USA 2017 · 104 min. · FSK: ab 16 Regie: Jordan Peele Drehbuch: Jordan Peele Kamera: Toby Oliver Darsteller: Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford, Caleb Landry Jones u.a. |
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»Black is in fashion!« |
Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Gerade erst hatte uns der Geist von James Baldwin von seinem Horror vor den weißen Bestien erzählt, gesehen mit den Augen von Raoul Peck in I Am Not Your Negro, schon lernen die Monster zu Laufen. Oder andersherum: Schon wird die Realität fiktionalisiert. Realität? Ganz recht. Denn die Angst, die ein Individuum als Teil einer Minderheit und also als Angst angesichts einer Mehrheitsgesellschaft erlebt, ist Realität. Der Satiriker Jordan Peele kennt sie, die Angst, von der er in Get Out erzählt. Es ist die Angst, für die das Kino bislang keine Augen hatte. Ganz konsequent hat Peele aus diesem fürchterlichen Gefühl einen Horrorfilm gemacht.
Dabei manifestiert sich das Gefühl weniger über die Intensität, mit der uns die Leinwand in Angst hüllt, als über die Relevanz, auf die Get Out baut, und die der Film wie auf einer zweiten Bewusstseinsebene oder auf einer Parallelspur die ganze Zeit mitdenkt. Get Out ist ein Film–Film. Aus dem Blickwinkel der Filmgeschichte betrachtet, liest sich die Handlung ungefähr so: Ein Subjekt–Switch samt komplettem Seitenwechsel der Perspektive zeigt eine bislang unsichtbar gebliebene, nicht weiß gewaschene, Realität, die manch Kinogänger möglicherweise als Schock erlebt. Ironischerweise ist das vordergründige Gefühl, das diese Wendung transportiert, weniger eines der Angst, denn einer sardonischen Freude und verschmitzten Spannung. Get Out macht so richtig Spaß.
Black is in fashion. Ein Satz, den der junge Fotograf Chris auf einer Gartenparty der Eltern seiner neuen Freundin Rose zu hören bekommt. Eine sehr reiche und elitäre weiße Gesellschaft ist es, die sich da für ihn, den stillen, schwarzen, Freund aus der Stadt interessiert. Chris lässt derlei übergriffige Bekundungen ganz stoisch über sich ergehen. Man kennt diesen subtilen Rassismus schließlich, und die Eltern geben sich alle Mühe, seinem Unbehagen mit Herzlichkeit zu begegnen. Man habe ja auch für Obama gewählt... aber die beiden schwarzen Bediensteten, die wie sediert oder gehirnamputiert wirken, lassen Chris stutzig werden. Irgendetwas stimmt hier nicht.
Oder ist Chris nur paranoid? Sicher nicht, denken wir, die zu viel Wissenden. Du bist gekommen, um deine Kinohaut, und die all deiner gefallenen Vorgänger, aus der Falle, in die du hier geraten bist, zu befreien. Du holst Duane Jones, der 1968 der Night of the Living Dead zum Opfer fiel, ebenso raus wie Nick Cannon und Ving Rhames, die vierzig Jahre später, 2008, an den Day Of The Dead glauben mussten. Du verlässt dabei den Kinosaal der Blaxploitation–Demütigungen eines Blacula (William Crain, 1972),, der der Saal der Exotisierung zum Alien–Wesen ist, vor der auch Stars wie Grace Jones nicht gefeit waren (vamp, Richard Wenk 1986). Typen wie Ice Cube (Anaconda, 1997) oder LL Cool J (Halloween H20: Twenty Years Later, 1998) konnte man zwar nicht sterben lassen, aber den Quotendeppen gaben auch sie. Dazwischen immer wieder die Erstgestorbenen – Forest Whitaker in Species (Roger Donaldson 1995), Isaiah Washington in Ghost Ship (Steve Beck 2002), oder der ganz harte Fall von Jada Pinkett Smith und Omar Epps in Scream 2 Wes Craven 1997: Beide erwischte es noch vor den Opening Credits.
Get Out klingt auch wie die Rache an der Sprache im Trailer zu Jaws: The Revenge (Joseph Sargent 1987), klingt wie eine kokette Persiflage auf die Spannung, die sich dort auf die Worte stützt:
»But there is also a vague uncertainty. A sense of intrusion into an alien world. Where man is unwelcome. Man’s deepest fear has risen again... This time it’s personal.« Oder auch: Morgan Freeman als Detective William
Summerset in Se7en (David Fincher 1995), der nämlich »...is looking for a way out.«
Die Worte Get Out fallen hier nun, in unserem Film, natürlich auch, genau zweimal. Chris widerfahren die Worte aus dem Mund eines vermeintlichen Brothers, dem einzigen Schwarzen, dem Chris in Gesellschaft der Weißen begegnet, und es ist zunächst ungewiss, ob dieser ihm zu verstehen geben will, dass er sich zur distinguierten weißen Elite zugehörig fühlt, oder ob er, wie aus einer Hypnose erwacht, zu plötzlichem Bewusstsein gelangt und Chris ganz dringend vor etwas ganz Schrecklichem warnen will.
Hypnose und Mindcontrol begegnen uns hier als Themen gleich Ablationen von Geschichten aus Tausendundeiner amerikanischen Nacht, ganz flüssig und klarsichtig in Get Out hinein operiert. Es macht so Sinn, dass Chris in einem Albtraum erlebt, wie Rosies Mutter ihn ins Weltall verbannt, so weit weg wie nur möglich, far out, outer space. Dorthin, wo er selber keinen Zugriff mehr auf sich und seinen Körper hat. Denn das Eine ist die Sun Ra-Mythologie vom Black Space undsoweiter, doch am Ende geht es darum: Wem gehört der Körper. Oh, der schöne schwarze Körper!
Man kann die Sache mit dem Körper und der Haut und der Identität auch weiter spannen, und zum Beispiel Die Haut, in der ich wohne von Pedro Almodóvar gegensichten. Dann ist man thematisch woanders, aber eigentlich doch gar nicht weit weg. Und natürlich ist es nicht zuletzt auch Chris, der den Verlockungen der Oberfläche gefolgt war: Die Oberfläche von Rosie gibt was anderes vor, als das, was dahinter lauert. Da ist er, der Abgrund, in den einjeder starren kann, ob schwarz ob weiß, Hautfarbe ist da schon irrelevant. Dann ist der schwarze Gärtner der weiße Großvater, und die weiße Großmutter die schwarze Dienerin.
Get Out ist ein vielschichtiger und gleichzeitig sehr unterhaltsam gut gemachter Film, der in den USA schon das Mainstream–Publikum knacken konnte. Von dort kursieren allerhand Memes und satirische Variationen auf Youtube, mal mehr, mal weniger lustig, wie das halt so ist, aber sie alle sind Zeugnis dafür, dass Popkultur und Film in Zeiten des Internet nochmal mindestens so lebendig sind, wie damals, als es nur ein oder zwei staatliche Sender gab, die mit ihren Saturday-Night Bandstand–Tanzshows aus Philadelphia oder Baltimore die Jugendgespräche und Themen der Zeit bestimmen konnten.