen betreut sie ihre ältere Schwester Sabrina (Emilia Bernsdorf), die inzwi­schen so stark durch eine Lungen­krank­heit in Mitlei­den­schaft gezogen ist, dass sie das Haus nicht mehr alleine verlassen kann. Doch als ob das noch nicht genug ist, hat Jessica auch noch mit ihrer Peer-Group zu kämpfen, die sie wegen ihres burschi­kosen Auftre­tens und jungen­haften Aussehens ausschließt.

Lăzărescu begleitet Jessica mit einer intimen Kamera in ihrem Alltag in einer deutschen Klein­stadt, fixiert die neuro­ti­schen Ticks, die Jessica entwi­ckelt, um mit den Anfor­de­rungen besser umzugehen, und zeigt mit zärt­li­cher Empathie, wie diese Ticks zu einem weiteren Monstrum in ihrem Leben mutieren. Ähnlich intensiv und fast doku­men­ta­risch geraten Lăzărescu die Porträts des Vaters und der ster­benden Schwester, die alle auf ihre Weise mit Tod und Sterben umgehen lernen und dabei ihre eigene Coming-of-Age-Geschichte mitschreiben.

Auch schau­spie­le­risch überzeugt die Darstel­lung dieser Lebens­li­nien, weil hier das Gleich­ge­wicht zwischen einem subtilen Humor und bitterem Ernst, den Lăză­rescus konse­quent vorgibt, gehalten wird. Dieses souveräne Gleich­ge­wicht geht aller­dings dann verloren, wenn Lăzărescu sich von ihren Haupt­dar­stel­lern entfernt und kleine Seiten­ge­schi­chen erzählt, die als Antipode zu den „schweren“ Themen gedacht sind. Glück ist was für Weicheier will dann mehr Komödie sein, als es dem Film gut tut – etwa bei der nur schwer nach­voll­zieh­baren Szene, in der Stefan sich auf ein Abend­essen mit der Seelsorge-Verant­wort­li­chen einläßt, bei der abstrusen Darstel­lung des Kinder­the­ra­peuten oder der ebenfalls aufge­setzt wirkenden Verliebt­heit von Jessica in einen älteren Mitschüler.

Doch trotz dieser nur schwer nach­voll­zieh­baren Ausflüge in die deutsche Komö­di­en­alb­traum­land­schaft ist die Kern­ge­schichte von Glück ist was für Weicheier stark genug, um am Ende zu über­zeugen. Nicht nur weil sich Lăzărescu wieder subti­leren Spiel­arten des Humors zuwendet, sondern auch weil sie dem Tod dann doch bereit ist ins Auge zu schauen und über­zeu­gend zeigt, dass auch jugend­li­chen Menschen mehr zugemutet werden kann, als es in unserer arg behüteten Erzie­hungs­land­schaft allgemein üblich ist.